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    The Dust of Time
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    The Dust of Time
    Von Jan Hamm

    Geschichte zu schreiben – besonders aber zu denken – ist ein furchtbar abstrakter Prozess. Außer im Kino, wo all die komplexen Zusammenhänge, die trockenen Daten und nicht zuletzt die menschlichen Schicksale in Bilder gefasst und damit unmittelbar erlebt werden können. Dennoch sind Filmemacher nicht gleich Historiker, ganz einfach, weil die grundsätzlichste aller historischen Fragen in der Dunkelheit des Kinosaals wiederum leicht verloren geht: Was ist eigentlich Geschichte? Mit „The Dust Of Time“, dem nach „Die Erde weint“ zweiten Teil einer noch unvollendeten Trilogie, sucht Arthouse-Altmeister Theo Angelopoulos nach möglichen Antworten. Und zwar ohne Rücksicht auf sein Publikum, das auf eine kohärente Erzählung verzichten muss. Trotzdem bricht der Grieche seine Filmphilosophie um Diaspora, determinierte Biographien und die Gnadenlosigkeit der Zeit immer wieder mit großer Theatralik auf und wirft den Zuschauer damit auf sich selbst zurück: Ohne Lust an selbstständiger Sinnsuche und cineastischem Diskurs bleibt das verkopfte Historienpuzzle ein reizloses Rätsel.

    A. (Willem Dafoe, Antichrist, Spider-Man), ein griechisch-stämmiger Regisseur, kehrt nach Rom zurück, um die Arbeit an einem unfertigen Film wieder aufzunehmen. Warum musste er den Dreh abbrechen und verreisen? Erzählen will er von der Liebe einer Frau – seiner Mutter Eleni (Irène Jacob) – zu Spyros (Michel Piccoli, Belle De Jour, Die Verachtung) und Jacob (Bruno Ganz, Der Untergang, Der Baader Meinhof Komplex), einer Ménage à trois, die ein halbes Jahrhundert Zeitgeschichte umspannt: zusammenbrechende Ideologien, Exil, Trennung und Wiedervereinigung, von der stalinistischen Sowjetunion bis zur Jahrtausendwende in Berlin. A.‘s Ehe liegt bereits in Trümmern, jetzt droht nach Ex-Gattin Helga (Christiane Paul, Die Welle) auch noch seine Tochter (Tiziana Pfiffner) an den unartikulierten Konflikten der Elterngenerationen zu zerbrechen. Derweil spitzt sich die stille Rivalität zwischen den beiden inzwischen greisen Männern zu und zwingt Eleni, sich im Herbst ihres Lebens endgültig zwischen Spyros und Jacob zu positionieren...

    „The Dust Of Time“ macht seinem Titel alle Ehre und konstatiert formell, mehr noch als inhaltlich, dass Zeit nicht greifbar ist, sondern wie Sand zwischen den Fingern verrinnt. Ein nachvollziehbares Erzählmuster gibt es trotz der groben Rahmenhandlung um Angelopoulos’ Alter Ego A. nicht. Wild wird vor und zurück gesprungen, zeitlich und geographisch. Dabei werden viele historische Transformationen angetippt, ohne aber einen Kontext mitzuliefern. Wer nicht über ein nennenswertes Geschichtswissen verfügt, bleibt schnell auf der Strecke. Hier ist erlebte Geschichte nicht linear erinnerbar, alles verschwimmt zu einem Prisma aus Emotionen und Impressionen. So weit, so banal. Interessant sind eher die Konsequenzen daraus. Denn solange die eigene Biographie nicht mit Struktur versehen werden kann, mündet auch die Gegenwart stets aufs Neue im Chaos. So spiegelt sich das Auf und Ab der Weltgeschichte im fragilen Dreierverhältnis zwischen Eleni, Spyros und Jacob wider.

    Dass dieses Chaos aber derart übermächtig wirkt, dass es gleich zwei folgende Generationen mit erfasst, ist eine Behauptung, um deren Plausibilisierung Angelopoulos sich nicht sonderlich schert. Besonders deutlich wird das beim Handlungsstrang um A.‘s Tochter, die den Namen Eleni und damit offensichtlich gleich noch die biographische Last ihrer Großmutter geerbt hat. Wenn sich Klein-Eleni plötzlich aus einer besetzten Bauruine stürzen will, kann über das Wesen des mysteriösen Problemtransfers zwischen den Generationen nur spekuliert werden. Noch theatralischer wird „The Dust Of Time“, sobald Willem Dafoe zu wuchtiger Klassik-Untermalung völlig gekünstelte Mini-Monologe aufführen muss. Im Verlauf des Films wird A. so immer unfassbarer.

    Irène Jacob, Michel Piccoli und größtenteils auch Bruno Ganz spielen dagegen angenehm zurückhaltend. Besonders Piccoli vermittelt mit leisen Tönen und vorsichtigen Gesten sanfte Melancholie. Die Perspektive der Figuren jedoch ist knallhart: Ein getriebenes Leben im Schatten der Vergangenheit mündet in Ohnmacht und Vergeblichkeit. Dieser übermächtige Schatten, nach Angelopoulos könnte er auch mit Geschichte übersetzt werden. Als das „Erproben der Historie“ hat er seinen Film bezeichnet, ganz so wie A., der sich auch bloß an einer filmischen Auseinandersetzung versucht, ohne je ein Ziel anzusteuern. Es ist Angelopoulos’ Verdienst, mit „The Dust Of Time“ eine These zum alles andere als einfachen Geschichtsbegriff skizziert zu haben. Und sein Versäumnis, zwischen so vielen historischen Stationen hetzend selbst eine Geschichte zu erzählen.

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