Lässt man Axel Schulz´ peinliche Sechs-Runden-Lachnummer gegen Brian Minto und Henry Maskes sportlich total überschätzten Rentner-Sieg gegen Virgil Hill mal außen vor, war es wohl das Box-Highlight der vergangenen Jahre: Am 23. September 2006 brach sich Arthur Abraham bei seinem WM-Kampf gegen den kolumbianischen Herausforderer Edison Miranda in der vierten von zwölf Runden den Unterkiefer – das Blut schoss fontänenweise aus seinem Mund, die Wange schwoll bedrohlich an, der Fight schien unwiderruflich verloren. Doch Abraham gelang das Undenkbare: Er hielt volle acht Runden mit seiner extrem schmerzhaften Verletzung durch und trug schließlich sogar einen verdienten Punktsieg davon. Die gebürtige Berlinerin Nina Pourlak hat den Ausnahmeboxer für ihren Dokumentarfilm „Es geht um alles“ begleitet – allerdings erst in den Monaten nach dem fraglichen Kampf. Das Problem: In dieser Zeit passierte nichts, was auch nur annähernd so spektakulär wie die mittlerweile legendäre „Blutschlacht von Wetzlar“ anmutet.
Der Film zeigt Arthur Abraham auf dem steinigen Weg zu seinem Comeback. Nach fast sechsmonatiger Zwangspause steigt der mittlerweile 28-Jährige, bisher ungeschlagene Mittelgewichts-Weltmeister wieder ins Training ein. Kräftezehrende Ausdauer- und Schlagtests, Waldläufe in Rocky-Manier und unzählige Sparringsrunden sind in das enge Aufbauprogramm gequetscht. Unnachgiebig treibt Erfolgstrainer Ulli Wegner seinen Schützling an – immerhin stehen mit den Kämpfen gegen den Kanadier Sebastien Demers und den Armenier Khoren Gevor gleich zwei Pflichtverteidigungen vor der Tür. Wegner ist Ehrenbürger seiner Heimatstadt Penkun – er selbst sagt, dies sei der größte Titel, den er je errungen hat. Und so muss der 66-jährige Disziplinfanatiker auch eine Menge Schulterklopfen über sich ergehen lassen, als er bei einem Jugendfußballturnier in der ostdeutschen Kleinstadt die Pokale übergibt. Abraham reist unterdessen für einige Tage in seine Heimat Armenien. Hier empfängt ihn der Vorsitzende des Nationalen Olympischen Komitees und es gibt jede Menge leckeres Schaschlik zu essen…
Die Vorbilder liegen auf der Hand: Deutschland. Ein Sommermärchen (Fußball), Projekt Gold (Handball) und Mit den Waffen einer Frau (Biathlon) haben in den vergangenen zwei Jahren den Weg für Sportdokus auf der großen Leinwand geebnet. Doch im Vergleich zu Sönke Wortmann & Co. hat Nina Pourlak wenig Neues vorzuweisen: Die Einblicke ins Training unterscheiden sich nur marginal von denen, die die anderen Filme zu bieten hatten – Ausdauertests funktionieren halt überall ähnlich. Und sicherlich sind Abraham und Wegner keine uninteressanten Typen – es sind aber eben nur zwei. Bei den Vorgängern gab es schlicht erheblich mehr Charaktere, die eine Doku über die Zeit bringen konnten.
Auch mangelt es „Es geht um alles“ an Stimmung und Atmosphäre. Bei der Fußball-WM 2006 feierte ganz Deutschland eine einzige Megaparty, auch bei der Handball-WM im darauffolgenden Januar und Februar fieberte die ganze Nation vor den Fernsehschirmen mit – und selbst die Biathlon-WM im italienischen Antholz sorgte mit ihren drei Goldmedaillen für eine bis dahin noch recht unbekannte Magdalena Neuer für gesteigertes Interesse. Doch wer spricht hingegen heute noch von Abrahams eher unspektakulären Pflichtverteidigungen gegen Demers und Gevor – wohl niemand. Die Doku setzt ganz einfach zu spät ein, das erzählenswerte Ereignis ist mit dem Kampf gegen Miranda bereits Geschichte - was nun noch kommt, ist nicht mehr als eine zähe Nachbereitung, die vom Ruhm des vorangegangenen Fights zu zehren versucht, im Endeffekt aber einfach nur langweilt. Es fehlen die mitreißenden Kabinenansprachen eines Jürgen Klinsmanns oder die angeklebten Heiner-Brand-Gedächtnisschnurrbärte unserer Handball-Weltmeister – also irgendetwas Außergewöhnliches, das die sechs Euro Kinoeintritt rechtfertigen würde.
Fazit: Wenn es nichts gibt, das es zu erzählen lohnt, sollte man es lieber gleich ganz lassen: „Es geht um alles“ ist eine spannungsarme Sportreportage, die ohne nennenswerte Höhepunkte auszukommen versucht – und damit (zumindest als Kinofilm) zwangsläufig scheitert.