Wenn man Pearl Harbor als historischen Moment amerikanischer Geschichte benennt, kommt man inzwischen kaum umhin, dabei auch das gleichnamige Machwerk von Michael Bay mitzudenken. So ist dieser Wendepunkt im Kriegsgeschehen zwischen den USA und Japan cineastisch unlösbar verbunden mit plattem Hollywood-Entertainment und dem hölzernen Spiel Ben Afflecks. Auch Mikaël Hafströms Spionagethriller „Shanghai" bezieht sich unmittelbar auf die Ereignisse um den japanischen Fliegerangriff, fern von Bays aufgeblasener Pyrotechnik-Gala. Der schwedische Regisseur verlagert die Handlung seines Films nach China und inszeniert die Stadt Shanghai und ihre politischen Rahmenbedingungen als Brennglas der Geschichte. Leider arbeitet sich Håfström zu sehr an Genrekonventionen ab. Zudem bleibt ausgerechnet sein Protagonist gleichermaßen inhaltlich wie darstellerisch blass. Nichtsdestotrotz unterhält „Shanghai" als solider Genrefilm mit ungewöhnlicher Perspektive.
Der Mord an seinem besten Freund veranlasst den amerikanischen Spion Paul Soames (John Cusack), nach Shanghai zu reisen, um das Verbrechen aufzuklären. Schnell muss er einsehen, dass er sich bei seinen Ermittlungen auf politischem Parkett bewegt. Die in Sektoren geteilte Stadt wird von verschiedenen Interessengruppen bestimmt, allen voran von den Japanern. Soames Nachforschungen verwickeln den Spion in ein schwer durchschaubares Ränkespiel, bei dem die chinesische Widerstandsbewegung, der unter anderem die schöne und geheimnisvolle Anna Lan-Ting (Gong Li) angehört, eine gewichtige Rolle spielt. Zudem scheint der Mord in Verbindung zu stehen mit geheimen Militärplänen der Japaner...
Visuell bleibt „Shanghai" wenig schuldig. Das Setting ist mit einer Detailverliebtheit nachgebildet, die den Thriller in die Nähe eines Ausstattungsfilms rückt. Die Eindrücke vom Shanghai der 1940er, die bei aller Umsicht in puncto Rekonstruktion filmisch nicht im Vordergrund stehen und man hier eher en passant erhascht, sind exotisch: Chinesischer Traditionalismus und westlich geprägtes Jazz- und Revue-Entertainment durchdringen einander und bilden ein optisch überaus spannendes Amalgam. Håfströms Ziel ist es jedoch nicht primär, mit Schauwerten zu protzen. Vielmehr ist „Shanghai" im Kern ein ambitioniertes Statement zum bedeutendsten politischen Paradigmenwechsel Amerikas im vergangenen Jahrhundert.
„Like every good American, I kept my head down", sagt Soames zu Beginn und paraphrasiert damit die Monroe-Doktrin als Basis amerikanischer Außenpolitik bis zum Zweiten Weltkrieg. Seine Wandlung vom Beobachter zum Anteilnehmenden, zum aktiv Gestaltenden entspricht der veränderten Rolle der USA im Zuge des Krieges. „The heart is never neutral", heißt es entsprechend programmatisch zum Ende des Films hin – ein Statement, das mit Blick auf Afghanistan und den Irak heute noch einiges an Diskussionsstoff bietet. Trotz seines anspruchsvollen Subtexts ist „Shanghai" jedoch nicht politisch provokant, noch nicht einmal dezidiert geschichtsanalytisch. Das liegt daran, dass Erzählkonventionen des Spionagefilms den spannenden Ansatz überlagern und in den Hintergrund treten lassen.
Von den Off-Kommentaren über den standesgemäß verwickelten Plot bis hin zur Romanze des Protagonisten mit der geheimnisvollen Fremden werden Schemata bedient und kaum modifiziert. Zudem sticht aus dem gut aufgelegten Starensemble (Chow Yun-Fat, Franka Potente und David Morse) ausgerechnet Hauptdarsteller John Cusack negativ heraus. Zwar ist sein Spiel solide, allerdings wünscht man sich von der Figur des Spions, zumal im Rahmen einer derart klassischen Herangehensweise, doch etwas mehr dunkle Ausstrahlung. So ist „Shanghai" ein ordentlicher, wenn auch zu traditionell inszenierter Spionagefilm. Die inspirierte Idee, einen vermeintlichen Nebenschauplatz als entscheidende Schnittstelle historischer Entwicklungen herauszuarbeiten, hätte allerdings ruhig pointierter umgesetzt werden können.