„Bonnie and Clyde – were pretty lookin' people, but I can tell you people – they were the devil's children. Bonnie and Clyde – began their evil doin' one lazy afternoon – down Savannah way. They robbed a store – and high-tailed outta that town got clean away – in a stolen car – and waited till the heat died down.“ (1)
Als Arthur Penn („Der Zug“, 1964; „Alice’s Restaurant“, 1969; „Little Big Man“, 1970) 1967 seine Gangsterballade „Bonnie and Clyde“ in die Kinos brachte, löste der Film in mancher Hinsicht eine kleine Revolution aus. Stil, Geschichte und Charaktere waren so ganz und gar nicht angebracht, die damalige Tradition des amerikanischen Unterhaltungskinos für die (ganze) Familie fortzusetzen. Zunächst boten David Newman und Robert Benton ihr Drehbuch, das bewusst als eine Art amerikanisierte Fassung der beiden Truffaut-Filme „Jules and Jim“ (1962) und „Shoot the Piano Player“ (1960) angelegt war, dem französischen Starregisseur selbst an, der jedoch aufgrund anderer Verpflichtungen ablehnen musste. Auch Jean-Luc Godard fand keine Zeit. Und so landete es durch Vermittlung von Warren Beatty schließlich bei Arthur Penn.
„Bonnie and Clyde – advanced their reputation and made their graduation into the banking business, ‘reach for the sky’ – sweet-talking Clyde would holler as Bonnie loaded dollars into a dewlap bag.“ (1). Wir treffen auf Clyde Barrow (Warren Beatty), der gerade aus dem Gefängnis ausgebrochen ist und ein Auto stehlen will. Dabei beobachtet ihn eine junge, nicht sehr glücklich aussehende Frau namens Bonnie Parker (Faye Dunaway). Das Auto gehört ihrer Mutter. Aus dieser Begegnung jedoch entsteht nicht etwa eine gängige Konfrontation zwischen Dieb und Bestohlenem. Nein, Bonnie überzeugt den charmanten Clyde, einen bewaffneten Banküberfall durchzuführen. Und auch wenn der erste Versuch gnadenlos scheitert, weil die überfallene Bank pleite ist – wir befinden uns mitten in der Zeit der Great Depression in irgendeinem Nest in Texas –, bleiben die beiden bei ihrem Vorhaben, durch Banküberfälle ein bisschen reich zu werden.
Aber ist das wirklich ihr Ziel? Reich zu werden? Von Anfang an bleibt dies eher im Vagen. Sind es nicht eher der Kick und das Spiel mit dem Risiko, der Gefahr, die Bonnie und Clyde vorantreiben? Penn, Newman und Benton geben keine Erklärung für das Verhalten ihrer Figuren. Niemand erfährt, woher sie kommen und was die genauen Motive für ihr Handeln sind. Man könnte auch meinen, die beiden legen auf ihre Art den Finger in die Wunde der amerikanischen Gesellschaft, in der sich zu dieser Zeit Armut und Elend massenhaft ausbreiteten. Wir sehen in einer Szene eine Gruppe von Menschen, die durch das Land ziehen, arme, durch die Depression Entwurzelte und die Banken Enteignete, bei denen sich Bonnie, Clyde und C. W. Wasser holen. Die Szene wirkt schon fast wie eine Karikatur auf den Mythos der Siedler knapp zwei Jahrhunderte zuvor. Jeder weiß, wer die beiden sind. Sie sind in der amerikanischen Bevölkerung besser bekannt als amerikanische Präsidenten, werden bewundert angesichts ihres Mutes und ihrer Verwegenheit. Dass sie Verbrechen begehen, bei denen auch Morde passieren, ist für viele zweitrangig.
Auch warum C. W. Moss (Michael J. Pollard), ein Tankstellen-Angestellter sich den beiden anschließt, ihr Fahrer wird, bleibt im Dunkeln. C. W. nimmt das Angebot Clydes, ohne lange zu überlegen, an. Schließlich stoßen auch Clydes Bruder Buck Barrow (Gene Hackman) und seine Frau Blanche (Estelle Parsons, die – neben Burnett Guffey, der den Streifen filmte – für ihre Rolle einen Oscar bekam) zur Gang.
Für einige Zeit wird der Barrow-Gang so gut wie jeder Banküberfall in den Staaten angelastet. Die Polizei ist zunächst nicht in der Lage, die Bande zu fassen. Der Texas-Ranger Frank Hamer (Denver Pyle) scheitert kläglich beim Versuch, die Barrows festzunehmen. Beim Sturm auf ein Haus, das sich die Barrows gemietet haben, sterben etliche Polizisten im Kugelhagel; die Gang kann entkommen ...
„Now, one brave man – he tried to take them alone, they left him lyin' in a pool of blood and laughed about it all the way home. Bonnie and Clyde got to be public enemy number one running and hiding from every American lawman's gun. They used to laugh about dyin' – but deep inside them they knew that pretty soon they'd be lyin'– beneath the ground together pushing up daisies to welcome the sun and the morning dew. Acting upon reliable information a Federal Deputation laid a deadly ambush.“ (1)
„Bonnie and Clyde“ ist wohl einer, wenn nicht der erste Film aus dem Hause Hollywood, der gegen die damalige Perfektion dieser Art Kino anging: kein perfektes Make-up, keine bühnenreife Inszenierung, in der jeder Dialog „sitzt“, jedes Licht berechnet und jede Konvention eingehalten wird – so, als ob ein Film so aussehen müsse wie die Bühnenstücke der damaligen Zeit. Der Film ist deshalb nicht etwa stümperhaft inszeniert, aber freier und lebendiger in Stil und Spiel, Dialogen usw. Auch war ungewöhnlich, dass der männliche Held, Clyde, als gewalttätiger Charakter mit Impotenzproblemen auftritt, was im Film auch mehrfach ausdrücklich zur Sprache kommt. Penn inszenierte den Film als Abfolge verschiedener in sich geschlossener Szenen, die aber nicht zusammenhanglos aneinander gereiht wurden, sondern den kohärenten Kontext einer Geschichte begründen. Das mag aus heutiger Sicht normal erscheinen. Damals allerdings gab es keine Filme wie „Thelma and Louise“, „Days of Heaven“ oder auch „Natural Born Killers“ und viele andere, die von der Art, wie Penn „Bonnie and Clyde“ inszenierte, zehrten.
Auch die Zusammenstellung der Barrow-Gang war 1967 eine gewagte Angelegenheit: Warren Beatty spielt einen zur Gewalt bereiten, aber keineswegs unsympathischen Gangster, der noch dazu gegenüber Bonnie zu seinem sexuellen Handicap steht; Faye Dunaways Bonnie ist eine ebenso sympathische, humorvolle, aber auch ängstliche junge Frau, die ebenfalls kein Problem damit hat, sich der Kriminalität hinzugeben, weil sie offenbar von Männern enttäuscht wurde (eine bloße, aber nicht ganz unrealistische Vermutung) – ein Pärchen also besonderer Art, das die Filmgeschichte so bisher nicht kannte. Dazu kommt Gene Hackman als Bruder Clydes und seine leicht hysterische Frau Blanche – exzellent gespielt von Estelle Parsons –, die sich mit Bonnie überhaupt nicht versteht, und last but not least der ruhige, meist grinsende C. W. Moss, für den Treue und Verrat Mittel zum Zweck zu sein scheinen.
Eine moderne Romanze im Milieu der Kriminalität, ohne moralischen Zeigefinger, mit ebenso viel Sympathie für die Hauptfiguren wie bei dem historischen Gaunerpärchen von seiten eines Großteils der amerikanischen Bevölkerung. Hinzu kommt der durchgehend leichte, fast beschwingte Wechsel zwischen Tragik und Komödie, Gewalt und Humor.
„When Bonnie and Clyde – came walking in the sunshine a half a dozen carbines opened up on them. Bonnie and Clyde – they lived alot together and finally together ... they died.“ (1)
Für Faye Dunaway und Gene Hackman war „Bonnie and Clyde“ das Sprungbrett zu ihren Karrieren. Ähnliches gilt für Gene Wilder, der in einer Nebenrolle zu sehen ist. Warren Beatty hatte sich damals bereits einen Namen gemacht. Nach einer ersten Welle fast durchweg ablehnender Stimmen aus der Filmkritik wurde der Film nur kurze Zeit später zu einem finanziellen und künstlerischen Erfolg, heimste zehn Oscar-Nominierungen und zwei Oscars ein und zählt heute – ähnlich wie in anderem Zusammenhang Orson Welles „Citizen Kane“ in den 40er Jahren – zu den vergleichweise wenigen revolutionären Wegbereitern der Filmgeschichte.
(1) Georgie Fame: The Ballad of Bonnie and Clyde.