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    Memory Books
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Memory Books
    Von Christoph Petersen

    Da staunt der Europäer nicht schlecht, wenn er sieht, wie die Afrikaner in Christa Grafs bewegendem und Mut machenden Dokumentarfilm „Memory Books“ angesichts der AIDS-Katastrophe mit dem Thema Tod umgehen. Da schreiben mit dem HIV-infizierte Mütter gemeinsam mit ihren Kindern Erinnerungsbücher, die den zukünftigen Waisen in ihrem weiteren Leben als Leitfaden dienen sollen. Zu einem selbstverständlichen Teil des Alltags ist dieses in Afrika einmalige Selbsthilfeprojekt in Uganda geworden, einem Land, in dem knapp 35 Prozent der Bevölkerung an Aids erkrankt sind.

    Da sind etwa der zehnjährige Dennis und seine Schwester Chrissi, deren Mutter vor einem Jahr an Aids gestorben ist. Oder die Krankenschwester Christine, die den beiden immer wieder aus deren Memory Books vorliest. Vor vier Jahren hat Christine erfahren, dass sie selber HIV-positiv ist und dann, nachdem sie den Schock einigermaßen verarbeitet hatte, damit begonnen, für alle ihre Kinder Leitfaden zu schreiben. Neben ihrer Arbeit als Krankenschwester bringt sie anderen des Lesens und Schreibens oft kaum mächtigen Müttern bei, selber Erinnerungsbücher zu verfassen. Und dann gibt es da noch Harriet, die in das Memory Book ihrer Tochter Winnie schreibt: „Du bist in einer Familie aufgewachsen, die nie auseinander brach, auch nicht nach dem Tod deines Vaters.“

    Darunter klebt die Mutter ein Bild, auf dem die ganze Familie zu sehen ist: Harriet mit ihren Kindern Patrick, Angela, Winnie und Rachel. Daneben Elisabeth, die Zweitfrau ihres Mannes, mit ihren Kindern Georges und Juliette. Der Vater starb an Aids. Er arbeitete als Techniker im Elektrizitätswerk von Kampala und kam oft erst spätnachts zurück. Dass er selbst mit dem Virus infiziert war und seine beiden Frauen angesteckt hat, leugnete er bis zu seinem Tod und verbot seinen Frauen, darüber zu sprechen. Harriet erinnerte sich an ihre Tochter Rachel, die Jahre zuvor gestorben war. Schon damals hatte sie vermutet, dass es Aids gewesen sein könnte. Sie lies Angela und sich selbst testen. Beide sind HIV-positiv…

    Es erstaunt, dass Harriet nicht wütend auf ihren verstorbenen Mann ist, sondern ihn als liebevollen und treu sorgenden Familienvater in Erinnerung behält. Und es verwundert nicht minder, dass es das Beste für die Kleinen zu sein scheint, schon frühzeitig auf den Tod ihrer Bezugspersonen vorbereitet zu werden. Das gemeinsame Erinnern und Schreiben hilft Eltern wie Kindern, besser mit dem Unvermeidlichen fertig zu werden. Wie nebenbei geben sie so auch Traditionen, die sonst womöglich für immer verloren wären, in Form von Geschichten, Märchen und Liedern an die nächste Generation weiter. Von der Art und Weise, wie bei allem Schmerz und aller Trauer der Tod hier als selbstverständlicher Teil des Lebens begriffen wird, kann und sollte man als Europäer so manches lernen.

    Statt mit Gejammer oder hochtrabendem Problembewusstsein nähert sich „Memory Books“ seinem Sujet mit angenehmer Zurückhaltung – er beobachtet und klagt nicht an. Ohne je aufdringlich zu wirken, kommen Graf und ihr Kameramann Roland Wagner den freimütig und stolz aus ihrem Leben erzählenden Menschen, die sie in ihrem Alltag begleiten, nahe - und so auch der afrikanischen Seele ein gutes Stück näher als so manch anderer gut gemeinter Dokumentarfilm.

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