Seit Pixar vor 15 Jahren mit „Toy Story“, dem ersten komplett am Computer entstandenen Kinofilm, einen Volltreffer an den Kinokassen landete, hat das Studio seine Markführerschaft – zumindest was die Qualität von Animationsfilmen angeht – nicht wieder hergegeben. Der Disney-Konzern, der zuvor das Zeichentrick-Segment bestimmt hatte, spielte plötzlich nur noch die zweite Geige. Natürlich lässt ein Global Player wie Disney sich nur eine bestimmte Zeit lang von einem Newcomer wie Pixar auf der Nase herumtanzen: 2006 hat Disney Pixar für 7,4 Milliarden Dollar geschluckt. Seitdem hat Pixar-Mastermind John Lasseter („Das große Krabbeln“, „Toy Story 2“) nicht nur die Hoheit über seine hauseigenen Produktionen, sondern wirft auch einen Blick auf den Output der 3D-Schmiede von Disney. Das Animations-Abenteuer „Bolt – Ein Hund für alle Fälle“ ist nun der erste Disney-Film, der unter der Anleitung von Lasseter entstanden ist, und der spezielle Pixar-Touch ist dem Ergebnis auch deutlich anzumerken: „Bolt“ stellt frühere Disney-Stehversuche wie Himmel und Huhn locker in den Schatten. Mit Meisterwerken wie Ratatouille oder Wall-E kann „Bolt“ deshalb aber noch lange nicht konkurrieren.
Er durchbohrt Stahlwände mit seinem Laserblick, löst Erdbeben mit seinem Bellen aus und springt locker 20 Meter weit. Der Superhund Bolt (Stimme: Christian Tramitz) kennt weder Angst noch physikalische Grenzen, wenn es darum geht, sein Frauchen Penny aus einer Gefahr zu retten. Dass seine Superkräfte und seine waghalsigen Abenteuer nicht real sind, sondern Teil einer Hollywood-Show, lernt der süße Vierbeiner auf die harte Tour. Die Produzenten der Show wollen noch mehr Zuschauer an die Serie binden und bedienen sich deshalb eines besonders gemeinen Cliffhangers: Penny wird von einem grünäugigen Schurken entführt – doch statt der üblichen Rettungsmission heißt es diesmal: Kamera aus. Die Schauspieler gehen nach Hause, während Bolt in seinem Wohnwagen hockt und die Entführung weiterhin für authentisch hält. Um Penny zu retten, bricht der selbstbewusste Kläffer aus. Auf seiner Mission lernt Bolt bald die Katze Mittens (Stimme: Vera Teltz) und den freakigen Hamster Dino (Stimme: Axel Stein) kennen. Außerdem versteht er, dass man keine Superkräfte haben muss, um ein wahrer Held zu sein…
„Bolt“ setzt da an, wo Die Truman Show aufhört: Nachdem er sein Leben lang unwissentlich Teil einer TV-Show war, muss der vierbeinige Filmheld plötzlich im realen Leben zurechtkommen. Das ist für Bolt deshalb besonders schwer, weil er sich nicht nur in einer fremden Welt zurechtfinden, sondern auch ohne seine Spezialkräfte auskommen muss. Wenn Bolt zu einem seiner Supersprünge ansetzt, landet er in der Realität nun einmal zwangsläufig auf der Schnauze, was beim Kinopublikum zu großem Gelächter führt.
Animationstechnisch ist der Film auf dem neuesten Stand. Fast fühlt man sich an Falsches Spiel mit Roger Rabbit erinnert, in dem animierte Charaktere in echten Kulissen auftreten. Auch in „Bolt“ sehen manche Landschaften und Städte so fotorealistisch aus, dass nur noch die Figuren mit ihren niedlichen Kindchen-Schema-Proportionen (große Augen, Stupsnase) als animiert auffallen. Das Gras wiegt sich glaubhaft im Wind und das Fell der knuddeligen Protagonisten bewegt sich so natürlich, dass die vollständige Verschmelzung von Realfilm und Computeranimation in greifbarer Nähe scheint.
Leider zeichnen sich die Charaktere insgesamt durch simple Einseitigkeit aus. Zudem sind sie bereits aus zahlreichen anderen Filmen bekannten Figuren deutlich ähnlicher, als ihnen gut tut. Bolt steht als klassische Heldenfigur in der Tradition von Buzz Lightyear, der in „Toy Story“ erkennen musste, dass er nur ein Spielzeug und kein echter Superheld ist. Die Katze Mittens, die sich Bolt nur widerwillig anschließt, ähnelt der Krabbe Sebastian aus „Arielle, die Meerjungfrau“, der an den Abenteuern der Königtochter auch nur zwangsweise teilnimmt, um auf sie aufzupassen. Dennoch beweisen Bolt und seine Kumpanen, dass man auch auf ausgetretenen Pfaden unterhaltsame Abenteuer erleben kann.
Der Hamster Dino, der in der englischen Originalfassung Rhino heißt und dessen Namensänderung keinen offensichtlichen Sinn macht, ist hingegen wirklich originell. Wenn er in seinem durchsichtigen Gummiball umherläuft, ist das zum Kugeln komisch. Das fernsehsüchtige Nagetier kennt und liebt Bolts TV-Serie und hält dessen Kräfte für ebenso real wie der Serienheld selbst. Wagemutig wächst der Hamster über sich und seine Plastikkugel hinaus, während Mittens hartnäckig versucht, ihre beiden Mitstreiter auf den harten Boden der Realität zurückzuholen. Ähnlich komisch sind die Tauben-Trios, denen Bolt auf seiner abenteuerlichen Reise von New York zurück nach Los Angeles begegnen. Sie karikieren jeweils regionale Stereotype (es gibt etwa New Yorker- oder Südstaatler-Tauben) und verdrehen ihre kleinen Köpfchen dabei genauso niedlich, wie es ihre Vorbilder aus Fleisch und Federn auf den Straßen unzähliger Großstädte tun.
Die Synchronsprecher Christian Tramitz (Der Schuh des Manitu) als Bolt, Vera Teltz als Mittens und Axel Stein (Tell) als Dino, tragen ihren Teil dazu bei, den Dialogwitz des Originals in die deutsche Fassung hinüberzuretten. Der Humor ist dabei voll auf Familienfreundlichkeit ausgelegt und fällt deshalb weniger subtil und schnörkelloser als etwa in Shrek oder Findet Nemo aus. Die Story ist vorhersehbar, was aber dem Sehvergnügen keinen Abbruch tut. Außerdem ist angenehm, dass die Autoren Dan Fogelman (Cars) und Chris Williams („Mulan“) sich mit dem üblichen Disney-Pathos zurückhalten und beim Happy End nicht allzu sehr auf die Tränendrüse drücken.
Fazit: Abgesehen von verschmerzbaren Längen gelingt Disney mit „Bolt“ ein hervorragender Start ins Filmjahr 2009. Die Animationen sind schön anzusehen und makellos umgesetzt. Auch die Synchronsprecher haben einen ordentlichen Job gemacht. So erweist sich „Bolt“ auch ohne bahnbrechende cineastische Errungenschaften als unterhaltsamer Spaß für die ganze Familie.