Im Vorfeld der Weltpremiere im Rahmen der Berlinale 2008 wurde in den Feuilletons eine Menge über Luigi Falornis Kindersoldaten-Drama „Feuerherz“ und vor allem die umstrittene literarische Bestseller-Vorlage (mehr als 600.000 verkaufte Exemplare) von Senait G. Mehari berichtet. Es waren immer mehr Stimmen laut geworden, die die Wahrheit der autobiographischen Erzählung der Sängerin („Mein Weg“) in Frage stellten. Einen Gerichtsprozess haben Mehari und ihr Verlag in erster Instanz bereits verloren. Die Frage war nun, ob sich diese Problematik auch auf den Film übertragen würde? Die Antwort fällt eindeutig aus: nein! Zum einen haben das produzierende Studio Senator und die Filmemacher ihren Film nur lose an die Vorlage angelehnt, aus der sechsjährigen Senait wurde beispielsweise die zehnjährige Awet. Der einzige Fakt, der zählt, ist die Existenz von Kindersoldaten in der eritreischen Befreiungsarmee – und die wird heute von kaum einer ernst zunehmenden Quelle mehr bestritten. Zum anderen stellt sich die Frage nach der „Wahrheit“ im Anschluss an die Kinoversion von „Feuerherz“ gar nicht ernsthaft. Die Story ist so mit Allgemeinplätzen vollgestopft, die Anti-Kriegs-Metaphern sind so platt, die Laiendarsteller so überfordert, dass man dem Film seine Geschichte und Figuren sowieso nie abnimmt.
Als Baby wurde die zehnjährige Awet (Letekidan Micael) ausgesetzt. Seitdem wächst sie von Nonnen wohlbehütet in einem Kloster in Eritrea auf. Ihr Vater ist ein Aufschneider, der sich gerne als Kriegsheld aufspielt, dabei stammen seine eindrucksvollen Narben von einer simplen Kneipenschlägerei. Aus einer Laune heraus holt er seine Tochter in die Familie zurück. Damit ist seine neue Frau jedoch gar nicht einverstanden, es ist schon so schwer genug, die vielen hungrigen Kindermäuler zu stopfen. Deshalb werden Awet und ihre Schwester an die militärische Kampfeinheit „Töchter Eritreas“ abgegeben. Zunächst ist Awet von der Idee, für ihr Land kämpfen zu dürfen, begeistert. Als sie aufgrund ihrer Größe vorerst kein echtes, sondern nur ein Holzgewehr überreicht bekommt, setzt sie sich gegen diese Bevormundung zur Wehr. Nachdem sie die ersten Toten und Verletzten gesehen, die Schrecken des Krieges am eigenen Leib erfahren hat, lehnt sich Awet gegen das Blutvergießen immer mehr auf: Zum Beispiel nimmt sie heimlich die Patronen aus den Gewehren ihrer Kameraden…
Das erste und größte Problem von „Feuerherz“: Der Film lässt den Zuschauer vollkommen kalt. Dies liegt vor allem daran, dass Awat kein einfaches kleines Mädchen ist, das als Kindersoldatin in die Wirren des Krieges hineingezogen wird, sondern eine märchenhafte Figur, der das Weltgewissen schwer auf den Schultern lastet. Sie ist vielmehr eine Art Anti-Kriegs-Superheld als ein glaubhaftes Opfer. Die Wandlung vom einfachen, naiven Mädchen hin zur überzeugten Pazifistin und Kriegsgegnerin nimmt man ihr keine Sekunde ab. Dies hat auch mit der Besetzung mit Laiendarstellern zu tun, die das Produktionsteam aus eritreischen Flüchtlingen in Nairobi gecastet hat. Ihren Laienstatus kann man den Schauspielern natürlich nicht vorhalten, aber man kann Regisseur Falorni vorwerfen, dass er seine ungeübten Darsteller nicht zu führen versteht. Gerade die junge Letekidan hat keine Chance – die Rolle der symbolisch überhöhten Awat ist viel zu komplex für eine Anfängerin. Bei den anderen fallen die ersten Schauspielstehversuche zwar im Vergleich deutlich weniger wacklig aus, dies liegt aber in erster Linie daran, dass den oberflächlichen Nebenfiguren auch nur eine Charaktereigenschaft pro Kopf zugebilligt wird.
Aus der Tatsache, dass sich Awat stets so verhält, wie wir uns das wünschen, und nicht so, wie es psychologisch nachvollziehbar wäre, ergibt sich auch noch ein weiteres Problem: Indem der Film behauptet, dass Kindersoldaten einfach die Waffen niederlegen und abhauen könnten, verurteilt er indirekt all diejenigen, die es nicht tun – eine fatale Sichtweise, stehen die meisten kindlichen Täter doch unter einem solch unvorstellbaren psychischen Druck, dass man solch ein Verhalten unmöglich von ihnen verlangen kann und sollte. Sowieso scheint Falorni wenig Interesse an den negativen Seiten seiner Geschichte zu haben. Tod und Gewalt sind auf ein absolutes Minimum beschränkt, eine wirklich bedrohliche Stimmung kommt nie auf.
Wenn Awat die Patronen aus den Gewehren nimmt, wird sie dafür nur mit einer Ohrfeige und Strammstehen bestraft. Ein besonders netter Ausbilder erinnert gar an einen ausgebildeten Sozialpädagogen. Die Schrecken des Krieges sucht man weitestgehend vergeblich, stattdessen erinnert das Ausbildungscamp streckenweise an ein Ferienlager. Die Anti-Kriegs- („die tragen ja genau die gleichen Schuhe wie wir“) und religiösen (das titelgebende Feuerherz) Metaphern sind platt wie eine Flunder, die katholischen Anspielung verbreiten dazu noch eine unangenehme missionarische Stimmung – immerhin begegnet Awet ihrem Schicksal wie Jesus. Die „Form über Inhalt“-Diskussion ist so alt wie das Kino selbst. Im Fall von „Feuerherz“ müsste man jedoch eher von „Postkarten über Inhalt“ sprechen. Genau wie bei seinem Oscar-nominierten Dokumentarfilm Die Geschichte vom weinenden Kamel interessiert sich Falorni nämlich auch hier vor allem für große Kinderaugen – und sonnendurchflutete Afrika-Panoramen.
Fazit: „Feuerherz“ ist ein typischer Fall von „gut gemeint ist das Gegenteil von gut gemacht“. Bürgerkrieg light – nein danke!