Was es heißt, wenn eine Höhlentour plötzlich zu einer Höllentour wird, erfuhren 2005 die sechs Protagonistinnen aus Neil Marshalls ungemütlicher Horror-Entdeckung The Descent am eigenen Leib. Und nicht nur in Hollywood, auch im Independent-Kino kommen sie manchmal wieder. Während Marshall zuletzt bei dem Endzeit-Horror-Actioner Doomsday völlig von der Leine ging, ließ er eine Fortsetzung zu seinem bisher größten Erfolg geflissentlich aus. Offenbar wollte sich der Brite nicht wiederholen. Denn nichts anderes als eine Wiederholung ist das Sequel „The Descent: Part 2“. Aber Aufgewärmtes muss ja nicht unbedingt schlecht schmecken, gerade wenn es beim ersten Mal besonders gut gemundet hat. „The Descent“-Cutter Jon Harris weiß bei seinem Regiedebüt genau, was er tut, und liefert mit größerem Budget garstigen Survival-Horror, der zwar nicht an das Original heranreicht, aber dennoch gute Genrekost bietet.
Die Gemeinde Hyett County in den amerikanischen Appalachen ist in heller Aufregung. Sechs junge Frauen brachen zu einer Höhlentour auf, doch nur Sarah (Shauna MacDonald) überlebte schwer traumatisiert, vom Rest findet sich keine Spur. Der örtliche Sheriff Vaines (Gavan O‘Herlihy) und sein Deputy Rios (Krysten Cummings) sind extrem misstrauisch, immerhin ist Sarahs Kleidung mit dem Blut ihrer Kameradeninnen durchtränkt. Sie selbst kann sich an absolut nichts erinnern, wird aber von den Polizisten gezwungen, sich dem Rettungsteam anzuschließen, das sich direkt auf den Weg in die Höhlen macht. Neben Vaines, Rios und Sarah sind auch die Kletterspezialisten Dan (Douglas Hodge), Greg (Joshua Dallas) und Cath (Anna Skellern) mit am Start. Nicht wissend, dass sie direkt ins Verderben hinabzusteigen, dämmert der Truppe doch bald, dass hier etwas ganz und gar nicht stimmt…
Neil Marshalls The Descent rockte auf dem Fantasy Filmfest 2005 und erwarb sich mit handgemachtem Horror, wenig Licht, fiesen Kreaturen und purem Nervenkitzel eine treue Fangemeinde. Dieser Tiefschlag in die Magengrube sollte nicht ungesühnt bleiben. Jon Harris kopiert das Erfolgsrezept des ersten Teils, wobei er sich natürlich die ein oder andere Variation erlaubt. Der dramaturgische Aufbau ähnelt dem des Vorgängers. Allerdings wird im zweiten Anlauf weniger Wert auf eine ausgefeilte Charakterentwicklung gelegt, dafür geht es direkt hinab in die dunkle Tiefe. Aber bevor die ersten blinden, blutdürstenden, Gollum-ähnlichen Kreaturen nach dezenter Zurückhaltung zur Bluttat schreiten, vergeht einiges an Leinwandzeit, die vornehmlich dazu genutzt wird, das Publikum gegen den Rettertrupp aufzubringen, weil dieser der Identifikationsfigur Sarah kein Wort glaubt - allen voran Sheriff Vaines als einziger lupenreiner Unsympath. Mit seiner „My gun stays with me“-Cowboy-Einstellung ist er installiert, um das Publikum gehörig aufzustacheln, was auch hervorragend funktioniert.
Dass sich das Feld der Höhlen-Expediteure bald reduziert, ist keine Überraschung. Dennoch fährt das Drehbuchtrio J Blakeson, James McCarthy und James Watkins im Anschluss an die etwas holprige Prämisse, eine Trauma-Patientin sofort wieder ihren Ängsten auszusetzen, genügend interessante Ideen auf, um die Handlungsvariationen spannend und abwechslungsreich zu gestalten. Optisch legt Regisseur Harris – auch dank des höheren Budgets – sogar noch einen drauf. Die Szenen sind atmosphärisch dicht und perfekt ausgeleuchtet. Die Kreaturen bekommen mehr Konturen, ohne ihre furchteinflößende Wirkung zu verlieren. Sehr geschickt dreht Harris die Daumenschrauben immer fester an, bis sich „The Descent: Part 2“ in einen wahren Rausch steigert und Kunstblutfontänen die Leinwand überfluten.
Schauspielerische Glanzleistungen sind in einem Horrorfilm naturgemäß nicht zu erwarten, aber die Typen müssen stimmen - und das ist bei „The Descent: Part 2“ der Fall. Obwohl die wortkarge Sarah nicht unbedingt als Sonnenschein durchgeht, liegen alle Sympathien des Publikums bei ihr. Harris nutzt die volle Breite der Leinwand aus, um Shauna MacDonalds (The Mutant Chronicles, Saint Ralph) hübsches, mit Sommersprossen übersätes Gesicht zu präsentieren und so zum Mitleiden zu animieren. Ihr Gegenspieler, der übermisstrauische Sheriff Vaines, wird von Gavan O’Herlihy (James Bond 007 - Sag niemals nie) mit einem Hang zum Comic-Relief verkörpert, was einige trockene Oneliner und eine Prise herben Humor mit sich bringt. Von den weiteren Figuren kommt Deputy Rios noch die meiste Aufmerksamkeit zugute.
Wer während des Films ins Grübeln gerät, wie Harris aus der Nummer rauskommen will, ohne sich in vorhersehbare Konventionen zu verstricken, bekommt einen heftigen Hieb vor den Kopf versetzt. Denn die Auflösung hält ein schönes Schmankerl bereit, das sich in die Magengrube der Zuschauer bohrt und „The Descent: Part 2“ mit einem wahrhaft schlagenden Argument für Unentschlossene in den Bereich „sehenswert“ schupst.
Fazit: „The Descent: Part 2“ ist ein würdiger Nachfolger für Neil Marshalls Genre-Highlight. Selbst wenn dem Film als reine Variation übermäßige Originalität abgeht, unterhält der herzhafte Blutrausch auf gutem Niveau. Der Überraschungseffekt des Originals lässt sich natürlich nicht wiederholen, aber durch bessere Produktionswerte und eine solide Inszenierung sei das Sequel Anhängern des Vorgängers hiermit als Nachschlag wärmstens ans Herz gelegt.