Für Anime-Fans ist Mamoru Oshii ein Gott. Faszinierende visuelle Experimente und eine melancholische bis zynische Weltsicht kennzeichnen sein Oeuvre. Bereits in jungen Jahren zeigte sich das künstlerische Können des japanischen Regisseurs und Schriftstellers. Gemeinsam mit Oscarpreisträger Hayao Miyazaki Chihiros Reise ins Zauberland und Isao Takahata gründete er die legendäre Anime-Schmiede Studio Ghibli. Nach kreativen Differenzen ging Oshii jedoch bald eigene Wege. Mit der kühlen Cyberpunk-Ästhetik seines Science-Fiction-Epos Ghost In The Shell prägte der Filmemacher eine ganze Legion an Regisseuren und Musikvideoproduzenten – unter anderem die Wachowski-Brüder und ihre Matrix-Trilogie. Superstar James Cameron zeigte sich von Oshiis Avalon-Experiment, bei dem er Realfilm und CGI-Animationen vor einem bizarren polnischen Endzeit-Szenerio mixte, restlos begeistert. Nach dem 2004 im Wettbewerb von Cannes vertretenden „Ghost In The Shell 2: Innocence“ präsentiert Oshii nun die bildgewaltige Anime-Elegie „The Sky Crawlers“. In seiner philosophisch unterfütterten, meditativen Einsamkeitsreflexion interessiert sich der Japaner wie gehabt nur wenig für vordergründige Actionsequenzen oder fantastisch-spannende Abenteuer und wird damit zwischen Begeisterungsstürmen und Fassungslosigkeit sicherlich die verschiedensten Reaktionen auslösen. Dabei beginnt „The Sky Crawlers“ noch ganz konventionell mit einer spektakulären Flieger-Kampfszene. Schwindelerregend rauscht die Kamera über den Wolken zwischen den Piloten und ihren Maschinen hin und her. Wer im Kriegsgewitter befreundet oder verfeindet ist, lässt sich für den Zuschauer kaum erkennen. Dieser Verwirrungszustand hat in „The Sky Crawlers“ durchaus Methode. Bis zum Schluss bleiben die Beziehungen zwischen den rätselhaften Figuren und den verfeindeten Parteien weitgehend im Unklaren.
In Oshiis Film-Utopie tobt ein heftiger Luftkrieg zwischen den Megarüstungskonzernen „Rostock“ und „Lautern“. Sinn und Zweck der medial ausgeschlachteten Auseinandersetzung ist einzig und allein die Ablenkung der Menschen von ihren Alltagsproblemen. Die Bevölkerung soll durch das hoch über ihren Köpfen tobende Schlachtenszenario ruhig gestellt werden. Diese zynische Politik geht auch glänzend auf. Leidtragende sind dabei die Kriegspiloten, die dank dieser Beruhigungsstrategie zu Tausenden ihr Leben lassen. Ein solches potentielles Opfer ist auch das junge Fliegerass Yuichi, dem mysteriöserweise jede Erinnerung an seine Vergangenheit fehlt. Auf seiner neuen Basis wird ihm schnell klargemacht, dass er zu den „Kildren“ gehört, einer genmanipulierten Menschenkaste, die nicht altert und nur für die Kriegsspiele der Konzerne taugt. Der immergleiche Stationsalltag zwischen dem Warten auf Einsatzbefehle, heiklen Kampfmissionen und gelegentlichen Bar- und Bordellbesuchen kann Yuichi nicht befriedigen. Nur zu seiner strengen Kommandeurin Suito fühlt er sich hingezogen. Doch die einsame Frau verbirgt ein streng gehütetes Geheimnis, das Yuichi aller Warnungen zum Trotz unbedingt enthüllen will.
„The Sky Crawlers“ basiert auf einem als unverfilmbar gegoltenen japanischen Bestseller von Hiroshi Mori. Oshii stellte sich der Herausforderung und wurde mit seinem Filmexperiment prompt in den Wettbewerb von Venedig eingeladen, wo er den Future Film Festival Digital Award gewann. Und allein für seine atemberaubende Ästhetik hat Oshiis Kunstwerk diesen Preis auch verdient. Denn die Bilder von „The Sky Crawlers“ wirken unglaublich realistisch und sind von großer poetischer Kraft. Oshii arbeitet hier mit einer Liebe zum Detail, die einem den Atem verschlägt. Jede Vase im Hintergrund und jedes Gemälde an der Wand ist präzise ausgestaltet. Neben plastischen, haarfeinen CGI-Animationen, die rauschende Luftkämpfe ermöglichen, kommen bei den emotional vertrockneten, ausgelaugten Figuren klassische Zeichentrickstile zum Einsatz. Dieser Gegensatz, zusammen mit den deprimierenden Grautönen und den entschleunigten Edward-Hopper-Ruheeinstellungen, verweisen auf die niedergeschlagene mysteriöse Stimmung der Geschichte.
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Einen Hauch von Melancholie erzeugt Oshii schließlich durch den genial-lyrischen Soundtrack von Kenji Karwai. Ansonsten weht auf der Gefühlsebene eher ein laues Lüftchen. Denn die traurig-traumwandlerischen Geschöpfe agieren betont unterkühlt und verweigern jeglichen emotionalen Bezug. Sicherlich war es von Oshii gewollt, seine Antikriegsbotschaft durch die Apathie der Charaktere auszudrücken. Doch die aufgesetzten Einstellungswiederholungen und bedeutungsschwangeren Dialoge doppeln nur noch den Monotonieeffekt und verweigern eine Plot- und Charakterentwicklung. Bezeichnend dafür ist, dass zwischen ästhetischem Zauber und erzählerischem Stillstand ausgerechnet in den Kampfeinsätzen der jungen Männer in ihren fliegenden Kisten filmische Glanzmomente aufblitzen. Viel zu oft scheint die zynische Gesellschaftsstudie ansonsten in ihrer verkrampfter Ereignislosigkeit festzustecken.
Fazit: Mamoru Oshii beweist mit „The Sky Crawlers“ einmal mehr seinen Ruf als bildmächtiger Anime-Künstler. Die Weihen seiner 15 Jahre alten Tech-Noir-Vision Ghost In The Shell erreicht er aber nicht. In Oshiis Welt der Scheintoten, ohne Hoffnung auf Erlösung, mangelt es - abseits der brillant animierten Luftkämpfe - ein wenig an Lebendigkeit und Spannung.