Kommissar Zufall ist ein Ermittler, den die Filmindustrie nur zu gerne bemüht, um umständliche Storykonstrukte zu legitimieren. Aber manchmal schlägt die Realität ähnliche Kapriolen. Roman Polanskis Polit-Thriller „Der Ghostwriter“ schreibt so eine Geschichte mitten aus dem Leben. Der polnisch-französische Regisseur wollte eigentlich Robert Harris‘ Roman „Pompeji“ verfilmen, doch das Projekt zerschlug sich. Auch „Vaterland“ interessierte Polanski, doch dummerweise wurde der Stoff bereits 1994 – offensichtlich ohne Wissen des Star-Regisseurs – verfilmt. Doch davon ließ er sich nicht stoppen. Kurzerhand sattelte Polanski, der ohnehin auf der Suche nach einer Thrillervorlage war, auf Harris‘ 2007er Werk „Ghost“ um. Ein Glücksfall. Denn die Verfilmung „Der Ghostwriter“, der im Wettbewerb der 60. Berlinale läuft, ist ein klassisch-altmodischer Edel-Thriller, der durch Polanskis nuancierte Inszenierung, bissige Dialoge und einen ausgezeichnet aufspielenden Cast gefällt.
Der Auftrag ist zu lukrativ, um ihn abzulehnen. Ein professioneller Ghostwriter (Ewan McGregor) soll die halbfertigen Memoiren des ehemaligen britischen Premierministers Adam Lang (Pierce Brosnan) bearbeiten. Bei der Vertragsunterzeichnung ist ihm das Schicksal seines Vorgängers Michael McAra jedoch nicht bekannt. Der enge Vertraute Langs wurde kurz zuvor leblos vor der Insel Martha’s Vinyard an der US-Ostküste angespült, wohin der Politiker sich zurückgezogen hat. Das Verlagshaus macht Lang und seinem Ghostwriter mächtig Dampf, in spätestens vier Wochen soll das Werk druckfertig sein, doch die Arbeit an dem Buch gestaltet sich als schwierig. Lang wird in einen politischen Skandal gezogen, er soll zu seiner Amtszeit erlaubt haben, Terrorverdächtige in Foltergefängnisse zu verfrachten. Sein ehemaliger Außenminister Rycart (Robert Pugh) enthüllt belastende Details und eine Anklage beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag ist in Vorbereitung. Die Medienmeute belagert Langs abgeschirmtes Hochsicherheitsdomizil in Massachusetts und der Ghostwriter wird mit in die Affäre gezogen. Er recherchiert aber auch seinerseits und stößt auf Unstimmigkeiten, die sein Leben in Gefahr bringen. Dazu kommt er Langs Ehefrau Ruth (Olivia Williams) gefährlich nahe…
Wer für den fiktionalen Charakter des Ex-Premierministers Adam Lang Pate stand, ist auf den ersten Blick auszumachen: Tony Blair, der Großbritanniens Staatsgeschicke von 1997 bis 2007 lenkte. Allerdings sieht Buchautor Robert Harris „Der Ghostwriter“ nicht als Schlüsselroman, zumal seine ersten Ideen zu der Umsetzung noch aus den Jahren vor Blairs Amtszeit stammen. Dennoch ist der Bezug nur zu offensichtlich, die Skandale der Filmfiktion und der Wirklichkeit gleichen sich unmissverständlich: so etwa die Schlagzeilen um die britische Beteiligung am Irak-Feldzug und die Unterstützung der USA bis zur Selbstaufgabe.
Aber sowohl Robert Harris (Enigma, „Vaterland“) als auch Roman Polanski (Chinatown, Frantic, Der Pianist) geht es vielmehr um etwas Universelles, das sich nicht auf ein spezielles Vorbild eingrenzen lässt. Sie sezieren mit „Der Ghostwriter“ die Strukturen der Macht und zeigen, wie Politik fern der Öffentlichkeit verhandelt wird. Das Geflecht aus konkreten Hintergründen, das mit Fortlauf der Handlung immer feiner verdichtet wird, ist im Detail gar nicht einmal so wichtig. Seine Bedeutung ist eine exemplarische, es geht um die Offenlegung von Abläufen und Mechanismen der Macht. Stilistisch und dramaturgisch nimmt Polanski unverkennbare Anleihen bei Suspense-Altmeister Alfred Hitchcock und schickt einen unbeteiligten, nichtsahnenden Protagonisten mitten ins Minenfeld des Intrigenspiels. Der Ghostwriter steht bald zwischen allen Fronten und versucht auf sich allein gestellt verzweifelt herauszufinden, was überhaupt abläuft. Wem er trauen kann oder wer ihn nur benutzt, wer ihm gar nach seinem Leben trachtet, bleibt völlig nebulös.
Trotz vieler aus zahlreichen Thrillern vertrauter Zutaten hebt sich „Der Ghostwriter“ deutlich vom aktuellen Hollywood-Standard ab. Das Tempo ist gemächlich, aber nicht langsam, sondern angemessen. Polanski arbeitet feine Nuancen heraus, die die Spannung kontinuierlich hochhalten, ohne effekthascherisch zu wirken. Sorgfältig werden die sich ständig verändernden Beziehungen zwischen den Figuren ausgelotet. Besonders herausragend sind die mit unterschwelliger Spannung aufgeladenen, elektrisierenden Szenen zwischen Ewan McGregor (Trainspotting, Illuminati) und Olivia Williams (An Education, The Sixth Sense) - auch hier geht es nur um kleine Details, aber in denen steckt bekanntlich der Teufel und so ist der Zuschauer mit höchstem Vergnügen damit beschäftigt, das Faktenpuzzle immer wieder neu zusammenzusetzen. Dabei gefällt sich McGregor zwar durchaus in britischer Arroganz und gibt gelegentlich trockene Oneliner von sich, erfüllt seine Rolle als Sympathieträger des Films aber souverän. Williams stiehlt ihm dennoch fast die Schau. Ihre politisch mit allen Wassern gewaschene Ruth Lang ist abgebrüht und zynisch, aber zugleich verletzlich, sie ist einfach gesagt unberechenbar und bis zum Ende nicht durchschaubar. Ein weiteres kleines Highlight steuert Tom Wilkinson (Michael Clayton, Geliebte Lügen) bei. Der britische Vollblutmime hat im Schlussteil eine Schlüsselposition und füllt diese mit bewundernswerter Präsenz und mit beeindruckender Präzision aus. Nur schichtweise gibt er seinen Charakter preis. Pierce Brosnan (Percy Jackson, Mamma Mia!) erhält dagegen weniger Raum zur Entfaltung, sein Ex-Premier ist zwar Gegenstand sämtlicher Handlungsfäden, aber als aktiv Handelnder für die Entwicklung der Geschichte weniger wichtig als seine Mitstreiter.
Wie bei Polanski kaum anders zu erwarten, ist auch „Der Ghostwriter“ optisch ein Genuss, Kameramann Pawel Edelman (Das Spiel der Macht, Oliver Twist) bannt das Geschehen in düstere, elegante Bilder. Gedreht wurde übrigens auch in Deutschland, im Studio Babelsberg und auf den Inseln Usedom und Sylt, die als Martha’s Vinyard posieren – schließlich konnte der zur Zeit der Dreharbeiten noch freie Polanski nicht in die USA reisen, um an Originalschauplätzen zu drehen. Das miese Wetter auf den deutschen Eilanden fügt sich nahtlos in die Stimmung des Films ein, dessen pessimistischer Ton auch und gerade durch den Look geprägt wird - finstere Nächte und verregnete Tage gehören zu seinen bestimmenden Motiven.
Fazit: Mit dem düsteren, spannungsgeladenen Polit-Thriller „Der Ghostwriter“ gelingt Roman Polanski ein im besten Sinne altmodischer Film, der trotz ruhiger Erzählweise von Minute eins bis 128 fesselt, weil er seine Stärken gleich auf mehreren Ebenen entfaltet. Und Polanski wäre nicht Polanski, wenn er sich Hollywood-Konventionen beugen würde: Er zieht seine eigene Linie konsequent bis zum furiosen Schlussakkord durch.