Nachdem sich in den letzten Jahren zahlreiche deutsche Filme mit dem Thema Arbeitslosigkeit auseinandergesetzt haben, muss man Franziska Stünkel zunächst einmal für die Ausgangsidee ihres Debütfilms „Vineta“ loben: Das auf dem Theaterstück „Republik Vineta“ von Moritz Rinke basierende Drama kümmert sich nämlich um die Probleme am entgegengesetzten Ende der Skala der breit gefächerten negativen Folgen des Neo-Liberalismus. Hier dreht sich alles um Menschen, die sich aus Angst nur noch über ihre Arbeit definieren, sich vollständig in die artifizielle Welt ihrer Jobs zurückziehen, kurz: Workaholics. Dass das zunächst spannende und atmosphärische Kammerspiel dennoch nicht so recht aufgehen will, liegt zum einen an den vielen inszenatorischen Dampfhammerszenen, denen Stünkel als Debütantin einfach nicht widerstehen konnte. Und zum anderen daran, dass der Hauptcharakter vollkommen am Thema vorbei angelegt ist. So bleibt „Vineta“ nur ein interessantes filmisches Experiment, obwohl hier von den Anlagen her erheblich mehr drinnen gewesen wäre.
Die Preisverleihung ist für Stararchitekt Sebastian Färber (Peter Lohmeyer) eine eher lästige Angelegenheit. Viel lieber würde er sich sofort wieder in seine Arbeit an einem neuen Altersheim der nächsten Generation stürzen. Doch dann bekommt Färber ein ungewöhnliches Angebot: Auf einer abgelegenen Insel soll eine gigantische Hochsicherheitssiedlung entstehen und Färber soll seinen Vorschlag für dieses Mammutprojekt innerhalb von zwei Wochen vorlegen. Auf der Insel angekommen, trifft er nicht nur auf den Projektleiter Dr. Leonhard (Ulrich Matthes) und seine Assistentin Nina (Susanne Wolff), sondern auch auf seinen Konkurrenten Born (Justus von Dohnanyi), der selbst fieberhaft an einem Entwurf werkelt. Der Wettkampf der beiden Architekten tritt jedoch schon bald in den Hintergrund, als Färber und seine Kollegen erste merkwürdige Entdeckungen machen – so sind zum Beispiel alle ihre Räume mit versteckten Kameras ausgestattet. Und als dann auch noch der Finanzexperte Montag (Matthias Brandt) bei dem Versuch, von der Insel zu fliehen, im eiskalten Wasser ertrinkt, werden die wahren Absichten von Dr. Leonhard immer undurchsichtiger…
Wenn Färber und Born nach ihrer Ankunft auf der Insel über ihre Konzepte – schrankenloser Feel-Good- auf der einen, totalitärer Überwachungsstaat auf der anderen Seite – diskutieren, sind dies mit Abstand die stärksten Szenen, die man am liebsten auch noch auf den Rest des Films ausgedehnt serviert bekommen hätte. Aber leider schwenkt die Handlung allzu schnell in Richtung Liberalismuskritik um, was an sich natürlich auch eine hochaktuelle Problematik ist, nur beweisen hier Geschehen und Dialoge nicht einmal halb soviel Treffsicherhit wie noch bei den pointierten Streitgesprächen zuvor. Außerdem lässt sich das Problem „Workaholic“ mit Färber als Protagonist nicht durchhalten, weil er selbst im Endeffekt einfach keiner ist. Ihm geht es nämlich gerade nie um die Arbeit selbst, sondern immer nur um seine Vorstellung von einer besseren Welt, die er durch seine menschliche Architektur erreichen will. Und die Kritik am unmenschlichen Druck des Neoliberalismus soll wohl kaum in erster Linie dazu führen, progressiv-humanistische Visionäre als überarbeitete Opfer darzustellen. Hier wäre ganz einfach jede einzelne Nebenfigur besser als Hauptcharakter geeignet gewesen.
Peter Lohmeyer (Das Wunder von Bern, Playa Del Futuro) gelingt es mit seinem fiebrigen Spiel, den ruhe- und rückhaltlosen Färber beeindruckend zu verkörpern – auch wenn ihm seine schimmernde Glatze dabei hilfreiche Dienste geleistet hat und die Figur dennoch nie über ein Konstrukt hinauskommt. Ähnlich sind auch die Auftritte von Justus von Dohnanyi (Das Experiment, Vom Suchen und Finden der Liebe) zu bewerten: Seine Darstellung des krankhaft überambitionierten Born ist absolut eingängig, bleibt aber stets auf dem Niveau einer gelungenen Karikatur hängen. Ein Glück also, dass hier Susanne Wolff (Swinger Club) als Assistentin besetzt wurde. Mit ihrem Charme rettet sie die Glaubwürdigkeit des gesamten Cast, weil sie als einzige einen kompletten Menschen und nicht nur eine Aussage spielt. Und absolutes Highlight bleibt sowieso Ulrich Matthes (Der neunte Tag, Der Untergang), der den Dr. Leonhard mit einer genialen Mischung aus irrem Wissenschaftler und eiskalter Berechnung gibt.
Auch wenn man Stünkel auf der rein handwerklichen Ebene kaum einen Vorwurf machen kann, ist sie – wie so viele Debütregisseure – mit ihrer Inszenierung oft über das Ziel hinausgeschossen. Schon der Ouvertüre, in der man eine Flamingoherde in Zeitlupe dabei beobachtet, wie sie ohne einen letzten Blick einen toten Artgenossen zurücklässt, fehlt jegliches Gespür für Subtilität. Natürlich erschließt sich dem Zuschauer der Sinn dieser Metapher: Der Mensch ist ein Herdentier, das sich im Endeffekt aber doch nur um sich selbst kümmert. Trotzdem wirken diese überstilisierten Szenen zu sehr wie selbstgefälliges Kunstgewerbe, als dass man sie wirklich ernst nehmen könnte. Später lassen sich die Schwächen vor allem an der Visualisierung von Färbers psychischen Problemen festmachen. Während die Musik nämlich noch eine durchaus verstörende Wirkung aufweist, geht einem die Kamera, die die Hektik in Färbers Kopf nur durch überhastete MTV-Schnitte zu unterstreichen versucht, schon bald gehörig auf die Nerven. Stünkel destilliert aus Rinkes Theaterstück viele interessante Ansätze, kann dann aber kaum einen davon überzeugende zu Ende bringen.