Es endet alles am 14. Juli 2011 – jedenfalls in Deutschland. Der berühmteste Zauberlehrling der Weltliteratur und der Filmgeschichte gleichermaßen tritt zum alles entscheidenden letzten Kampf zwischen Gut und Böse an. Es mag sich nach einer banalen Marketingschlagzeile anhören, aber in der Tat geht etwas Einzigartiges zu Ende, wenn Regisseur David Yates seinen Titelhelden in dem furiosen Fantasy-Abenteuer „Harry Potter und die Heiligtümer des Todes - Teil 2" seinem Schicksal entgegenbringt. Über den Zeitraum von nur zehn Jahren entstanden acht Filme nach der Roman-Heptalogie von Joanne K. Rowling (siehe dazu unser Special: "Welcher Potter-Film war am erfolgreichsten?"), wohl niemals zuvor besaß ein Filmfranchise eine ähnliche Kontinuität. Und niemals zuvor war ein Millionenpublikum mit ähnlicher Ausdauer und Begeisterung dabei wie im Falle von „Harry Potter". Die Zuschauer sind seit der Premiere mit „Harry Potter und der Stein der Weisen" im Jahr 2001 gemeinsam mit den vor ihren Augen erwachsen gewordenen Hauptdarstellern älter geworden. Der filmische Abschied von den so vertrauten Gesichtern ist Yates nun hervorragend gelungen, gegenüber „Harry Potter und die Heiligtümer des Todes - Teil 1", mit dem er die Reihe wieder auf Kurs brachte, steigert er sich nochmals und verschafft Harry Potter einen würdigen Abgang von der Leinwand.
Harry Potter (Daniel Radcliffe), Hermine Granger (Emma Watson) und Ron Weasley (Rupert Grint) betrauern immer noch den Tod ihres Hauself-Gefährten Dobby, der von Bellatrix Lastrange (Helena Bonham Carter) ermordet wurde. Sie setzen aber dennoch ihre Bemühungen fort, alle sieben Horkruxe zu vernichten und die drei Heiligtümer des Todes - den Elderstab, den Stein der Auferstehung und den Tarnumhang - einzusammeln. Es gelingt Harry und seinen Freunden in London einen Horkrux aus einem unterirdischen Tresor zu entwenden und zu zerstören. Aber allen ist klar, wo die weitere Reise hinführt - zurück nach Hogwarts, denn in der Zaubererschule soll sich ein Heiligtum des Todes verbergen. Unterdessen bündelt Harrys Gegenspieler, Lord Voldemort (Ralph Fiennes), alle Kräfte und steuert mit seiner Armee der Finsternis auf ein finales Duell mit dem Erzfeind zu. Seine Schergen unter der Führung von Professor Snape (Alan Rickman) haben die Zaubererschule eingenommen, doch Harry und sein Gefolge bekommen Hogwarts wieder unter Kontrolle. Aber der Gegenangriff lässt nicht lange auf sich warten und fordert eine Unzahl an Opfern...
Als Joanne K. Rowling 1996 das Manuskript zu „Harry Potter und der Stein der Weisen" verkaufte, wurde ihr nahe gelegt, das Buch nicht unter ihrem Vornamen zu veröffentlichen, weil das sonst womöglich die potenzielle junge männliche Leserschaft abgeschreckt hätte. Deshalb erschien der Auftakt der als siebenteiliges Epos konzipierten Roman-Reihe unter dem Kürzel J.K. Rowling. Anderthalb Dekaden später steht die Anzahl der verkauften „Harry Potter"-Bücher bei über 500 Millionen und Rowling ist die reichste Schriftstellerin der Welt. Der Erfolg versetzte die Autorin in die Lage, entscheidend bei den Filmadaptionen mitzureden. Sie konnte bis in Details Vorgaben machen (es durfte keine Animationsverfilmung sein) und Bedingungen stellen (die Rollen sollten nur mit britischen Schauspielern besetzt werden), selbst bei der Auswahl der Regisseure hatte Rowling ein Mitspracherecht. Nebenbei hielt sie selbst dem stetig steigenden Erwartungsdruck stand und lieferte über die Jahre pflichtschuldig die weiteren Bände der Saga ab, bis sie im Januar 2007 schließlich die letzte Zeile zu „Harry Potter und die Heiligtümer des Todes" verfasste. Ihre Ausdauer und ihr Dickkopf haben sich in der Rückbetrachtung auch für die Kinogänger gelohnt. Wie Drehbuchautor Steve Kloves, der nur bei „Harry Potter und der Orden des Phönix" ausgesetzt hat, hat Rowling mit dafür gesorgt, dass das filmische Potter-Erbe trotz kleiner Schwankungen in der Qualität der Verfilmungen über die acht Werke hinweg ein inhaltlich wie stilistisch stimmiges Ganzes geworden ist (siehe dazu unser Special: "Unsere 15 Lieblingsszenen aus allen Potter-Filmen").
Nachdem der düstere „Heiligtümer des Todes - Teil 1" gegenüber den ebenfalls von David Yates inszenierten etwas schwächeren „Der Orden des Phönix" und „Der Halbblutprinz" bereits eine qualitative Steigerung bot, ist „Die Heiligtümer des Todes - Teil 2" ein absolut würdiger Ausstieg aus der Potterwelt – und nebenbei der zweitbeste Film des Franchises nach dem überragenden „Harry Potter und der Gefangene von Askaban". Vor allem die erste Hälfte des 130-minütigen achten Teils besticht mit einer dichten Atmosphäre, die an Alfonso Cuaróns Glanzstück und Reihenhöhepunkt erinnert. Gegen Ende des ersten „Heiligtümer"-Teils hatte Yates mit der herzzerreißend inszenierten Dobby-Sterbeszene bereits eine beeindruckende emotionale Tiefe erreicht. Genau dort knüpft er nun an und kreiert zwischen dem auf Hilfe angewiesenen Harry, dem verängstigten Ollivander (John Hurt) und dem linkischen Kobold Griphook (Warwick Davis) einige der besten und wirkungsvollsten Dialogpassagen der ganzen Reihe.
Nach dem gelungenen Einstieg in die bereits fortgeschrittene Handlung folgt eine sensationelle Sequenz, in der Harry und seine Mitstreiter einen Horkrux aus den Tiefen einer von Kobolden kontrollierten Bank entreißen. In einer elektrisierenden Charade müssen Harry, Hermine, Ron und Griphook sich Zugang zu Bellatrix Lastranges Raum erschleichen, während die Augenpaare der mürrischen koboldischen Verwalter auf sie gerichtet sind - das ist stilistisch das Beste aus allen vier Teilen, die unter Yates‘ Regie entstanden. Nach diesem furiosen ersten Highlight legt der Filmemacher noch kräftig nach und serviert im Mittelteil eine epische, actiongeladene Schlacht um Hogwarts, bei der Horden von Kämpfern hüben wie drüben ihren Blutzoll entrichten.
Hätte Yates diese Schlagzahl durchgehalten, wäre „Die Heiligtümer des Todes – Teil 2" glatt zu einem Meisterwerk geworden, doch in der zweiten Hälfte des Films kann er die hochgeschraubten Erwartungen nicht mehr ganz erfüllen. Der Endkampf zwischen Harry Potter und Lord Voldemort ist durchaus solide, fällt aber im Vergleich zu den zwei zentralen Actionsequenzen zuvor ab – dieser ultimative Showdown, auf den alles zusteuert, hätte durchaus noch mehr Bombast vertragen, zumal Yates dem pathetischen Zeitlupeneinsatz durchaus nicht abgeneigt ist und weiß, wie man mit ihm emotionale Wirkungen erzielt. Dazu erweist sich der Segen, für die „Harry Potter"-Reihe im Laufe der Zeit die nahezu vollständige britische Schauspielerelite vor die Kamera gebracht zu haben, als kleiner Fluch, weil Regisseur Yates auch die bereits per Ableben Ausgeschiedenen unbedingt noch einmal vor die Linse bringen will. Wenn also immer wieder alte Weggefährten aus dem Jenseits vorbeischauen, ergibt das nicht immer Sinn. Während die Rückkehr von Professor Albus Dumbledore (Michael Gambon) immerhin eine gute Möglichkeit bietet, den Hintergrund zur Figur des von Alan Rickman wieder hervorragend gespielten Severus Snape auszuerzählen, sind Figuren wie etwa Sirius Black (Gary Oldman) für die Geschichte nicht mehr wichtig und hemmen den Fortgang der Handlung.
Die Stammbesetzung ist wieder an Bord, daher bleibt schauspielerisch alles wie gehabt. Mit den limitierten Fähigkeiten eines Daniel Radcliffe sollte sich mittlerweile jeder arrangiert haben – beim Abschlussteil steht er noch mehr als sonst im Fokus und meistert seine Aufgabe solide. Die talentierteren Emma Watson und Rupert Grint sind zwar die meiste Zeit an seiner Seite, dürfen aber weniger Akzente setzen als zuvor. Ralph Fiennes agiert als Lord Voldemort charismatisch, während Alan Rickman in einer recht kleinen, aber prägnanten Schlüsselrolle glänzt und sich als regelrechter Szenendieb erweist.
Zum Start des ersten Teils trat „Harry Potter" 2001 im direkten Duell gegen Peter Jacksons meisterhafte Tolkien-Verfilmung „Der Herr der Ringe" an und die Unterschiede in den Herangehensweisen und der visuellen Umsetzung hätten kaum größer sein können. Zehn Jahre später ist „Harry Potter" auch inszenatorisch erwachsen geworden und damit so nah an „Der Herr der Ringe" wie es vor zwei Jahren noch fast undenkbar schien. Vor allem, die von Kameramann Eduardo Serra stimmungsvoll eingefangenen Landschaftspanoramen, die durch das zwar konvertierte, aber dennoch überzeugende 3D eine beeindruckende räumliche Tiefe bekommen, zeugen von der Nähe zu Jacksons Epos. Dazu sind Stimmung und Erzählton der ehemaligen Kinder-Fantasy deutlich düsterer und „erwachsener" geworden, was vor allem jene Zuschauer ansprechen wird, denen vor allem die ersten beiden Teile zu kindlich waren. Im Übrigen ist es angesichts der Anzahl von Leichen in diesem letzten Film erstaunlich, dass es Warner gelungen ist, eine FSK-Freigabe ab 12 Jahren durchzubekommen.
„Die Heiligtümer des Todes – Teil 2" ist mit seinem hohen Tempo, seiner eindrucksvollen Optik und vielen brillanten Szenen eine runde Sache, muss aber genau wie das Buch mit einer erzählerischen Skurrilität ausklingen. Der 19 Jahre nach der Endschlacht spielende Epilog hat etwas von unfreiwilliger Komik und wirkt reichlich aufgesetzt. Es wird nicht einmal der ernsthafte Versuch unternommen, die daran teilnehmenden Schauspieler dem neuen Alter gerecht aufzubereiten. Hätte Yates diese Passage aus der Romanvorlage allerdings weggelassen, wäre der Aufschrei aber wohl ungleich größer ausgefallen. Fazit: David Yates hat die zahlreichen Skeptiker widerlegt und das mit bisher weltweit eingespielten 6,3 Milliarden Dollar kommerziell erfolgreichste Franchise der Filmgeschichte mit „Harry Potter und die Heiligtümer des Todes - Teil 2" in Würde und überzeugend vollendet. Er bietet nicht nur zwei herausragend inszenierte, epische Actionsequenzen, sondern auch viel Atmosphäre. Nur ein im Vergleich mittelprächtiges Finale und der überflüssige Epilog trüben den Gesamteindruck ein wenig. Für ein Jahrzehnt hat Harry Potter unsere Kultur geprägt - und er wird fehlen. Nicht nur einem Millionenpublikum, sondern vor allem den Strategen von Warner Bros., die spätestens 2012, nachdem Christopher Nolans Batman in „The Dark Knight Rises" seinen letzten Dienst angetreten hat, händeringend auf der Suche nach neuen, langlebigen filmischen Goldeseln sein werden. Aber da gibt es ja noch ein zweiteiliges Tolkien-Prequel namens „The Hobbit"...