Das gerade im Direct-to-DVD-Bereich weit verbreitete, marketingfördernde Verpassen von möglichst reißerischen deutschen Titeln ist nichts Neues. Im Fall von Frank A. Cappellos skurril-einfühlsamem Lovestory-Thriller „He Was A Quiet Man“ hat die Idiotie einmal mehr über die Stränge geschlagen: „Amok“ lautet der deutsche Verleihtitel des Bürokratie-Porträts mit einem starken Christian Slater (True Romance, Interview mit einem Vampir) in der Hauptrolle. Er wirbelt die Kategorisierung von Täter und Opfer gefühlsmäßig schwer durcheinander. Daraus entspringt eine bis zum Finale unterhaltsame, nachdenkliche und spannende Geschichte, die aktueller kaum sein könnte. So werden nicht nur kräftig Seitenhiebe in Richtung wirtschaftlicher Hierarchien, Prestige- und Machtspielchen ausgeteilt. Praktisch im Vorbeigehen hinterfragt der Film auch monokausale Erklärungsansätze für Amokläufe, wie sie in den Medien aus gegebenem Anlass gerade wieder an der Tagesordnung sind.
Underdog Bob Maconel (Christian Slater) arbeitet in einer Technologiefirma. Er ist gefangen in einem anonymen Koloss von einem Bürogebäude und eingeengt von den Kunststoffwänden seines grauen Cubicals (ein abgetrennter „Würfel“-Arbeitsplatz). Kurz: Bob ist eine idealtypische Repräsentanz des bebrillten, Karohemd tragenden Versagers ohne soziale Anbindung. Die einzigen Befriedigungen, die er in seinem Leben erfährt, sind rein imaginärer Natur: Das alltägliche Sprengen des Bürogebäudes in seiner Phantasie während der Mittagspause und die Gespräche mit seinem Goldfisch. Schließlich beschließt Bob, seine Amokphantasien in die Tat umzusetzen. Doch wenige Sekunden bevor er selbst zur Waffe greift, tritt ein Gleichgesinnter auf den Plan und ballert im Büro wild um sich. Als der Amokläufer auf Bobs heimliche Liebe Vanessa (Elisha Cuthbert, The Girl Next Door) zielt, geht er dazwischen. Eine Heldentat, die das Leben des Losers völlig umkrempelt: Bob wird als Mann der Stunde gefeiert. Der soziale und finanzielle Aufschwung samt neuer Freunde, die sich in seinem Ruhm sonnen wollen, folgt auf dem Fuße. Bob ist von dieser 180-Grad-Wendung jedoch überfordert und fragt sich bald: Wie lange…?
Die Charaktere in „Amok“ liefern ein einheitliches, auf Archetypen basierendes Bild: Da gibt es den profitgierigen, seine Ehefrau betrügenden CEO Gene Shelby (süffisant: William H. Macy, Magnolia). Vanessa ist Shelbys Sekretärin, die freimütig eingesteht, die Karriereleiter nicht durch fachliche Kompetenzen, sondern andere Gefälligkeiten nach oben geklettert zu sein, bis sie durch die katartische Wirkung des Amoklaufs zum besseren Menschen wurde. Weiter unten im mittleren Management tummeln sich die golfspielenden Möchtegerns, die den Druck von oben in Form von willkürlichen Schikanen und heißer Luft an die Angestellten weitergeben.
So weit, so ausgelutscht, möchte man meinen. Doch damit würde den Qualitäten der nicht gerade Mainstream-tauglichen Produktion Unrecht getan. Denn zum einen ist da die von Christian Slater angeführte, vergleichsweise hochkarätige Besetzung, die den zunächst klischeehaften Figuren Farbe und Glaubwürdigkeit verleiht. Zum anderen ist da der systemkritische Subtext. Die Unmenschlichkeiten zeitgenössischer Unternehmensstrukturen bekommen tagtäglich immer mehr Arbeitnehmer am eigenen Leib zu spüren. Von Klassikern wie Jacques Tatis „Playtime“ über Terry Gilliams Brazil bis hin zu neueren Filmen wie „The Hollywood Factor“ oder „Alles Routine“ – in Satiren ist die Arbeitswelt schon lange ein heißes Eisen. Im Zentrum steht dabei stets das ohnmächtige Individuum, das den meist kafkaesken Machtstrukturen hilflos ausgeliefert ist. Auffällig ist auch, dass viele Produktionen dem Thema mit Ironie oder zynischem Humor begegnen. Fast so, als wollten sie sagen: Ändern können wir ohnehin nichts, also lachen wir wenigstens auf der Leinwand darüber. Als jüngstes Beispiel in dieser Reihe macht da auch „Amok“ keine Ausnahme.
Vielleicht ist es etwas simpel, Bob von Angang an als Opfer des Systems zu inszenieren, was seinen geplanten Amoklauf schon beinahe rechtfertigt. Aber auch das würde zu kurz greifen: Es sind seine vielen kleinen und großen Gesten, die Bob als reflektierten, sensiblen Menschen identifizieren. Bob ist eben kein hirnverbrannter Killer, als die die Täter in den Medien zur Beruhigung der Öffentlichkeit immer wieder abgestempelt werden. Stattdessen repräsentiert er den desillusionierten Typ von Mensch, der sich seiner Handlungen zwar bewusst ist, aber durch alle sozialen Netze gefallen ist, die ihm einen Grund zum Leben liefern würden. Damit lässt „Amok“ den gemeinschaftlichen politischen und medialen Aktionismus, der nach vergleichbaren Taten stets einsetzt, bewusst ins Leere laufen: Es ist eben gefährlich zu glauben, dass sich Amoktaten durch wie auch immer geartete Gesetze oder Reaktionen in Zukunft gänzlich verhindern ließen.
Wer sich also die Mühe macht, an der Oberfläche dieses kleinen Films zu kratzen, wird darunter einiges mehr als nur Klischees entdecken. Ansonsten bietet „Amok“ als gut gespielte, witzige und schnulzig-schöne DVD-Veröffentlichung kurzweilige Unterhaltung auf anständigem Niveau.