„Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum“, hat Friedrich Nietzsche einmal gesagt. Musik schlägt Brücken, lässt Emotionen wallen und ist identitätsstiftend. Was wären große Klassiker ohne ihre kultigen Melodien, was ihre Figuren ohne die passenden Motive? Ohne Musik also wäre auch ein Film ein Irrtum, meint Peter Sollett, und präsentiert mit dem programmatisch betitelten „Nick & Norah – Soundtrack einer Nacht“ vor allem Begleitbilder zum hippem Indie-Rock-Score. „Nick & Norahs Infinite Playlist“ (so der Originaltitel) läuft zum Irren und Wirren eben dieser Zwei rauf und runter, bis Musik und Genre-Gesetze in dieser romantischen Komödie von der Stange nach dem obligatorischen Happy-End verlangen. Neben Vampire Weekend oder The Cure finden sich in Solletts Film allseits bekannte Comedy-Evergreens wie gründlich abgegraste Schwulenklischees und Toilettenspäßchen sowie bewährte Hitfiguren wie Michael Ceras liebenswürdigen „Nerd“ aus Juno. Fehlt bloß noch die „Skip“-Taste, um den Ballast zugunsten der wirklich charmanten Momente zwischen „Nick & Norah“ zu überspringen.
Nick (Michael Cera, Superbad, serie,39) ist mit seinem Sampler-Latein am Ende. Zwölf Scheiben mit sorgsam ausgewählten Lovesongs hat der Verlassene seiner Angehimmelten Tris (Alexis Dziena, Ein Schatz zum Verlieben, Broken Flowers) bereits zukommen lassen, doch die wirft die musikalischen Liebeswerbungen achtlos weg. Schulkameradin Norah (Kat Dennings, Jungfrau (40), männlich, sucht...) sammelt die Kleinode auf und verliebt sich in den mysteriösen Mixer. Als sie ihm dann auf einer Party begegnet, fällt sie angesichts Nicks Unscheinbarkeit aus allen Wolken und sucht ihr Heil in der Flucht. Weit kommt sie allerdings nicht, denn seine extravertiert-schwulen Bandkollegen haben Norah längst auserwählt, Tris zu beerben und Nick aus seiner Post-Beziehungsdepression zu erretten. Und so beginnt eine wilde Nacht auf der Suche nach hochalkoholisierten Freunden, einem geheimen „Where’s Fluffy“-Gig und dem erfolgreichen Neuanfang in Sachen Liebe...
„Nick & Norah“ zelebriert Musik als einende Kraft und hat durchaus ein paar nette Ideen dazu parat. Die spaßige Schnitzeljagd nach dem geheimen Auftritt ist ein gut platzierter Running-Gag und verleiht der nächtlichen Tour D’Amour eine nachvollziehbare Dramaturgie. Immer wieder tauchen Ortshinweise auf, mal als Radiorätsel, mal als Kaninchenspur an WC-Wänden. Und je weiter Nick und Norah in die Tiefen des Kaninchenbaus vordringen, desto näher kommen sie sich. Bis „Where’s Fluffy“ allerdings zur Vereinigung der Titelhelden aufspielen dürfen, schlägt Sollett mit dürftigen Comedy-Etappen Zeit tot. Absoluter Tiefpunkt ist eine Toiletten-Angelrunde, die ein bedeutendes Kaugummi zurück ans Nachtlicht befördert. Nicks schwule Bandkollegen kommen kaum besser weg, da Sollett die Jungs bei wirklich jeder Gelegenheit zu infantilen Phallusphantasten degradiert. In der American Pie-Reihe hat derartiger Humor seinen Platz, hier wirkt er bloß bemüht.
Nötig hat „Nick & Norah“ das nicht, denn selbstbewusste Ideen sind sehr wohl vorhanden. Wenn Norah Nicks i-Pod durchkämmt und den The Cure-Ordner mit einem trockenen „What are they curing? They should be called The Cause, right?“ kommentiert, findet der Film seinen Humor und zurück zur eigentlichen Geschichte, die genau davon erzählt: von der Heilung verletzter Youngster-Seelen, von der Beseitigung der Ursachen des Unglücklichseins in Gestalt egozentrischer Ex-Partner. Wie ein irrfahrender Nick sich der sirenenhaften Wiederannäherung seiner Verflossenen entzieht, ist frech und einfach herrlich. Die Teenage-Selbstfindungsreise macht in solchen Momenten vor allem dank Michael Ceras „Nerd“-Charme Spaß. Der funktioniert allerdings nur in Verbindung mit starken Frauenrollen. In Juno hat er als einer der um die zauberhafte Ellen Page kreisenden Satelliten eine gute Figur abgegeben, hier geht das Konzept dank Kat Dennings gerade noch einmal auf. Ob Cera mehr als nur diesen Genre-Archetypen beherrscht, wird er noch unter Beweis stellen müssen.
Das eigentliche Zentrum des Films ist derweil Kat Dennings. Mit natürlichem Charisma gelingt ihr der schwierige Balance-Akt zwischen Naivität und Coolness, zwischen Mädchen und Vamp. Was für eine schöne Welt, in der ein paar geschickt gemischte Sampler als Grundlage einer zaghaften Liebesgeschichte ausreichen – und was für ein Glück für „Nick & Norah“, dass Dennings dabei nicht völlig unglaubwürdig wirkt. Die restlichen Figuren bleiben daneben lediglich Stichwortgeber und ermöglichen ihren Darstellern kaum, Akzente zu setzen. Allein Alexis Dziena kann sich als biestige Tris nennenswert profilieren.
Was „Nick & Norah“ fehlt, sind Überraschungen. Wer auch nur ansatzweise mit den Gesetzen einer romantischen Komödie vertraut ist, kauft dem Film seine Verzögerungsmanöver nicht einen Augenblick lang ab. Die letzte Eskapade, in der Nick und Norah sich der Verführung eines bequemen Rückfalls in Richtung Ex-Beziehung erwehren müssen, um schlussendlich zueinanderzufinden, ist bloßes Streckwerk. Um erzählerische Kniffe ist Sollett aber ohnehin nicht bemüht. Wichtiger ist ihm, ausreichend Raum für allerhand sentimentales Indie-Rock-Gezupfe zu schaffen. „Nick & Norah“ ist eine solide inszenierte Teenie-Lovestory vor der schön eingefangenen Kulisse des nächtlichen Manhattan, die ihrer musikalischen Prämisse bis zur letzten Minute verpflichtet bleibt. Und die ist als Gegengewicht zur weitgehend konventionell aufgezogenen Komödie auch bitter nötig. Nietzsche hat diesmal Recht: Ohne die Musik wäre auch „Nick & Norah“ ein Irrtum.