Der Horrorliterat Clive Barker ist eine Größe, vor der selbst Stephen King seinen Hut zieht. Seine abgründigen und fiebrigen Visionen begeistern Fans des Makaberen seit fast zwei Dekaden und haben längst auch im Kino und im PC-Spiel-Sektor Fuß gefasst. Mit der Verfilmung seiner „The Hellbound Heart“- Erzählung, die er direkt selbst inszenierte, schuf er einen Horrorfilm, der quasi augenblicklich Kultstatus erlangte. Hellraiser etablierte den Pinhead als diabolischste Figur im Schauerkabinett um Freddy Krüger und Micheal Myers und zog bislang 7 Fortsetzungen nach sich. Auch eine seiner Episoden aus den „Büchern des Blutes“ hat mit Lord Of Illusions bereits ihren Weg auf die Leinwand gefunden. Aus dieser Reihe stammt auch die Kurzgeschichte „The Midnight Meat Train“. An deren Filmumsetzung hat Barker nur beim Drehbuch ausgeholfen, Regie führte der Japaner Ryuhei Kitamura (Alive). Anders als bei den teilweise unterirdischen Hellraiser-Nachfolgern hat das dem Film aber nicht geschadet. „The Midnight Meat Train“ bewegt sich nah an der Vorlage und ist ein albtraumhafter Trip geworden, der vielleicht nicht so boshaft und psychologisch wie Hellraiser daherkommt, für Genrefans aber ein gefundenes Fressen ist. Und zwar nur für Genrefans. An ein Mainstream-Publikum richtet sich die düstere und ausufernd-brutale Splatterorgie nämlich definitiv nicht.
Der aufstrebende Fotograf Leon Kauffman (Bradley Cooper, serie,2) ist auf der Jagd nach Motiven, die die harte und dreckige Seite der Großstadt porträtieren. Eines Nachts knipst er eine Gang, die eine junge Frau bedroht, und schafft es mit mehr Glück als Verstand, die Dame vor Schlimmerem zu bewahren. Die Ausstellungsleiterin Susan Hoff (Brooke Shields) ist von den Aufnahmen beeindruckt, fordert Leon aber dazu auf, mehr Material zu sammeln. Am nächsten Tag erkennt Leon die junge Frau wieder – als Mordopfer in einer Zeitungsanzeige. Und mehr noch: Auf einem seiner Bilder bemerkt er eine mysteriöse Gestalt (Vinnie Jones, Die Todeskandidaten), die er zufällig auch an einem anderen U-Bahn-Ausgang fotografiert hat. Trotz heftiger Einwände seiner Freundin Maya (Leslie Bibb) begibt Leon sich zunehmend obsessiv auf die Suche nach der Gestalt, in der er bald einen Serienmörder vermutet, und kommt schließlich einem schrecklichen, jahrhundertealten Geheimnis auf die Spur...
Bei der Verfilmung einer Kurzgeschichte stellt sich stets die Frage, wie mit dem überschaubaren Stoff ein ganzer Spielfilm zu füllen ist. In der Vorlage steht das blutige Geschehen in der nächtlichen U-Bahn im Mittelpunkt, und das wäre dann doch zu wenig für 85 Minuten gewesen. Also erweiterten die Drehbuchautoren Jeff Buhler und Clive Barker höchstpersönlich den Splatterplot um Leons Berufs- und Beziehungsgeschichte. Seine dazugeschriebene Freundin Maya erdet den Charakter und kann, obgleich sie nicht im Zentrum der Handlung steht, durchaus als Identifikationsfigur durchgehen. Durch ihre Augen blickt auch der Zuschauer zunehmend skeptisch auf Leons Obsession. Was genau ihn nämlich dazu veranlasst, immer manischer hinter dem Killer herzujagen, wird nicht ganz ersichtlich. Das könnte man dem Film als schlampige Charakterzeichnung vorwerfen – oder aber als atmosphärisches Plus anrechnen. Denn Clive Barker spielt oft genug mit der unergründbaren Faszination des Ekels, dem poe’schen Alb der Perversheit. Der Horror in „The Midnight Meat Train“ wirkt dadurch subtiler, als es vorerst ersichtlich wird. Nicht die Gewalt, deren Zeuge Leon schließlich wird, ist unheimlich, sondern vielmehr sein innerer Drang, wider alle Vernunft in eben dieses Szenario einzutauchen.
Und sobald er das tut, bricht die Hölle los. Die Splattersequenzen sind knallhart und die Kamera bleibt immer dabei. Ein Großteil des Blutbades ist sehr plastisch geraten, lediglich bei einer Kamerafahrt um ein herausspringendes Auge werden die CGI-Effekte unangenehm offenbar. Schockierend ist dabei nicht nur die explizite Darstellung, sondern vor allem die Perspektive – eine der Mordszenen wird aus Sicht des Opfers gezeigt. „The Midnight Meat Train“ balanciert dabei gewagt auf der Grenze des guten Geschmacks, driftet allerdings anders als etwa das Saw-Franchise nie in puren Voyeurismus ab. Denn trotz aller Härte weidet sich der Film nicht an den Todesqualen der Opfer. „The Midnight Meat Train“ zelebriert seine Gewalt schnell und präzise im eiskalt ausgeleuchteten U-Bahn-Szenario - ohne sadistischen Ballast - und wirkt dadurch gerade irreal genug, um besagte Grenze nicht zu überschreiten. Spätestens wenn ein fiebriger Leon im Schlachterkittel zum Grande Finale gegen den Killer antritt, verliert der Film ohnehin seine Verankerung in der Realität und unterhält als das, was er sein will: ein dreckiger Splatterfilm.
Mehr als das ist „The Midnight Meat Train“ aber zu keinem Zeitpunkt. Die U-Bahn-Sequenzen sind durch ihre konsequente und gnadenlose Inszenierung zwar sehr intensiv, das oberirdische Treiben aber oft zäh. Obgleich die Kurzgeschichte gut mit dem dazugeschriebenen Überbau harmoniert und die Darsteller nichts anbrennen lassen, ist dieser zu langatmig geraten. Die Ausgestaltung von Leons Berufsweg zögert den unvermeidlichen Exzess heraus, ohne ihn anzureichern. Eine Kürzung um 10 Minuten hätte den Film angenehm gestrafft.
Fazit: „The Midnight Meat Train“ ist trotz dieser Schwächen im Detail eine vorlagengetreue und kalt servierte Schlachtplatte, die ihr Zielpublikum genau kennt. Ryuhei Kitamuras erste Regiearbeit im Westen glänzt zwar mit gelungenen und kalten Nachtweltbildern und einem furiosen Schlussakt, ist aber zu kompromisslos für ein Massenpublikum. Genrefans wird´s freuen - und für die ist dieser weitere Ausflug in Clive Barkers Albtraumwelten maßgeschneidert.