Von manchen Bucherfolgen weiß man, weil sich deren Titel oder einzelne Sentenzen zu so genannten geflügelten Worten entwickeln, die in aller Munde sind. So auch Heinz Strunks „Fleisch ist mein Gemüse“, das neben dem Titel vor allem durch die Lebensweisheit „Der Mensch ist kein Beilagenesser“ Berühmtheit erlangte. Das Buch selbst ist stark autobiographisch und handelt eigentlich überhaupt nicht von den speziellen Ernährungsgepflogenheiten des Autors. Vielmehr geht es um die frühen Jahre der Karriere Strunks als Musiker. Das Buch schaffte es, Bestseller- und Kultstatus zu erlangen, was zu zahlreichen Adaptionen führte. Zu guter Letzt gibt es noch den Film zum Buch, der unter der Regie von Christian Görlitz entstanden ist. Görlitz, der bis dato als Regisseur nur fürs Fernsehen tätig war („Kommissar Rex“, „Großstadtrevier“, „Mutterglück“, „Feier Fall“), legt mit „Fleisch ist mein Gemüse“ zugleich seinen ersten Kinofilm vor. Für Fans von Heinz Strunk ist die Kinofassung sicherlich eine nette visualisierte Version dessen, was sie beim Lesen des Buchs, beim Besuch des Musicals zum Buch, beim Hören des Hörspiels zum Buch oder beim Hörbuch schon angesprochen hat. Der Film für sich allein genommen kann allerdings nicht überzeugen. Diejenigen, die zum ersten Mal mit der Lebensgeschichte Strunks in Berührung kommen, werden recht ratlos in den Kinosesseln zurückgelassen, weshalb es überhaupt zu so einer großen Begeisterung ob des Themas gekommen ist.
Held der Geschichte ist Heinz Strunk (Maxim Mehmet), der noch zu Hause bei seiner Mutter (Susanne Lothar) wohnt. Die Ausgangssituation für Heinz ist denkbar schlecht: Er ist zum einen von einer besonders schlimmen Form der Akne geplagt; seine Mutter leidet an einer psychischen Krankheit und ihre hysterischen, bisweilen psychotischen Anfälle gestalten den Alltag als Ausnahmezustand; einzige tagesfüllende Beschäftigung ist das gemeinsame Rauchen und Trinken mit der allein stehenden Nachbarin Rosi (Livia Reinhard). Viel mehr lässt die kleinbürgerliche Umgebung in einem kleinen Hamburger Vorort nicht zu. Heinzens Traum ist es, als Musikproduzent Karriere zu machen. Als seine Mutter nach einem schweren Anfall in eine Klinik eingeliefert wird, steht Heinz gezwungener Maßen auf eigenen Beinen. Durch Zufall erhält er das Angebot bei der Coverband „Tiffanys“, die zu allerlei kleineren und mittelgroßen Anlässen auftritt, als Saxophonist beitreten zu können. Parallel versucht er in einem kleinen Studio, das er sich im häuslichen Wohnzimmer eingerichtet hat, etwas Eigenes zu produzieren. Doch der Traum von Tellerwäscher zum Plattenboss läuft nur mühsam an. Die Auftritte mit „Tiffanys“ arten mehr und mehr aus. Die Situation mit seiner kranken Mutter erschwert Heinz voll und ganz bei der Sache zu sein.
Die Verfilmung bietet im Vergleich zum Buch einen anderen Aufbau bezüglich der Rahmenhandlung. Im Film tritt nämlich der echte Heinz Strunk als er selbst mit in Erscheinung. Da er für die Rolle als Jugendlicher inzwischen zu alt ist, wurde eine neue Rolle hinzu geschrieben. Strunks Rumpf hängt, ähnlich wie eine Jagdtrophäe an der Wand eines Zimmers. Ihm gegenüber prangt ein Plüsch-Hirsch, mit dem sich Heinz unterhält. Zwischen den beiden spannt sich die versinnbildlichte Kinoleinwand, auf der sich das Leben von Heinz als Jugendlicher abspielt. Durch diesen Trick kann der alte Heinz seine Geschichte erzählen, immer wieder als quasi Erzählerinstanz Erklärungen liefern oder Fragen stellen, und so ins Geschehen eingreifen. Dieser Einfall zählt noch zu den gelungenen des Drehbuchs aus der Feder von Christian Görlitz. Allerdings erschöpft sich auch diese Idee sobald man die Dialoge, die an Albernheit und Witzfreiheit ihres Gleichen suchen, nach dem zweiten Auftauchen im Film.
Dass der Film auch gar nicht die Komik, sondern vielmehr die Tragik und das Dramatische der Handlung im Vordergrund wissen will, bringt die Frage nach dem Genre auf. Hier scheiden sich die Geister der am Film beteiligten Personen. Behauptet der Regisseur noch, dass er eine Tragikomödie mit dem Akzent auf der Tragik produziert hätte, lässt die Produzentin Susanne Freyer („Ich Chef du nix“, „Mutterglück“, „Ein Bernhardiner namens Möpschen“) verlautbaren, dass Deutschland so weit sei, eine Komödie zu sehen, die sich vor einem Kaliber wie Trainspotting nicht zu verstecken brauche. Wie auch immer die letztgenannte Einschätzung des Drogen-Dramas zustande gekommen sein mag, fest steht, dass ein Vergleichsmoment in jeglicher Hinsicht eindeutig fehlt. Ebenso evident ist, dass „Fleisch ist mein Gemüse“ recht humorfrei ans Werk geht. Die, wenn man so möchte, „Witze“, die es im Film durchaus gibt, bewegen sich am unteren Skalaende des Ertragbaren, und man muss sehr bemüht hie und da an einem Schmunzeln arbeiten. Viel an Witz geht auch dadurch verloren, weil es für wichtig erachtet wurde, einen realistischen Film, der in den 80er Jahren spielt, zu inszenieren. Was damals eventuell „vom Hocker riss“, funktioniert leider heute beim besten Willen, ohne ein Mindestmaß an Distanzierung, nicht mehr. Die Rahmenhandlung mit den beiden Kommentatoren an der Wand, wäre eine Möglichkeit gewesen, so Abstand herzustellen, wird aber dazu nicht genutzt.
So überwiegt tatsächlich die tragische Seite im Film, die aber wiederum auch nicht so richtig zum Tragen kommt. Dem entgegen läuft nun ironischerweise das eigentlich Komische der Vorlage. Die Welt, in der sich die Berufsmusiker bewegen, beziehungsweise das, was von ihnen da auf der Bühne dargeboten wird, ist ja aus der zeitlichen Distanz (und bestimmt auch schon damals) lachhaft. Im Kontrast zu dieser Groteske, die sich im Berufsleben von Heinz Strunk im Film abspielt, hätte das Privatleben Stoff genug geboten, ein waschechtes Trauerspiel auf die Bretter zu bringen. Der Balanceakt zwischen Groteske und Drama läuft allerdings in „Fleisch ist mein Gemüse“ permanent aus dem Ruder. Die psychisch kranke Mutter, die von der in solchen Rollen lange geschulten Susanne Lothar durchaus überzeugend gespielt wird, verkommt zu einem nicht zu unterschätzenden Nervfaktor, da der Film für so eine schwere Problematik eigentlich keinen Raum bietet. Ähnliches gilt für die Nachbarsfrau. Eine Streichung dieser Rolle wäre für den Film kein großer Verlust gewesen und hätte den nötigen Platz geschaffen, sich mehr auf die wichtigen Handlungselemente zu konzentrieren.
Diese Unentschiedenheit ist das eigentliche Problem des Films. Eine Adaption ohne den Versuch, ein gewisses Maß an komischen Elementen zu erhalten, hätte die meisten Fans des Buches, und auch solche, die nur vom unglaublichen Witz des Autors gehört hätten, sicherlich abgeschreckt. Trotzdem wäre „Fleisch ist mein Gemüse – Der traurige Teil der Geschichte“ bestimmt ein besserer Film geworden, der auch mehr dem Können des Regisseurs entsprochen hätte. Dieser betritt nämlich nicht nur was das Arbeiten für die große Leinwand betrifft Neuland, sondern war bisher auch ausschließlich auf dem Terrain von Krimi, Thriller und Drama beheimatet. Für Arbeiten aus diesem Bereich („Freier Fall“) konnte Christian Görlitz bereits den renommierten Adolf-Grimme-Preis für sich verbuchen. Ebenso wie Schuster bei ihren Leisten bleiben sollen, empfiehlt es sich für Filmemacher bei den Streifen zu bleiben, die sie zu machen gelernt haben.