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    Always - Sunset On Third Street
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Always - Sunset On Third Street
    Von Björn Becher

    Filmpreise sind schon lange kein tauglicher Indikator mehr für die Qualität eines Films (wenn sie es überhaupt jemals waren). Wenn ein Film aber gleich einen solchen Siegesszug wie „Always - Sunset On Third Street“ bei den japanischen Academy Awards Anfang März 2006 anritt, dann muss da doch etwas dran sein. In 12 von 14 Kategorien war Takashi Yamazakis Drama siegreich. Nur bei den Preisen für den besten ausländischen Film (den der Film ja auch nicht gewinnen konnte) und für die beste Hauptdarstellerin durfte niemand von der Filmcrew auf die Bühne. Jetzt bleiben fast nur noch zwei Möglichkeiten: Entweder war der japanische Filmoutput 2005 verdammt schlecht oder „Always“ ist verdammt gut. Es sei gleich gesagt, das japanische Kino der jüngeren Vergangenheit war ganz und gar nicht schlecht.

    Der Film, der auf einer seit 1973 laufenden und immer noch wöchentlich erscheinenden Comic-Reihe von Ryôhei Saigan basiert, erzählt von Leben, Freud und Leid im Nachkriegsjapan. Wir befinden uns im Japan der fünfziger Jahre, der Tokyo Tower, das künftige Wahrzeichen der Stadt, ist gerade im Bau. In einer Seitengasse schlagen sich mehrere Personen eher schlecht als recht durchs Leben. Da ist Norifumi Suzuki (Shin'ichi Tsutsumi), der eine kleine, heruntergekommene Autowerkstatt betreibt, aber davon träumt, dass sein Geschäft eines Tages wachsen wird. Bei ihm leben seine Frau Tomoe (Hiroko Yakushimaru) und sein Sohn Ippei (Kazuki Koshimizu), der es nicht erwarten kann, bis endlich der schon lange versprochene Fernseher eintrifft. Die Suzukis wären die ersten in der Straße, die eins der neumodischen Geräte ihr eigen nennen könnten und natürlich hat Ippei platzend vor Stolz die Nachricht schon den Freunden erzählt und muss diese nun jeden Tag vertrösten, da das Gerät noch immer nicht gekommen ist.

    Gegenüber der Suzukis betreibt Ryunosuke Chagawa (Hidetaka Yoshioka) einen kleinen Süßigkeitenladen, doch auch er träumt von mehr. Er hat früher mal im Finale eines Schreibwettbewerbs gestanden und glaubt immer noch an eine zukünftige Schriftstellerkarriere. Aktuell reicht es allerdings gerade mal für das Schreiben von ein paar Helden- und Abenteuerstorys für ein kleines, unbekanntes Jugendmagazin. Selbst die werden aber oft genug nicht einmal veröffentlicht. In der Nachbarschaft der Suzukis und von Chagawa wohnt seit kurzem die hübsche junge Frau Hiromi Ishizaki (Koyuki), die eine Bar aufgemacht hat, in der sich die Männer der Gegend abends treffen. Chagawa ist bei diesen Treffen ein Außenseiter, wird aufgrund seiner Schriftstellerträume von allen – insbesondere von Suzuki – verspottet. Gegenüber der schönen Hiromi versucht der gescheiterte Schriftsteller anzugeben, was Folgen hat. Diese nutzt seine Trunkenheit und vermeintliche Kinderliebe (in Wirklichkeit gehen ihm Kinder auf die Nerven) aus und drückt ihm den kleinen Junnosuke (Kenta Suga) auf, ein Junge, der kein zu Hause mehr hat. Chagawa versucht den Jungen natürlich schnell wieder loszuwerden, doch dann entdeckt er zwei Dinge. Das ruhige, nie lächelnde Kind ist sein größter (und wohl einziger Fan) und hat selbst ein Talent, welches er gerne hätte.

    Das ist nur die Ausgangslage der vielseitigen und sehr handlungsreichen Geschichte. „Always“ portraitiert das Leben in einer Straße und legt dabei den Hauptfokus auf die erwähnten Personen – nur selten treten auch mal einige andere Figuren ins Blickfeld. Dabei gelingt dem Regisseur ein Kunststück. Obwohl sein Film keine geradlinige Story hat, die einen klaren Anfang und ein klares Ende vorweisen kann (in dieser Hinsicht funktioniert nur der Tokyo Tower von Baubeginn bis Bauende als symbolischer Rahmen) und obwohl er immer wieder verschiedene Geschehnisse aufgreift, wird sein Film nie langweilig und driftet auch nie in bloße Belanglosigkeiten ab.

    Das konnte man im Vorfeld nicht unbedingt erwarten. Takashi Yamazaki hatte bisher nämlich nur in einer Hinsicht einen exzellenten Ruf. Er gilt als der beste Special-Effects Experte in Japan. Sein Regiedebüt „Juvenile“ setzte in dieser Hinsicht neue Standards. Seine zweite Regiearbeit, der Sci-Fi-Actioner „Returner“ war nicht nur in Japan ein großer Box-Office-Hit, sondern verkaufte sich auch sehr gut in den Rest der Welt. Doch der Technik-Experte ließ es sich bei beiden Filmen nicht nehmen, selbst das Drehbuch zu schreiben. So überzeugen die Filme zwar optisch und mit ihren Special Effects, doch hatten phasenweise sehr unter dem Drehbuch zu leiden. Bei „Always“ schrieb Yamazaki das Drehbuch zwar auch wieder selbst (allerdings unter Mithilfe des bisher nicht weiter aufgefallenen Ryota Kosawa), doch scheinbar hat zum einen die Vorlage geholfen und er selbst hat sich auch weiterentwickelt. Von früheren Schwächen ist nichts mehr zu merken, vor allem das Timing wichtiger Entwicklungsszenen und Storywendungen sitzt perfekt. Das ist gerade deshalb besonders bemerkenswert, da verschiedene Storywege miteinander verknüpft werden und es nicht die typische Geschichte gibt, die von Startpunkt A auf Zielpunkt B zusteuert. Vielmehr ist „Always“ ein kleiner Ausschnitt aus dem Leben von mehreren Personen. Man weiß davor ist irgendetwas passiert und danach wird weiter etwas passieren, was man genauso gut in einem Film hätte schildern können. Anhand des gezeigten Ausschnitts wird ein wunderbares Bild des Nachkriegsjapans gezeichnet. Die Menschen in einem Viertel werden durch diese harten Zeiten begleitet, gezeigt werden dabei Freude und Trauer.

    Das ergibt eine wundervolle Mischung aus dramatischen und komischen Szenen. Im Vorspann von Charlie Chaplins wundervollem Film Der Vagabund und das Kind steht der Spruch „A comedy with a smile … and perhaps a tear!”, der hier genauso gut passt, auch wenn der Film weit entfernt von einer typischen Komödie ist. Nichtsdestotrotz besitzt er sehr viel Humor, der teilweise an den Chaplin-Film oder auch an Takeshi Kitanos wundervollen Kikujiros Sommer erinnert. Eine Träne wird bei dem ein oder anderen sicher auch einmal den Weg in die Augenwinkel finden. In puncto Story finden sich übrigens ebenfalls Elemente der beiden genannten Filme hier wieder.

    Trotz der neu gewonnen Stärken beim Storytelling hat Yamazaki glücklicherweise auch sein altes Talent beibehalten. Er ist nach wie vor eine Choriphäe auf dem Gebiet der Special-Effects. Dem Zuschauer wird dieses Können glücklicherweise nicht aufgedrängt, sondern es wird ausschließlich genutzt, um das Tokyo der Nachkriegszeit am Computer realistisch und detailreich wieder auferstehen zu lassen. Das Setting, vor allem die belebten Straßen, wirkt nicht künstlich, sondern ist beeindruckend und atemberaubend. Man kann sich oft in den wunderschönen, farblich und visuell höchst interessant gestalteten Bildern verlieren. Gemeinsam mit der eingängigen, immer passenden Musikuntermalung von Naoki Sato ist dies allein schon ein Genuss.

    Vor der Kamera wurde ein hervorragendes Darstellerensemble versammelt. Die im Westen aufgrund ihrer Rolle als Love Interest von Tom Cruise in Last Samurai wohl bekannteste Darstellerin der „Always“-Cast Koyuki überzeugt nicht nur durch ihre Schönheit. Shin'ichi Tsutsumi (The Call) gibt eine wunderbare Performance als leicht reizbarer Autowerkstattstattbesitzer, der in einer wunderbar überdrehten Szenen mal so richtig ausrasten darf. Er harmoniert dabei glänzend mit seiner Filmfrau Hiroko Yakushimaru („Princess Raccoon“) und seiner Angestellten Maki Horikita („Premonition“). Ihm gegenüber gestellt wird eine nicht weniger exzellente Performance von Hidetaka Yoshioka („Rhapsodie im August“), der den leicht trotteligen Loser ungemein überzeugend spielt. Größte Überraschung sind allerdings die beiden bezaubernden Kinderdarsteller Kazuki Koshimizu (bisher ohne Kinoerfahrung) und Kenta Suga (schon exzellent in „Godzilla: Final Wars“). Diese stehen ihren erwachsenen Kollegen in nichts nach und vermögen es öfter allein mit ihrem Minenspiel dem Zuschauer ein Lächeln auf die Lippen zu zaubern.

    So kommt man nicht um hin eine nachdrückliche Empfehlung auszusprechen. Ein exzellenter Film über eine interessante Epoche. Manchmal sind Filmpreise halt doch noch ein Gradmesser.

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