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    An Education
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    An Education
    Von Carsten Baumgardt

    Nick Hornby ist in den Neunzigerjahren mit Männerthemen zum Papst der Popliteratur-Renaissance aufgestiegen - und hat sich im Gegensatz zu vielen seiner Nachahmer trotz des dramatischen Abebbens der Welle bis heute im öffentlichen Interesse gehalten. Der englische Kultschreiber (Fever Pitch, High Fidelity, About A Boy) ist nicht stehengeblieben in der Entwicklung, stattdessen wandelt er sich ständig. Handelten Hornbys Romane anfangs immer von prägnanten Kerlen, tauchen in „A Long Way Down“ plötzlich zwei Frauen unter den Hauptfiguren auf. Diesen Weg setzt er mit seinem aktuellen Werk „Juliet, Naked“ fort und verstärkt dort weiter seine weibliche Perspektive. Genau zu diesem Prozess passt auch Hornbys zweites Kino-Drehbuch (nach „Fever Pitch“), das die Dänin Lone Scherfig als märchenhafte Coming-Of-Age-Romanze nach den Erinnerungen der Journalistin Lynn Barber verfilmt hat. Das in den Sechzigern angesiedelte Romantik-Drama „An Education“ nimmt die Perspektive der 16-jährigen Oxford-Kandidatin Jenny ein und begeistert neben tollen Schauspielerleistungen mit einer betörenden Atmosphäre, die Scherfig aber letzten Endes selbst entzaubert.

    Twickenham, vor den Toren Londons, 1961: Jenny (Carey Mulligan) ist eine hochintelligente Musterschülerin mit viel Potenzial. Aber sie stammt aus dem Arbeitermilieu, womit ihr Weg eigentlich vorgezeichnet ist. Diesem Schicksal soll sie mit einer ausgezeichneten Ausbildung entgehen. Ihr dominanter Vater Jack (Alfred Molina) predigt ihr immer wieder, alles daran zu setzen, den Sprung an die Eliteuniversität nach Oxford zu schaffen. Als sie den mysteriösen, aber unglaublich charmanten Lebemann David (Peter Sarsgaard) kennen lernt, beginnt Jenny zu rebellieren. Sie, die ohnehin alles Französische liebt, taucht voll in das abgehobene Szeneleben ihres neuen Endzwanziger-Freundes ein und verbringt viel Zeit mit ihm und dem Paar Danny (Dominic Cooper) und Helen (Rosamund Pike). Doch der neue Zeitvertreib führt bald zu Problemen in der Schule…

    Lone Scherfigs (Wilbur Wants To Kill Himself, Italienisch für Anfänger) „An Education“, der eine erfolgreiche Tour über Festivals wie Sundance oder die Berlinale absolviert hat, ist über zwei Akte hinweg ein traumhafter Film, der seine märchenhafte Atmosphäre geradezu zelebriert. Das intellektuelle Arbeiterkind Jenny betritt die fremde Welt der schönen Künste und des Lasters, entwickelt sich zum Freigeist, genießt das Leben mit klassischen Konzerten, exquisiten Auktionen, kühnen Ausstellungen und sündigen Nachtclubs – ein Vorgriff auf die Swinging Sixties, die jedoch erst Mitte dieser Dekade ausbrachen. Jenny raucht Kette, trinkt Alkohol, reist nach Paris in die Stadt der Liebe und ist dafür sogar bereit, ihren Traum von Oxford aufzugeben. Sie rebelliert gegen die festgefahrenen Regeln der Gesellschaft und bricht mit ihrer Bestimmung. Diesen Prozess inszeniert Scherfig grundsolide, aber das Prunkstück des Films bleibt das Ensemble. „An Education“ lebt hauptsächlich von überragenden Darstellerleistungen - allen voran Carey Mulligan (Brothers, Stolz und Vorurteil, Public Enemies) und Peter Sarsgaard (Jarhead, Kinsey, Machtlos).

    Mulligan gibt ihre Jenny zwischen offener Naivität, stiller Rebellion und frühreifer Weisheit mit einem Hauch von Audrey Hepburn. Die Engländerin spielt dabei so zuckersüß, dass ihr das Publikum eigentlich gar nichts krumm nehmen kann. Nach einigen kleineren Auftritten ist Mulligan in ihrer ersten Kinohauptrolle die Entdeckung des Films, obwohl Peter Sarsgaard sogar noch einen Tick besser spielt. Er ist als undurchsichtiger Charmeur einfach unwiderstehlich, ambivalent und dennoch sympathisch – es ist lange nicht auszumachen, wo seine Figur eigentlich hinsteuert. Aber im Gegensatz zu Mulligan ist das Talent des Amerikaners schließlich schon länger bekannt. Mit Garden State hat Sarsgaard bereits einen Film in der Vita, der ähnlich wie „An Education“ schlicht von seiner tranceartigen Atmosphäre zehrt. Doch im Gegensatz zu Zach Braffs Meisterwerk hält Lone Scherfig die Magie nicht aufrecht und entsorgt den Geist des Films im deutlich schwächeren dritten Akt jäh.

    Auch die Nebendarsteller glänzen mit ihren Beiträgen. Alfred Molina (Spider-Man 2, Chocolat) ist als gestrenger Vater so vorgefertigt in seiner Meinung und seinen Denkweisen, dass die Unsicherheit, die er innerhalb seiner Moralvorstellung zeigt, berührend ist. Er repräsentiert den einen Teil der Gegenüberstellung von der Sittenstrenge des Proletariats der Frühsechziger mit der beginnenden freigeistigen Bewegung. „An Education“ badet in den Maximen der Bourgeoisie, feiert sie mondän ab, um sie schließlich doch zu knechten. Und eben dieser letzte Schritt, zu dem sie die wahre Geschichte zwingt, nimmt „An Education“ so viel von seiner zuvor aufgetürmten Kraft.

    Rosamund Pike („Stolz und Vorurteil“, Surrogates, Das perfekte Verbrechen) steht für die geballte Eleganz, die dieser Lebensstil des Schönen hergibt, und konterkariert sie zugleich mit ihrer Darstellung der anti-intellektuellen Helen auf amüsante Art und Weise. Scherfig und Autor Hornby führen sie nicht vor, obwohl sie gelinde gesagt strohdoof ist. Vielmehr verdeutlichen sie an dieser Figur, dass in der Szene nicht immer nur Kunstverständnis und intellektuelle Höhenflüge, sondern mitunter auch so profane Dinge wie gutes Aussehen zählen. Der von Dominic Cooper (Die Herzogin, Mamma Mia!) porträtierte Snob fungiert als ausgleichendes Element. Er balanciert zwischen Vernunft und Kühnheit und garniert seine Figur mit einer dezenten Portion Arroganz.

    Fazit: „An Education“ ist ein über weite Strecken wunderschöner, unterhaltsamer Film, der von seinen überragenden Darstellern getragen wird. Leider schießt sich Regisseurin Lone Scherfig am Ende selbst ins Knie und verwässert ihre Freigeist-Fabel mit einem moralinsauren Finale.

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