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    Transsiberian
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Transsiberian
    Von Björn Helbig

    Die Illusion eines sicheren Reisewegs von A nach B hat schon Alfred Hitchcock fasziniert, z.B. bei Der Fremde im Zug oder auch bei „The Lady Vanishes“ von 1938. Genauso geht es auch Brad Anderson, dem Regisseur, der durch seinen Film The Machinist Kultstatus erlangte. In seinem neuen Streich lässt er ein Ehepaar auf ihrer Reise mit der transsibirischen Eisenbahn quer durch Russland allerhand durchleben. Mit „Transsiberian“ gelingt Anderson eine derbe Mischung aus verschiedenen Genres, die man allerdings zu nehmen wissen muss.

    Über 9.000 Kilometer – sieben Tage lang – mit der transsibirischen Eisenbahn von Peking nach Moskau – das ist die Reiseroute von Roy (Woody Harrelson) und Jessie (Emily Mortimer). Zuvor hat das streng gläubige amerikanische Pärchen im Auftrag seiner Bibeltruppe in Peking verbracht, nun sind die beiden auf dem Nachhauseweg. Sie hoffen, dass die Reise durch das exotische und schneebedeckte Russland auch die Rettung für ihre erkaltete Ehe sein könnte. Doch unterwegs lernen Roy und Jessie das undurchsichtige Pärchen, den Spanier Carlos (Eduardo Noriega) und seine amerikanische Freundin Abby (Kate Mara), kennen. Eine verhängnisvolle Begegnung, die zunächst von amourösen und kriminellen Verstrickungen gekennzeichnet ist.

    „Transsiberian“, das wird schnell klar, ist anders als andere Filme. Viele Minuten vergehen, und dann ist einem noch immer nicht so recht klar, in welcher Sorte Film man eigentlich sitzt. Grob lässt sich Andersons Werk in drei Teile teilen. Zunächst entsteht der Eindruck, man habe es mit einem Charakterdrama zu tun, in dem es vor allem und die Beziehung zwischen Roy und Jessie geht. Doch dann macht der Film einen Schwenk (nicht den einzigen) und der Zuschauer glaubt sich in einem klassischen, an Alfred Hitchcock angelehnten Eisenbahn-Thriller, dessen Schwerpunkt Jessies Verdacht bezüglich ihrer Reisegenossen ist. Nach einem (sehr unterwarteten) amourös-letalen Intermezzo bei einem Zwischenstopp dreht der Regisseur im letzten Drittel noch einmal richtig auf und man wähnt sich ob der Brutalität kurz in einem Horrorfilm.

    Um den Film zu mögen, muss der Betrachter mit mehreren Kritikpunkten klarkommen. Die Transsibirische Eisenbahn verbindet bei einer Strecke von fast 10.000 Kilometern Moskau mit Wladiwostok am Pazifik. Sie hat etwa 400 Haltepunkte. Wer jetzt allerdings erwartet, Anderson würde allzu viel Kapital aus der langen, durch exotische Regionen führenden Wegstrecke ziehen, muss leider enttäuscht werden. Für Anderson dient das Setting allein dem Spannungsaufbau. So ist „Transsiberian“ optisch zwar ein Genuss. Die Atmosphäre im Zug und die einsamen Waldlandschaften außerhalb sind von dem spanischen Kameramann Xavi Giménez („Fragile“, „The Dark“) sehr stimmungsvoll eingefangen. Doch die Landschaft außerhalb des Zuges vermittelt Isolation, Einsamkeit und Fremdheit. Und auch die Eisenbahn ist von allerlei zwielichtigen Gestalten bevölkert, die bedrohliche Geschichten zum Besten geben. In „Transsiberian“ erscheint Russland als unzivilisiertes und bedrohliches Land. Es ist nicht ganz leicht, mit den permanenten, xenophobischen Untertönen klar zu kommen, wenngleich sie lediglich aus dramaturgischen Gründen ins Spiel gebracht werden. Filme wie Hostel können sich das Schüren von Ängsten gegenüber dem Fremden vielleicht erlauben, für einen Regisseur wie Brad Anderson wirkt dieses Vorgehen aber vielleicht etwas zu simpel. Andererseits: „Transsiberian“ versteht sich als reiner Unterhaltungsfilm. Wer mit dieser Prämisse nicht zurechtkommt, ist definitiv im falschen Film. Hier soll weder ein Beitrag zur kulturellen Verständigung geleistet noch Russland als neues Ferienland beworben werden. Der Film soll vor allem eines: spannend sein. Und das gelingt ihm!

    Gleiches gilt für die Konflikte in und zwischen den Figuren. Auch hier hat Anderson trotz der für einen Thriller erstaunlich komplexen Figurenzeichnung kein tieferes Interesse für deren Charakter; auch die Figurenzeichnung dient einzig und allein dem Thrill, der sich Stück für Stück im Laufe des Films nach oben schraubt. Die Schauspieler fügen sich perfekt in ihre Rollen ein und halten die Gesinnung ihrer Figuren in der Schwebe. Das fängt an mit Roys und Jessies Beziehung, von der man lange Zeit nicht weiß, wie sie einzuschätzen ist. Emily Mortimer (Young Adam, Paris, Je T´Aime) spielt die Jessie mit vielen Grautönen, so dass es schon unabhängig von der restlichen Geschichte spannend ist, ihr zuzusehen. Ihre Figur ist schon ein Thriller in sich, der sich allerdings erst richtig entfaltet als sie auf Carlos trifft. Eduardo Noriega (Open Your Eyes, 8 Blickwinkel) gibt seinen Charakter an der Grenze zum Overacting, doch dem faszinierenden Charisma des Spaniers ist es zu verdanken, dass seine Gratwanderung zwischen Aufdringlichkeit und Anziehungskraft hinhaut. Nicht ganz so stark, aber immer noch interessant sind die Lebenspartner der beiden: der von Woody Harrelson (No Country For Old Men, Last Radioshow) eigenwillig gespielte Roy und Kate Maras (Brokeback Mountain, Shooter) zurückhaltende Abby. Toll und ziemlich zwielichtig ist mal wieder Ben Kingsley (Das Haus aus Sand und Nebel, Schindlers Liste) als undurchsichtiger Polizist Grinko, Hollywood-Export Nummer eins, Thomas Kretschmann (Rohtenburg, King Kong), gibt routiniert dessen Schergen.

    „Transsiberian“ ist ein im positiven Sinne seltsamer Film. Er schlägt gleich mehrere Haken, legt falsche Fährten und zitiert vergnügt aus zahlreichen Thrillern des letzten Jahrtausends. Lange ist überhaupt nicht klar, worauf das alles hinauslaufen soll. Die einen werden es dem Film als mangelnde Stringenz auslegen oder die Glaubwürdigkeit der Geschichte anzweifeln. Die Mehrzahl der Zuschauer wird es aber hoffentlich schaffen, den Film trotz seiner Kapriolen zu genießen und sich von Brad Andersons neuestem Streich fesseln zu lassen.

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