„Wilde Kerle“ sind nicht nur ein deutsches Phänomen. Auch bei unseren belgischen Nachbarn leben junge Kicker, die mit großer Leidenschaft dem Fußball hinterherhetzen. „Gilles“ muss sich allerdings auch jenseits des Fußballplatzes Problemen stellen, denn sein Vater ist urplötzlich verstorben. Jan Verheyens erzählt das Zurechtfinden des Protagonisten in dieser ungewohnten Situation feinfühlig und inszeniert den Verlust eines Elternteils auch für jüngere Kinder verständlich und nachvollziehbar. Folgerichtig wurde „Gilles“ bereits mit namhaften Preisen (u.a. mit dem europäischen Kinderfilmpreis) ausgezeichnet.
Nur ein Ziel hat der zwölfjährige Gilles (Ilya van Malderghem) vor Augen. Er will zu den „roten Teufeln“, in die Fußballnationalmannschaft Belgiens. Das Training hierfür ist hart und scheint auch von ersten Erfolgen gekrönt zu sein. Doch seinen härtesten Kritiker kann er nie zufrieden stellen. Wie ein HB-Männchen geht sein Vater (Filip Peeters) in die Luft, wenn der Filius ständig nur den rechten Fuß für seine Schüsse und Dribblings verwendet. Dabei spielte doch auch schon das größte Idol des Vater-Sohn-Gespanns, der Brasilianer Garrincha, seine Gegenspieler beidfüssig schwindelig. Die anfängliche Harmonie wird allerdings unvermittelt zerstört als Gilles’ Vater am Spielfeldrand leblos zusammenbricht. Sein bester Freund und größter Fan ist auf einmal nicht mehr da. Von diesem Verlust geschockt, hat Gilles nur noch die Verwirklichung seines Fußballtraumes vor Augen. Die Trainingsschraube wird noch zusätzlich angezogen – auch wenn Gilles zu allem Übel eine schwere Fußverletzung erleidet, aufgrund derer ihm sein Hausarzt das weitere Fußballspielen untersagt. Mit der Ankündigung, dass ein Talentscout der Jugendnationalmannschaft bei einem der kommenden Spiele anwesend sein wird, im Hinterkopf kann nun aber keine Rücksicht auf die Gesundheit genommen werden. Gilles muss das erreichen, an dem sein Vater verletzungsbedingt scheiterte.
Jan Verheyen befasste sich bereits Anfang des Jahrtausends mit dem wochenendlichen Gekicke in Belgien und setzte mit „Team Spirit“ einen Film über belgische Fußballfreunde, die langsam in die Jahre kommen, in Szene. In „Gilles“ wird jedoch der Handlungsschwerpunkt auf das familiäre Schicksal gelegt, um dieses aus kindlicher Sicht zu behandeln. Trotz der herben Tiefschläge, die Gilles erleiden muss, wirkt der Film jedoch nie erdrückend oder niederschlagend auf die jüngeren Zuschauer. Verfeinert wird die Handlung durch eine gefühlvolle Inszenierung, das Einfügen vereinzelter amüsanter Szenen und bei der Einführung des elterlichen Gemüsemarktes werden gar leichte Referenzen an „Amélie“, den Engel aus Montmartre, gesetzt.
Derartig leichtfüßig wie in Jean-Pierre Jeunets Märchen Die fabelhafte Welt der Amelie geht es in „Gilles“ allerdings nicht zu. Denn entscheidend für das Familiendrama ist die Darstellung des väterlichen Todes und dessen Konsequenz auf Gilles’ Leben. Gilles muss während des Films lernen, sich in der neuen Situation zurechtzufinden, um schließlich den Tod seines Vaters akzeptieren zu können. Bevor er diesen Schritt allerdings gehen kann, sieht er zunächst während des Trainings immerzu ein engelsgleiches Abbild seines Vaters. Dieses steht ihm hilfreich zur Seite, gibt ihm Tipps, wie er seinen linken Fuß trainieren kann und findet auch mal die richtigen Worte, wenn man sich über den neuen Freund von Gilles’ Mutter unterhält.
Während diese Gespräche mit dem Vater auch noch nach dessen Versterben eine intensive und liebevolle Beziehung zeigen, ist das Verhältnis zur Mutter äußerst angespannt. Gerade als diese von den fortdauernden Unterhaltung zwischen Vater und Sohn erfahren muss, steigert sich ihre Besorgnis ins Unermessliche. Zwar bescheinigt der Hausarzt, dass ein derartiger Verarbeitungsprozess bei Kindern nicht selten ist, die Lage will sich aber auch mit diesem psychologischen Wissen nicht entspannen.
Als neben diesen familiären Problemen zusätzlich noch gesundheitliche hinzukommen, droht die Geschichte erstmalig etwas überfrachtet zu werden. Jan Verheyens gelingt es allerdings noch, die Ereignisse um die Fußverletzung gekonnt in die Vater-Sohn-Beziehung einzuarbeiten. Gilles hält nach seiner Verletzung immerzu Rücksprache mit seinem Vater und lässt sich von diesem bestätigen, dass der Doktor nur ein Wichtigtuer ist, der ihn vom bevorstehenden Erfolg bei den „roten Teufeln“ abhalten will. Erst als noch eine zaghafte Liebelei mit der Apothekertochter in die Handlung eingeführt wird, bemerkt man die unnötige Weitschweifigkeit des Drehbuchs (Autoren: Frank Ketelaar und Ed Vanderweyden). Emma ist eigentlich nur ein Mittel zum Zweck - schließlich erhält Gilles von ihr eine schmerzlindernde Salbe für seinen Fuß. Die Darstellungen in der Beziehung bleiben nach anfänglicher Abneigung seitens Gilles auf einem rudimentären Niveau und können kaum glaubhaft den Wandel Gilles darstellen. Ganz im Gegensatz natürlich zu der dezidierten und nachvollziehbaren Darstellung der Auswirkungen des väterlichen Todes
Ilya van Malderghem wurde zwar aufgrund der starken fußballerischen Fähigkeiten gecastet, der Schauspieldebütant kann aber auch abseits des Fußballplatzes gänzlich überzeugen. Gerade in den Szenen nach dem Tod des Filmvaters übertreibt er sein Auftreten nicht und stellt mit dieser zurückhaltenden Art bestens den orientierungslosen Gilles dar. Neben dem Hauptdarsteller erweisen sich auch die Filmeltern als sehr gute Wahl. Filmmutter Joke Devynck trägt vor allem die emotionalen Szenen mit einer besonderen Intensität und das bekannteste Gesicht Filip Peeters (Hardcover, „Antonias Welt“) gibt hier einen äußerst sympathischen Filmvater.
Abschließend ist „Gilles“ sicherlich als guter Kinder- und Jugendfilm zu bezeichnen, der ab einem Alter von neun Jahren zu empfehlen ist. Insbesondere Jungen dürften an der Geschichte Gefallen finden, denn die Szenen der Fußballpartien werden äußerst dynamisch in Szene gesetzt und führen so zu einer gelungenen Abwechslung zu der dramatischen Hauptgeschichte. Zwar droht das Drehbuch zeitweise den Fokus zu verlieren, Jan Verheyen kann diese Hindernisse mit seiner präzisen Inszenierung gekonnt umdribbeln. Aber auch erwachsene Begleitungen sollten von der Neuauflage des holländischen Kinderfilmes „In Oranje“ nicht abgeschreckt sein, denn trotz vereinzelter Kinderfilmklischees ist „Gilles“ sehenswertes Familienkino.