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    Pi - Der Film
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Pi - Der Film
    Von Alina Bacher

    Mathematiker sind schon ein komisches Völkchen. An jeder Schule gibt es den ein oder anderen Mathematiklehrer, der ein wenig durchgeknallt ist und fernab von der Realität sein eigenes Leben in der Welt der Zahlen und Funktionen lebt. Diese Eigenbrötler lieben es, ihre Mitmenschen mit unverständlichen Zahlenfolgen zu quälen und brachten schon so manchen Schüler zur Verzweiflung. Solch einen Rechenkünstler und seine Zahlenakrobatik in den Mittelpunkt eines Films zu stellen, klingt vielleicht anfangs nicht so verlockend. Doch Regisseur Darren Aronofsky tut genau das und zwar so gut, dass sein Thriller-Drama „Pi“ spätestens seit seinem immensen Erfolg am Sundance Film Festival 1998 Kultstatus erreicht hat. Mit einem eingängigen Soundtrack und beklemmenden Aufnahmen nimmt Aronofsky den Zuschauer mit in die beängstigende Nummernwelt des Mathematikgenies Max Cohen. Ein Filmereignis nicht nur für Mathefreaks.

    Alles auf der Welt ist Mathematik. Bestimmte Muster machen selbst die Natur vorhersehbar und die Zukunft kann mithilfe einer universellen Weltformel berechnet werden. Dieser Überzeugung ist das Mathematikgenie Max Cohen (Sean Gullette) und jagt seit Jahren dieser allgegenwärtigen „Universalformel“ hinterher, mit der man sogar die Aktienkurse vorhersagen kann. Er ist sich sicher, dass dieses immer wiederkehrende Muster mit der wohl mysteriösesten Zahl der Mathematik zu tun hat: der unendlichen Kreiszahl Pi. Als er kurz vor dem Durchbruch steht, werden skrupellose Wall-Street-Makler auf Max und seine Formel aufmerksam. Kein Wunder, denn wer die Aktienkurse bereits im Voraus kennt, beherrscht die Weltwirtschaft. Mit allen Mitteln versuchen sie von Max die Formel zu bekommen. Doch das ist nicht das einzige Problem des Ausnahmewissenschaftlers: Auch die Anhänger einer radikalen jüdischen Glaubensgemeinschaft haben es auf Maxs Rechenkünste abgesehen, denn mithilfe seiner Weltformel könnten sie den göttlichen Code in der Thora entschlüsseln und Gottes wahren Namen herausfinden. Je tiefer Max in den Sog von Pi gerät, desto mehr leidet er unter Anfällen, Halluzinationen und Paranoia. Bald kommen ihm Zweifel, ob Pi und somit seine ganze Forschungsarbeit jemals zu einem Ergebnis führen kann.

    Durchgeknallte Mathematikfreaks hat uns Hollywood bereits einige vorgestellt: Matt Damon in „Good Will Hunting“ oder auch Russell Crowe in „A Beautiful Mind“. Das hat nicht nur dem Publikum, sondern auch der Academy gefallen: Beide Filme wurden mit dem Oscar ausgezeichnet. Der dritte Film im „Bunde der freakigen Mathematiker“, „Pi“, bekam zwar keinen Goldjungen, dafür aber Lob und Anerkennung beim Sundance Film Festival. Seit seinem Erfolg mit den Zahlendrama ist Regisseur Darren Aronofsky den meisten Cineasten ein Begriff und spätestens nach „Requiem For A Dream“ auch der Oscar-Jury.

    In „Pi“ beweist der Harvard-Absolvent Aronofsky, dass man mit einem Minimalbudget von 60.000 Dollar einen wirklich guten Film drehen kann. Natürlich darf bei so einem Budget nicht erwartet werden, dass der Film durch Special Effects und teure Requisiten besticht, aber das braucht er auch nicht, denn selbst mit wenigen Mitteln schafft es Aronofsky einen beklemmenden Wahnsinns-Trip zu inszenieren. Die Bilder sind zwar von der technischen Qualität her nicht besonders und auch die Kameraführung ist eher wackelig als präzise, weshalb der Film schon so manchem kritischen Zuschauer missfallen hat. Doch es handelt sich bei „Pi“ in erster Linie ja auch um einen kleinen Indie-Film, der erst später zu Ruhm und Ehre kam. Es gibt durchaus Indie-Produktionen, bei denen die Bildqualität schlechter ist.

    Wer seichtes Popcorn-Kino mit wenig Tiefgang liebt, der sollte von „Pi“ lieber die Finger lassen. Komplett in Schwarz-Weiß gedreht und mit einer sehr düsteren Thematik kommt Aronofskys Spielfilmdebüt daher. Zartbesaitete Gemüter können da schon schnell an ihre Grenzen stoßen. Existentielle Fragen wie: „Wie viel Wissen darf der Mensch haben?“, „Gibt es Fragen, die man einfach nicht beantworten kann?“ und „Wo ist die Grenze zwischen Glaube und Wissenschaft?“ durchziehen den ganzen Film. Auf eine gewisse Weise versucht Aronofsky die Antwort auf einige dieser Fragen zu finden, doch bleibt dem Zuschauer die letztendliche Lösung des Rätsels selbst überlassen. „Pi“ regt nicht nur zum philosophieren an. Vielmehr stellt sich der Zuschauer auch bald den mathematischen Fragen, die Max Cohen im Film beantworten will. Mit ein paar leichtverständlichen Beispielen aus der Natur gibt Aronofsky den Anstoß zum Nachdenken, denn vielleicht gibt es ja wirklich ein Muster hinter dem Leben und alles, was je passieren wird, kann mit einer Weltformel ausgerechnet und vorhergesagt werden. Inwieweit das mathematischen korrekt und sinnvoll ist, ist fraglich. Doch selbst Mathematikhasser werden sich nach diesem Film ein paar Gedanken machen, oder es zumindest versuchen.

    Oscarreif ist auf jeden Fall die Darstellung von Sean Gullette als paranoider Mathematiker und Eigenbrötler. Während Russell Crowe für die Rolle eines schizophrenen Wissenschaftlers völlig zu unrecht nicht mit dem Oscar ausgezeichnet wurde, wird auch die schauspielerische Leistung Sean Gullettes nur selten gewürdigt. Gullette schafft es, die Rolle glaubhaft zu vermitteln und macht begreiflich, wie dünn die Grenze zwischen Genie und Wahnsinn eigentlich ist. Auch Mark Margolis in der Rolle des weisen Mathematikprofessors Sol Robeson macht seinen Job sehr gut. Als Mentor des Mathegenies Max versucht er ihn wieder in die reale Welt einzugliedern, doch stößt er damit bei seinem Schützling auf taube Ohren.

    Auf dem Sundance Film Festival gewann Aronofsky mit „Pi“ die Auszeichnung für die beste Regiearbeit. Vollkommen zurecht, denn die Szenenabfolge kann genialer nicht sein. Die Grenzen zwischen Realität und Wirklichkeit verschwimmen genauso schnell, wie die zwischen Genie und Wahnsinn. Dazu gibt es einen hämmernden Soundtrack, der die ständige Paranoia des Mathegenies hörbar macht und nur von wenigen ganz und gar stillen Momenten unterbrochen wird. Die ständige Gratwanderung zieht gehörig an den Nerven, denn zwanghafte Zahlenakrobatik und beklemmende Halluzinationen wechseln sich rasch ab, und das Ergebnis ist ein bildreicher Höllentrip in Schwarz-Weiß.

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