Die Karriere zahlloser Filmschauspieler schnellt wie vom Katapult angetrieben in die Höhe, um dann nur kurz in olympischen Höhen zu verharren und anschließend umso schneller wieder zu verglühen. Noch mehr erhalten nie die Chance, nicht einmal für die berühmten Warhol’schen 15 Minuten, einmal ein Star zu sein. Nur ganz wenigen ist so viel Talent, Wandlungsfähigkeit, Begabung und darstellerisches Können gegeben, um sich dauerhaft als wirklich Große ihres Faches zu etablieren. Und dann gibt es – als vierte und ganz kleine Kategorie - noch diejenigen, denen das Schicksal des antiken Sparta zuteil wird: Sie verharren auf ewig in dem Rollenklischee fort, das sie einst bekannt hat werden lassen, selbst über Jahrzehnte entwickeln sie sich nie auch nur ansatzweise darstellerisch weiter, aber gehen auch nie wirklich unter, kurz und knapp formuliert: Sie versteinern. Zu ihnen zählt Chuck Norris. Sein neuester Actionfilm „The Cutter“ ist jetzt ohne den Umweg über die Kinoleinwand auf DVD erschienen.
Keine Frage, ein begnadeter Darsteller war der 1940 als Carlos Ray Norris geborene ehemalige Karate-Champion noch nie. Die seltene Kombination aus Kampfkunst und schauspielerischem Talent scheint westlichen Martial-Arts-Darstellern gänzlich abzugehen, ganz im Gegensatz zu ihren asiatischen Kollegen, angefangen von der gottgleichen Schwertkönigin Hsu Feng über die Großen der Branche Jackie Chan und Jet Li bis zur hinreißenden Ziyi Zhang. Aber es gab wenigstens einmal eine Zeit, als Chuck Norris noch ein halbwegs gefragter Mann war. Bekannt geworden 1972 als Finalgegner des großen Bruce Lee in „Die Todeskralle schlägt wieder zu“ trat er in den 70er Jahren auf der Leinwand blond, mit freiem Oberkörper und adrett um sich kickend gegen allerlei Bösewichter – zumeist Mafiagangster, irre Schlitzer und Ninja-Killer – an.
Keiner dieser Filme war einen Pfifferling wert, aber sie hielten Chuck Norris populär und auf der Leinwand, bis dann seine Stunde 1983 mit dem großartigen Karate-Western „McQuade der Wolf“ schlug. Das Duell zwischen dem im koreanischen Tangsudo-Stil kämpfenden Chuck Norris und dem auf chinesisches Kung-Fu spezialisierten David Carradine (Kill Bill Vol. 2) gehört zu den besten Mann-gegen-Mann-Kämpfen, die je auf der Leinwand zu sehen waren, und ist zugleich eines der ungewöhnlichsten: Es ist im Gegensatz zu den allermeisten artistischen Tanz- und Sprungkunststückchen anderer Filmkämpfe sogar größtenteils realistisch.
Mit diesem Erfolg hat Chuck Norris jedoch seinen Rollentypus für alle Zeiten festzementiert und eingefroren. Seitdem hat er in allen Filmen immer und immer wieder nur diesen einen Charakter gespielt: Den bärtigen, wortkargen, bärbeißigen, bulligen, aber im Grunde herzensguten Anti-Helden, häufig gejagt von irgendwelchen Geistern der Vergangenheit, gnadenlos gegen seine Gegner, und ebenso bemüht und hilfreich um das Wohlergehen der Guten, steinern, monolithisch und unzerstörbar. Diesen Typ spielte er genauso im hervorragenden Thriller „Code Of Silence“ des späteren Auf der Flucht-Regisseurs Andrew Davis wie in den erzreaktionären Hetzpropaganda-Kriegsfilmen „Missing In Action“, „Invasion USA“ und „Delta Force“.
Als mit dem Beginn der 90er Jahre der „Niedergang der Fleischpaläste“ (Peter Zander, Berliner Morgenpost) eingeläutet wurde, reagierten deren Hauptfiguren unterschiedlich: Arnold Schwarzenegger versuchte sich erst als Komödiant und dann als Politiker, Sylvester Stallone im Charakterfach. Die zweite Garde der Haudraufmänner hingegen aus Jean-Claude van Damme, Steven Seagal und Chuck Norris drehte ungerührt weiter Filme, denen eine kleine, aber offensichtliche unverbrüchlich treue Fanschar das Überleben in den Videothekenregalen ermöglichte.
Und so ist es bis heute geblieben. „The Cutter“ reiht sich nahtlos ein in die Serie völlig belangloser, ewig gleicher Direct-To-video-Produktionen des einstigen Karate-Champs. Im Gegensatz zu dem inzwischen in wirklich unfassbar grottige Abgründe abgerutschten Van Damme kann man den Norris-Produktionen und ihrem sichtlich gealterten Hauptdarsteller sogar einen gewissen trashigen Charme noch nicht einmal ganz absprechen. Natürlich, der Mann haut immer noch drauf, wenn’s sein muss, schießt bei Bedarf scharf und verprügelt zwischendurch dekorativ schwitzend einen Sandsack. Aber in manchen Szenen steht der inzwischen 66-Jährige so offen zu seinem Alter, dass man ihm trotz aller filmischer Mängel nicht wirklich böse sein kann.
„The Cutter“ ist nach 18 Jahren die zweite Zusammenarbeit von Chuck Norris und Regisseur William Tannen, die 1988 „Hero And The Terror“ drehten. Als Privatdetektiv John Sherpherd wird Hauptdarsteller Norris auf die Entführung des greisen Diamanten-Schleifers Isaac Teller (Bernie Kopell) angesetzt. Ihm zur Seite steht dabei eine ebenfalls sichtlich gealterte, aber immer noch recht ansehnliche Joanna Pacula (Gorky Park, „Tombstone“) als Nichte des Entführungsopfers. Den Part des Bösewichts übernimmt mit dem Jean-Claude-Van-Damme-Klon Daniel Bernhardt immerhin einer, der sich tatsächlich aufs Kampfsportgeschäft versteht. Der 41-jährige Schweizer, vormals Fotomodell, trat in drei „Bloodsport“-Sequels in die Fußstapfen des plumpen Belgiers Van Damme und durfte einmal sogar, nämlich in Matrix Reloaded als Agent Johnsson, in die Gefilde eines A-Pictures vorstoßen. Todd Jensen als undurchschaubarer FBI-Agent und Marshall R. Tague als Polizeichef komplettieren das typisch-trashige B-Picture-Ensemble. Und natürlich – wie könnte es anders sein – darf Chucks Bruder Aaron in einer Mini-Gastrolle als Interpol-Agent nicht fehlen.
Die Story ist an Nichtigkeiten kaum zu übertreffen, selbst angesichts eines marktschreierisch inszenierten Diamantenfundes mit biblisch-historischem Hintergrund in der Wüste Sinai. Glücklicherweise verzichtet das Drehbuch trotz mehrfacher Möglichkeit dazu auf jeglichen mystischen Fantasy-Firlefanz und lässt die Diamanten schlicht nur Diamanten sein, auf die es ein böser Alt-Nazi und dessen skrupelloser Handlanger abgesehen haben. Die haben jedoch nicht mit der Standhaftigkeit des toughen Privatdetektivs John Sherpherd gerechnet, der den finsteren Gesellen trotz manigfaltiger kampfbedingter Blessuren einen Strich durch die Rechnung macht. Das geht zwar actionreich, aber gemessen an heutigen Hollywood-Produktionen mehr als bieder vonstatten. Selbst der unvermeidliche Endkampf zwischen Chuck Norris und seinem Kontrahent Bernhardt ist altmodisch, ja geradezu behäbig in Szene gesetzt. Und im Gegensatz zu früher, als Chuck Norris ohne mit der Wimper zu zucken die Schläge seiner Gegner parierte, darf ihn der 20 Jahre jüngere Bernhardt hier auch einmal richtig ordentlich vermöbeln. Als Entschädigung des Helden hat dann in einer anderen Kampfszene ein Gegner von Chuck Norris in genau der gleichen Weise die Flügel strecken, in der ihn einst 1972 in „Die Todeskralle schlägt wieder zu“ das Schicksal des unterlegenen Kämpfers ereilte.
Auch wenn „The Cutter“ ansonsten nicht viel taugt, gerade das hebt den Film auf sympathische Weise von dem Müll eines Jean Claude van Damme ab, dem offensichtlich jegliches Gespür dafür abhanden gekommen ist, wann es Zeit ist, aufzuhören. Der Rest von „The Cutter“ ist hingegen B-Ware von der Stange, reichlich unaufwendig in Szene gesetzt, müde gespielt und lustlos heruntergespult.