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    Leroy
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Leroy
    Von Andreas Staben

    Über 100.000 Mal wurde der Kurzfilm „Leroy räumt auf“ im Internet heruntergeladen. Die Abenteuer eines schwarzen deutschen Teenagers mit eindrucksvoller Afro-Frisur kamen auch auf diversen Festivals so gut an, dass die Story nun in Spielfilmlänge in die Kinos kommt. Nach der erfolgreichen Fingerübung drehte Regisseur und Autor Armin Völckers, der bis dahin vor allem als Maler tätig war, eine ambitionierte Komödie mit dramatischen Untertönen über Rassismus und rechte Gewalt, erste Liebe und deutsche Identität. Das Ergebnis ist wechselhaft, aber stets spannend.

    Leroy (Alain Morel) ist ein schüchterner 17-jähriger Berliner, der nicht nur mit den üblichen Pubertätsproblemen zu kämpfen hat, sondern sich auch zunehmend Gedanken über seine besondere Situation als Deutscher mit dunkler Hautfarbe macht. Mit seinem Kumpel Dimi (Constantin von Jascheroff, Falscher Bekenner), einem Halbgriechen, streift er durch Schöneberg und sinniert über Mädchen und übers Deutschsein. Als ihn sein blonder Schwarm (Anna Hausburg) eines Tages auf dem Schulhof anspricht, ist es um ihn geschehen. Leroy ist verliebt. Das Mädchen heißt Eva Braun, und schnell wird deutlich, dass diese Namenswahl kein Zufall war. Ihr Vater ist deutsch-nationaler Politfunktionär und ihre fünf Brüder gewaltbereite Rassisten. Die Situation eskaliert schließlich auf dramatische Weise, aber Leroy und seine Freunde sind bereit zurückzuschlagen. Durch militante Lesben verstärkt ziehen sie zum Quartier der Neonazis...

    Leichte Schläge auf den Hinterkopf erhöhen das Denkvermögen, heißt es. Wenn das wahr wäre, dann müssten die sich in „Leroy“ ständig gegenseitig auf die Glatzen klopfenden Neo-Nazis Intelligenzbestien sein. Doch davon kann nicht die Rede sein. Das rechtsextreme Milieu wird hier leichtherzig der Lächerlichkeit preisgegeben. Von den Wellensittichen namens Rommel und Kaltenbrunner bis zu den Klischee-Outfits fügen sich alle Elemente zu einem Bild kleingeistiger Beschränktheit. Das ist häufig lustig, aber bei einem solchen Porträt könnte auch leicht der Eindruck einer Verharmlosung entstehen. Das weiß Völckers zwar zu verhindern, indem er uns die stets kurz vor dem Ausbruch stehende latente Gewalt nicht vorenthält und die Einbrüche von Brutalität wirkungsvoll und in aller Deutlichkeit inszeniert. Eine wirkliche Auseinandersetzung mit dem rechten Gedankengut findet allerdings nicht statt.

    Wenn Völckers auf dem Höhepunkt der Eskalation die Annäherung von Leroy und Evas verständigstem Bruder zeigt, ist das eine erstaunliche Volte. Inmitten von Chaos und Gewalt wird in gegeneinander montierten Großaufnahmen ein echtes menschliches Erkennen gemeinsamer Ängste und Empfindungen angedeutet. Insgesamt ist der in Evas Familie zu beobachtende Sinneswandel, der (psycho)logisch kaum nachvollziehbar ist, am ehesten Ausdruck einer hoffnungsvollen Utopie. Der optimistische Impuls des Films findet sich auch in der Idee wieder, die Codes der Rechten einfach für den Mainstream zu annektieren und ihre Kultur durch Kommerzialisierung zu vereinnahmen. An deren Umsetzung versuchen sich Leroy und die Braun-Brüder am Ende des Films in einem schwungvollen, aber doch sehr bemüht wirkendem Rap.

    Interessanter als die tumben Braunen ist allemal der zweifelnde schwarze Protagonist, der mit seiner Goethe-Büste und der Unfähigkeit das Wort „jüdisch“ über die Lippen zu bringen, manchmal offenbar deutscher sein will als seine hellhäutigen Landsleute. Durch die Angestellten eines kleinen Schallplattenladens findet er schließlich zu einem neuen auch von schwarzer Kultur geprägten Selbstbewusstsein. Für den Klassikliebhaber Leroy tun sich neue Welten auf: Black Power, Blaxploitation, Soul und Funk heißen die Stichworte. Shaft wird einer seiner neuen Helden. Diese durch die Umstände besonders schwierige, aber dennoch in Vielem typische pubertäre Identitätssuche ist ständiges Thema des Films und erweist sich durch viele individuelle Details als eines seiner überzeugendsten Elemente.

    Das sensible Spiel der Darsteller sorgt dazu in der zum Teil etwas episodenhaften Struktur für emotionale Kontinuität und einige Tiefe. Besonders das junge Liebespaar überzeugt mit Frische und Natürlichkeit. Alain Morel, der als Leroy das erste Mal vor der Kamera stand, ist die Unerfahrenheit manchmal noch anzumerken, was seiner Darstellung eines unsicheren jungen Menschen, der Orientierung sucht, einen besonderen, sehr passend wirkenden Charme verleiht. Und Anna Hausburg (TKKG - Das Geheimnis um die rätselhafte Mind-Machine) als Eva ist ein idealer Gegenpart, sie besitzt genau die Portion Frechheit und Stärke, um sich als in jeder Hinsicht aus der Art geschlagenes Mitglied in ihrer Neo-Nazi-Familie durchsetzen zu können. Ein weiterer Besetzungs-Coup ist die Wahl von Günther Kaufmann für die Rolle von Leroys Vater. Der Veteran aus Fassbinder-Klassikern wie „Whity“ und Die Ehe der Maria Braun hat sichtlich Vergnügen an seinem Part als eigenwilliger Erfinder und spielt seine Albernheit genüsslich aus, bleibt aber auch als verantwortungsvoller Vater glaubwürdig, wenn er Leroy von seinen eigenen Erfahrungen mit Liebe und Rassismus berichtet.

    Im Bewusstsein der identitätsstiftenden und identifikationsfördernden Macht der Musik wurde für „Leroy“ ein an den Klassikern der schwarzen Musik der 70er orientierter Soundtrack produziert. Unter der Federführung des Rappers Denyo von den Absoluten Beginnern steuern viele Stars der deutschen Hip-Hop- und Afro-Pop-Szene Originalsongs bei. Afrob tritt als Blacula sogar selbst auf. Der zwar abwechslungsreiche, nicht immer ganz gelungene Soundtrack ist ein musikalisches Spiegelbild des Films selbst. Explizit engagierte Songpamphlete stehen neben spielerisch die Soul- und Funk-Tradition aufgreifenden Stücken, mitunter rückt die Musik dabei auch zu sehr in den Vordergrund.

    Teenager-Komödie und Blaxploitation-Hommage, Liebesgeschichte und musikalisches Message-Movie - „Leroy“ ist in der Tat ein ungewöhnlicher Film. Was Völckers und Produzent Oliver Stoltz („Kai Rabe gegen die Vatikankiller“, Lost Children) uns in diesem originellen Genre-Mix präsentieren, ist über weite Strecken höchst unterhaltsam. Dass dabei der eine oder andere Gag nicht so recht zündet, mindert das Vergnügen kaum. Nur der eigene Anspruch steht den Filmemachern zuweilen doch im Wege. Das didaktische Anliegen, mit leichter Hand von ernsten Problemen erzählen zu wollen, ist überdeutlich spürbar und mindert eher den erhofften Aha-Effekt. Die vielen Identifikationsangebote an das junge Publikum haben ein wenig den Beigeschmack der strategischen Anbiederung. „Leroy“ ist auch eine maßgeschneiderte Diskussionsvorlage für den Gemeinschaftskundeunterricht: eine potentielle Kultfigur als Klausurthema.

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