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    Preußisch Gangstar
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Preußisch Gangstar
    Von Nicole Kühn

    Produktionen aus den offiziellen Kaderschmieden des deutschen Filmnachwuchses ist es nicht selten eigen, dass sie einen ausgeprägten Form- und Gestaltungsdrang haben. Ambitioniert werden Genregrenzen und –mechanismen hinterfragt. Die Ergebnisse sind ästhetisch interessant, inhaltlich meist engagiert – nur die Freude am Zusehen bleibt manchmal auf der Strecke. Bartosz Werners und Irma-Kinga Stelmachs Jugenddrama „Preußisch Gangstar“ pendelt um die Grenze zwischen Dokumentation und Spielfilm und erzielt damit sehr intensive und authentische Momente. Das Lebensgefühl seiner perspektivlosen Protagonisten nimmt er dabei so ernst, dass darüber die Dramaturgie auf der Strecke bleibt. Wie die Helden Tino, Oli und Nico hangelt sich der Zuschauer zwischen Erwartung und Langeweile durch die knapp 90 Minuten.

    Der Osten Deutschlands hat nicht viele Perspektiven zu bieten. Besonders junge Leute müssen sich in der Spannung zwischen Erwartungen und Hoffnungen gutbürgerlicher Elternhäuser und dem Gefühl des Nicht-Gebraucht-Werdens einen Platz suchen. Die Mischung aus Resignation und trotzigem Selbsterhaltungstrieb sucht sich in „Preußisch Gangstar“ einen musikalischen Weg nach draußen. Für Tino (Benjamin Succow), Oli (Mario Knofe) und Nico (Robert Ode) ist das Hören und Produzieren von Hip-Hop und der dazugehörige Jugendclub Dreh- und Angelpunkt ihres Lebens. Zu allem anderen – Eltern, Schule, Arbeit, selbst die Freundin – haben sie den Bezug verloren. Doch die realen Probleme lösen sich auch durch die Musik nicht in Wohlgefallen auf, und so scheint der weitere Abstieg auf der sozialen Leiter oder zumindest eine aussichtslose Stagnation auf einer Zuschauerposition der Turbogesellschaft vorprogrammiert.

    Bartosz Werner und Irma-Kinga Stelmach von der Hochschule für Film und Fernsehen Konrad Wolf begleiten die drei Jugendlichen auf ihrem schwierigen Weg in ein eigenständiges Leben mit einem dokumentarisch anmutenden Blick. Man taucht ein in einen trostlosen Alltag, der kaum Abwechslung oder gar Höhepunkte zu bieten hätte. Das Innenleben der Protagonisten wird vor allem im Umgang mit ihrem Umfeld deutlich, in dem sich schnell herausstellt, dass alle Beteiligten der Lage recht hilflos gegenüber stehen. In dieser ereignisarmen Welt bewegen sich die Laiendarsteller in einer Mischung aus Resignation und Aggression, die sich an kaum einem Objekt konkret festmachen kann. Die schwierigste aller Rollen, nämlich sich selbst zu spielen, gelingt dem Ensemble erstaunlich gut. In der großen Authentizität der Darstellung macht sich die gemeinsame Entwicklung der Figuren in vielen Interviews bemerkbar. Die Kehrseite dieser Lebensnähe sind die unausgegorenen Dialoge, die zu gefühlten 50 Prozent mit „Ey, Alter, ey…“ beginnen und denen der große Anteil an Improvisation nur bedingt gut tut. Um einen abendfüllenden Spielfilm zu tragen und das Interesse des Zuschauers wach zu halten, kommt einem zu viel des Gezeigten und Gesagten bestens bekannt vor: aus Reportagen, den Selbstbespiegelungen auf Youtube und aus eigener Anschauung. Dass Letztere gerade an den immer breiter werdenden Rändern der Gesellschaft nur allzu gerne vorbei schaut und „Preußisch Gangstar“ genau dorthin den Blick lenkt, ist ein löbliches Unterfangen, das seinem Anliegen dient – nicht weniger, aber auch nicht mehr.

    Die Kameramänner Ben Pohl und Andreas Bergmann liefern passend zu diesem Realismus nüchterne Bilder, über denen ein allgegenwärtiger fahler Schleier liegt. Wie auf der dramaturgischen Ebene verzichtet der Film auch auf der ästhetischen weitgehend auf Kunstgriffe. Die inszenierten Höhepunkte bleiben sehr wenige, und keiner von ihnen markiert einen Wendepunkt in der Handlung. Parallel dazu ist man den Figuren optisch immer gleich nahe bzw. gleich fern, was sich unweigerlich auf die Identifikation mit ihnen überträgt. So kommt die Kamera den Menschen recht nahe, sie rückt ihnen aber weder wirklich aufsässig auf die Pelle noch gewinnt sie eine beobachtende Distanz. Diese Haltung schafft die Unmittelbarkeit von Homevideos, lässt das Ergebnis allerdings über weite Passagen kaum über deren Zweck als mehr oder weniger zufällig archiviertes Leben hinauskommen.

    Große Energie gibt dem Geschehen wie auch dem Film die Musik. Sie kommt rau und authentisch rüber, bringt die Gedanken und Gefühle der Interpreten ungleich direkter und treffender zum Ausdruck als die Dialoge. Die Szenen, in denen die Musik als Rettungsanker das Geschehen trägt, sind bezeichnenderweise die intensivsten. In der Atmosphäre der beatunterlegten Stakkatopoesie gewinnen die Darsteller eine sonst in diesem Film selten gesehene Souveränität und strahlen ein Gefühl der Verbundenheit aus, die ebenso diffus wie stark ist. Gegen die Farblosigkeit der Bilder wirken die kraftvoll-trotzigen Klänge umso intensiver und geben dem Film musikalisch ein nachhallendes Sprachrohr an die Hand, so dass der Max Ophüls Preis für die beste Filmmusik durchaus gerechtfertigt ist.

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