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    Duplicity - Gemeinsame Geheimsache
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Duplicity - Gemeinsame Geheimsache
    Von Julian Unkel

    Alfred Hitchcock prägte 1939 in einem Vortrag an der Columbia University den Begriff „MacGuffin“ – eine Bezeichnung für Objekte, die innerhalb der Filmhandlung dazu dienen, dem Zuschauer eine glaubwürdige Motivation für das Handeln der Charaktere zu vermitteln, darüber hinaus jedoch keine größere Bedeutung haben. In der Folge setzte Hitchcock diese Technik in vielen seiner Filme (Der unsichtbare Dritte, Topas, 39 Stufen) ein und sorgte so dafür, dass der MacGuffin als dramaturgisches Mittel aus dem Suspense-Kino nicht mehr wegzudenken ist. Auf die Spitze getrieben haben das Konzept Pulp Fiction und Ronin, in denen jeweils ein Koffer als Antrieb für die Handlung dient, dessen geheimnisvoller Inhalt aber nie offenbart wird. In Tony Gilroys (Michael Clayton) „Duplicity“ jagen nun Julia Roberts und Clive Owen einem solchen MacGuffin – einem Produkt, von dem niemand weiß, was es eigentlich ist – hinterher. Gilroy kreiert aus dieser Konstellation eine charmante Krimi-Romanze, die nicht an die Brillanz offensichtlicher Vorbilder wie etwa Thomas Crown ist nicht zu fassen heranreicht, aber doch durchgängig gute Unterhaltung bietet.

    Claire Stenwick (Julia Roberts) ist eine Ex-CIA-Spionin, Ray Koval (Clive Owen) hat früher für den britischen Geheimdienst MI6 gearbeitet. Inzwischen sind beide in den privaten Sektor gewechselt und arbeiten als Sicherheitsberater und Industriespione für Richard Garsik (Paul Giamatti), den Vorstandsvorsitzenden des Großkonzerns Equikrom. Als Claire und Ray auf ein Memo des verfeindeten Firmenchefs Howard Tully (Tom Wilkinson) stoßen, nach dem der größte Konkurrent Equikroms die Einführung eines bahnbrechenden Produkts plant, beauftragt Garsik sie damit, alles über die wegweisende Innovation herauszufinden. Was dabei niemand ahnt: Claire und Ray haben eine gemeinsame Vergangenheit – und verfolgen längst ihre eigenen Ziele...

    Bis vor zwei Jahren war Tony Gilroy in erster Linie als Drehbuchautor bekannt. Bereits in seiner Zeit als Schreiberling zeichneten sich einige Themen ab, die Gilroy besonders zu interessieren scheinen: gesellschaftliche Moral und die Korruption der Geschäftswelt (Im Auftrag des Teufels) sowie weltweite Überwachung und Spionage (die „Bourne“-Trilogie). Diese Motive finden sich nun auch in Gilroys Arbeiten als Regisseur wieder: Sein Debüt „Michael Clayton“ ist das meisterhafte Porträt einer gewissenlosen Industrie, das sich komplexen moralischen Fragen widmet. In „Duplicity“ kombiniert Gilroy, der erneut auch das Drehbuch beisteuerte, nun seinen kritischen Blick auf die Wirtschaftswelt mit Spionage- und Überwachungselementen. Gilroy nutzt diese Themen diesmal jedoch nicht für eine ernste Auseinandersetzung mit dem Thema Industriespionage, sondern wählt einen gänzlich anderen Weg: Zwar verkneift er sich keinesfalls einige Seitenhiebe auf machtgeile Konzerne und deren Chefabteilungen, in erster Linie ist „Duplicity“ aber lockeres Unterhaltungskino, das ohne allzu viel Subtext auskommt.

    Angelegt ist „Duplicity“ als verschachteltes Verwirrspiel, das wild zwischen den Zeitebenen hin- und herspringt und bereits in den Anfangsminuten mit einem solchen Tempo Haken schlägt, dass es einige Zeit dauert, bis der Zuschauer die Charaktere ihren Positionen zuordnen kann. Nach diesem fulminanten Auftakt geht dem Film leider zeitweise etwas die Puste aus. Auch mit etlichen Zeit- und Ortsprüngen (die Handlung ist über fünf Jahre verteilt und spielt unter anderem in Dubai, New York, Rom, London und Miami) gelingt es Gilroy trotz pfeilschneller, gewitzter Dialoge nicht immer, zu übertünchen, dass die Handlung im Mittelteil weitestgehend auf der Stelle tritt. Pünktlich zum Schlussakt nimmt „Duplicity“ dann aber wieder an Fahrt auf. Mit der Enthüllung des legendenumwobenen Produkts wird clever die Banalität der Geschichte offenbart, ohne dass die Glaubwürdigkeit auch nur im Geringsten darunter leidet. Gekonnt nimmt Gilroy seinen MacGuffin danach wieder aus der Schusslinie und setzt erneut Wendung an Wendung, deren Sinn und Unsinn allein aufgrund der Frequenz, mit der hier Twists aneinandergereiht werden, nicht in Frage gestellt wird. Gilroy geht es vornehmlich um Spaß – und wenn sich am Ende einige Charaktere offen eingestehen, dass sie gehörig ausgetrickst wurden, richten sich diese Worte augenzwinkernd auch an den Zuschauer.

    Zugleich ist „Duplicity“ auch großes Starkino. Als eigentlicher Kern der Handlung fungiert die Romanze zwischen Claire und Ray, die deshalb besonders spannend ist, da beide mit Lug und Trug ihren Lebensunterhalt verdienen - und sich daher auch in intimen Momenten nicht über den Weg trauen. Der Kontrollfreak Claire wird perfekt verkörpert von Julia Roberts (Pretty Woman, Erin Brockovich), die hier nach ihrem Mutterschaftsurlaub und Nebenrollen in Der Krieg des Charlie Wilson und Zurück im Sommer ihr Comeback als Hauptdarstellerin gibt. Ihren Starappeal und ihr überschäumendes Temperament hat sie in den Babyjahren nicht verloren, im Gegenteil: Mit ihrer durchtriebenen Darbietung hebt sie sich wohltuend von ihrem früheren Everybodys-Darling-Image ab. Clive Owen (Sin City, Children Of Men, Shoot 'Em Up) erhält zum zweiten Mal in diesem Jahr die Gelegenheit zu zeigen, warum er lange Zeit zu Recht als Topfavorit auf die Pierce-Brosnan-Nachfolge als neuer Bond gehandelt wurde. Nach seinem kernigen Auftritt in The International] meistert er die Gentleman-Gauner-Rolle nun auch in „Duplicity“ mit viel Charme und wandelt so zielsicher auf den Spuren von George Clooney (Ocean´s Eleven) und Cary Grant (Über den Dächern von Nizza). Doch so herausragend die beiden Leistungen für sich auch sind – die Chemie zwischen Roberts und Owen, die auch schon in Hautnah ein Paar spielten, stimmt leider nicht immer. Zweifellos finden sich einige Momente - wie etwa die Eröffnungsszene -, in denen es ordentlich knistert, zumeist kocht die Leidenschaft jedoch eher auf Sparflamme.

    Mit Tom Wilkinson (Geliebte Lügen, Rock N Rolla, Operation Walküre) und Paul Giamatti (Sideways, Das Mädchen aus dem Wasser, Die Gebrüder Weihnachtsmann) sind auch die beiden verfeindeten Firmenchefs namhaft besetzt. Wilkinson spielt nach seinem grandiosen Auftritt in „Michael Clayton“ erneut in einem Gilroy-Film, agiert dieses Mal aber bedeutend zurückhaltender. Doch auch in seiner eher simplen Rolle strahlt Wilkinson eine schier unglaubliche Leinwandpräsenz aus und erweitert damit seine Vita um eine weitere Glanzleistung. Giamatti legt seine Rolle hingegen am Rande zur Karikatur an, bildet damit aber einen amüsanten Gegenpart zu Wilkinsons kühl-berechnendem Howard Tully. Gemeinsam sind beide übrigens nur in einer einzigen Szene zu Beginn zu sehen, die dafür aber auch zu den besten des Films zählt – und das, obwohl in ihr kein einziges hörbares Wort gesprochen wird.

    Aus formaler Sicht geht Gilroy keine Wagnisse ein. Er holte sich dieselben Leute ins Boot, die auch schon „Michael Clayton“ zu einem optischen wie akustischen Hochgenuss machten. Kameramann Robert Elswitt (There Will Be Blood) taucht den Film in stilvolle, elegante Bilder und warme Farben. Die Darsteller agieren in teuren Designerklamotten vor prachtvollen, rund um den Globus verstreuten Kulissen. Der sorgsame Einsatz von Stilmitteln wie Splitscreen-Aufnahmen verpasst dem sonst eher klassisch inszenierten Film zudem ein ansprechend-modernes Gewand. Dazu passt der Score von James Newton Howard (The Dark Knight), der sich deutlich von den Soundtracks solcher Spionage-Klassiker wie „Charade“ inspirieren ließ.

    Fazit: Tony Gilroy enttäuscht auch mit seiner zweiten Regiearbeit nicht. Zwar hängt der Mittelteil etwas durch und die Romanze kränkelt an der nicht immer stimmigen Chemie zwischen Roberts und Owen - davon abgesehen ist „Duplicity“ aber vergnügliches und intelligentes Unterhaltungskino, das mit gut aufgelegten Darstellern, einer schicken Inszenierung und einer raffinierten Geschichte glänzt.

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