Ein Film, in dem die Hauptdarsteller sich überwiegend nur in einem Raum bewegen, ist nicht neu, aber selten. Wenn die drei Hauptdarsteller allerdings auf engstem Feld in einem Mercedes-Benz zusammen mit einigen Flaschen Prosecco und einer Schüssel Heringssalat eingeschlossen sind, dann muss man schon von einer mehr als seltenen und auch sehr witzigen Grundkonstellation sprechen. Leider verliert der österreichische Regisseur Antonin Svoboda in der zweiten Hälfte von „Immer nie am Meer“ den ironischen Unterton aus den Augen. So pendelt sein Film am Ende etwas unentschlossen zwischen absurder Komödie in Helge-Schneider Manier sowie einem Psycho-Thriller im Stil von Michael Hanekes Funny Games und versinkt deshalb im Durchschnitt.
Geschichtsprofessor Baisch (Dirk Stermann) ist mit seinem Schwager Anzengruber (Christoph Grissemann) auf der Heimfahrt von einer Familienfeier in seinem gerade frisch online ersteigerten Mercedes-Benz. Auf dem Weg lesen die beiden noch den Kleinkünstler Herrn Schwanenmeister (Heinz Strunk) auf, der sein Fahrzeug beim Onanieren unabsichtlich im Straßengraben festgefahren hat. Der Anlass für Schwanengrubers erotische Träume wird auch Fahrer Baisch zum Verhängnis. Er übersieht eine Geherin (Eva Maria Neubauer), die anscheinend gerne nachts auf dunklen Straßen ihrem Hobby frönt. Beim Ausweichmanöver landet der Wagen unbemerkt von der Walkman-geschädigten Dame tief abseits der Straße im Wald. Die Türen lassen sich nicht öffnen, da das Fahrzeug unglücklich zwischen zwei Bäumen eingekeilt ist und die Elektronik in Form von Fensterhebern oder Sonnendach versagt jämmerlich. Schnell kommen die Herren auf die geniale Idee, in diesem Notfall die Scheiben einzuschlagen. Dummerweise erweist sich dies aber als schwierig, da Herr Baisch den Wagen des ehemaligen österreichischen Ministerpräsidenten Kurt Waldheim ersteigert hat. Und daher, so eröffnet der prinzipiell eher ruhige Baisch seinem verdutzten, leicht cholerischem Schwager Anzengruber, seien die Scheiben aus Panzerglas! Ohne Aussicht auf Entkommen beschließt das Männer-Trio, welches unterschiedlicher nicht sein könnte, auf Hilfe von außen zu warten. Ihre Vorräte belaufen sich auf eine von der Feier übrige gebliebene Schüssel Heringssalat und einige Flaschen Prosecco. Die Tage vergehen, ohne dass man die Männer findet und im Auto wechseln sich Wut- und Angstanfälle mit überdrehter Heiterkeit und verzweifelten Weinkrämpfen ab. Dann endlich findet der kleine Toni (Philip Bialkowski) den Wagen...
In Deutschland ist der österreichische Regisseur und Produzent Antonin Svoboda vor allem durch seine Produzententätigkeit bei Hans Weingartners Die fetten Jahre sind vorbei bekannt geworden, für die er den Deutschen Filmpreis in Silber erhielt. Mit „Immer nie am Meer“ hat Svoboda jetzt seinen zweiten Langfilm als Regisseur realisiert. Man kann dem Ergebnis seiner Bemühungen bestimmt einiges unterstellen, aber nicht dass er Mainstream-Kino inszeniert hat. Seine Hauptdarsteller sind keine Helden, wie man sie aus unzähligen Filmen kennt, sie sind mehr oder weniger normale Menschen in einer scheinbar ausweglosen Situation. Ihre Versuche, sich aus der misslichen Lage zu befreien, muten eher komisch oder hilflos an und schnell einigt sich deshalb das Trio auf das Warten, egal ob auf Hilfe oder auf den Tod. Dabei kommen bei allen die menschlichen Schwächen zu Tage, die sonst immer vor den Mitmenschen versteckt werden, die aber keinem Zuschauer fremd sein können. Und trotzdem bleiben die Eingeschlossenen in dieser Extremsituation nicht nur physisch, sondern auch psychisch eingeschlossen in ihren gesellschaftlichen Konventionen. Man geht relativ höflich und diszipliniert miteinander um und dem Ende entgegen, so wie es sich für gut erzogene Bürger gehört.
„Immer nie am Meer“ ist vor allem am Anfang amüsant anzuschauen, aber mit der Zeit geht den Dialogen und damit dem Film die Luft aus. Vielleicht wurde deshalb die Wendung mit dem kleinen Jungen eingebaut, die den Film in eine ganz andere Richtung zieht. War es vorher noch eine absurde Komödie, so verwandelt sich der Film plötzlich in eine Art Psycho-Thriller, dessen Pessimismus doch stark an Michael Hanekes „Funny Games“ erinnert. Der kleine Toni ist genauso konsequent gnadenlos, wie seine beiden großen Vorbilder, aber während man dies in „Funny Games“ akzeptiert, so wirkt hier das gestörte Kind mit seinem Faible für Tierexperimente nicht wirklich glaubwürdig. Wie soll es auch, schließlich wurde vorher eine Atmosphäre mit einem starken ironischen Unterton geschaffen, infolgedessen man die Episode mit dem Jungen einfach nicht ernst nehmen kann. Wenn Svoboda dies auch beabsichtigt hatte, dann ist es ihm in der Inszenierung leider nicht gelungen, das zu verdeutlichen. Dafür wirkt der zweite Teil des Films zu bemüht, eine dunklere Atmosphäre zu schaffen. Der Humor bleibt auf der Strecke, da hilft auch nicht mehr der kleine, böse Abschlussgag. Am Ende geht man mit dem Gefühl heraus, die Teile von zwei verschiedenen Filmen gesehen zu haben und deshalb hinterlässt „Immer nie am Meer“ einen zwiespältigen Gesamteindruck.
Dabei machen die Schauspieler einen guten Eindruck, obwohl sie eigentlich gar nicht schauspielern können. Christoph Grissemann und Dirk Stermann sind als Duo „Stermann & Grissemann“ in erster Linie erfolgreiche Kabarettisten und Radio-Moderatoren, Heinz Strunk alias Mathias Halfpape ist auch im wirklichen Leben Entertainer und Autor. Klugerweise hat Svoboda darauf verzichtet, mit den dreien komplizierte Rollenbilder zu erarbeiten, ein kleines bisschen spielt jeder sich selbst oder sein künstlerisches Ego. Als Ergebnis wirken Grissemann und Stermann auf der Leinwand durchaus authentisch, ein reizvoller Kontrast zu Halfpape, der im Grunde genommen Heinz Strunk spielt, auch wenn er Schwanenmeister heißt. Die drei bilden ein unterhaltsames Anti-Helden-Trio, welches sich selber nicht so ernst nimmt.
„Immer nie am Meer“ zeigt, dass eine gute Idee noch keinen guten Film macht. Man muss diese Idee auch konsequent verfolgen. Für Svobodas Film wäre ein bisschen weniger bemühter Spannungsaufbau wahrscheinlich mehr gewesen. So ist ihm sicherlich ein Film gelungen, der abseits der ausgetretenen Pfade des Kinos wandelt, aber es wäre halt deutlich mehr drin gewesen.