Bereits 2005 kündigte Filmproduzent und Marvel-Studio-Chef Avi Arad an, das Superhelden-Team „The Avengers" auf die Leinwand zu bringen und stellte einen verwegenen Plan vor: In Einzelfilmen sollten die Figuren zuerst separat eingeführt werden, ein gemeinsamer Film der gesamten Heldenclique würde sie im Anschluss alle vereinen. Über die Jahre gab es zwar kleinere Änderungen am Konzept – so wurde der ursprünglich mitangekündigte „Ant-Man" vorerst auf Eis gelegt – doch das Ziel haben die Marvel-Oberen nie aus den Augen verloren. Mit den Soloauftritten der Titelhelden von „Iron Man", „Der unglaubliche Hulk", „Thor" und „Captain America" wurde die Vorarbeit geleistet - und jetzt folgt tatsächlich die Teamarbeit in Joss Whedons Comic-Blockbuster „Marvel‘s The Avengers". Der Regisseur ist zwar ein ausgewiesener Comic-Spezialist, aber er hatte zuvor neben Fernsehserien wie „Buffy" oder „Firefly" mit „Serenity" erst einen Kinofilm inszeniert. Doch Whedon bewältigt die Herkules-Aufgabe mit Bravour. „The Avengers" ist bombastisches Blockbuster-Kino mit vielen ironischen Zwischentönen und einem Figurenensemble, das noch deutlich mehr zu bieten hat als nur große Namen und bekannte Helden.
Loki (Tom Hiddleston), Adoptivsohn des Gottes Odin, hat sich nach seinem gescheiterten Angriff auf die Erde mit einer außerirdischen Rasse verbündet. Er ist nun mächtiger als je zuvor und es gelingt ihm, Professor Erik Solveig (Stellan Skarsgard) sowie Agent Clint Barton (Jeremy Renner), genannt Hawkeye, in seinen Bann zu ziehen. Mit deren Hilfe stiehlt Loki den Würfel Tesseract, eine grenzenlose Energiequelle, aus dem Bunker der Geheimorganisation S.H.I.E.L.D für seine finsteren Zwecke. S.H.I.E.L.D.-Direktor Nick Fury (Samuel L. Jackson) reaktiviert zur Rettung der Menschheit den Supersoldaten Captain America (Chris Evans), der über Jahrzehnte im Eis eingefroren war. Furys Spionin Black Widow (Scarlett Johansson) holt zudem den Wissenschaftler Bruce Banner (Mark Ruffalo) ins Team, der den Tesseract aufspüren soll. Und auch Milliardär Tony Stark (Robert Downey Jr.) alias Iron Man wird um Hilfe gebeten. Schneller als erwartet erscheint Loki im deutschen Stuttgart wieder auf der Bildfläche. Dort gelingt es Captain America und Iron Man, ihn gefangen zu nehmen. Doch auf dem Rücktransport werden sie attackiert: Donnergott Thor (Chris Hemsworth) will seinen Adoptivbruder befreien, um ihn selbst in der Götterwelt Asgard zu bestrafen. Doch Loki will gar nicht gerettet werden, denn in den Reihen der Helden wartet eine ungeheure Zerstörungskraft auf ihre Entfesselung, die er sich zunutze machen will: der unglaubliche Hulk!
Nachdem Regisseur Joss Whedon schon bei „Serenity" mit gerade einmal 39 Millionen Dollar Beeindruckendes leistete, lässt er es nun mit Hilfe eines üppigen Budgets von kolportierten 220 Millionen Dollar so richtig krachen und übertrifft dabei auch alle bisherigen Marvel-Comicverfilmungen. Schon der Auftakt, in dem Loki den streng bewachten Stützpunkt von S.H.I.E.L.D. in Schutt und Asche legt, gibt hier die Richtung vor. Spätestens wenn dessen außerirdischen Verbündete mit riesigen raupenartigen Wesen im Gepäck auf der Erde einfallen und fast ganz Manhattan dem Erdboden gleichmachen, lassen Non-Stop-Zerstörungsorgien wie „Transformers" und „Battleship" grüßen. „The Avengers" hebt sich aber dank deutlich besserer Figurenzeichnung und insbesondere durch die Dynamik zwischen den einzelnen Helden deutlich vom Krawallkino à la Michael Bay ab (mehr in unserem Special).
Natürlich lässt es sich Whedon nicht nehmen, seine Heroen erst einmal auf Konfrontationskurs zu schicken. Da muss sich Thor ausgiebig mit Iron Man und Captain America prügeln, bevor sie sich für die gemeinsame Sache verbünden. Doch selbst dann ist es noch weit bis zum Heldenteam, hat doch jeder ein eigenes großes Ego. Ein zusätzlicher Risikofaktor ist natürlich Bruce Banner, der sich bei Stress in das unkontrollierbare grüne Wutmonster Hulk verwandelt, das auf alles und jeden einschlägt. Whedon nutzt dies für das Highlight unter den Heldenkloppereien: Hulk gegen Thor! Mindestens ebenso unterhaltsam wie diese krachenden Handgreiflichkeiten sind die Wortgeplänkel zwischen den Avengers ausgefallen. Whedon, der auch das auf einer von Zak Penn schon 2007 entwickelten Story basierende Drehbuch schrieb, legt seinen vier Helden eine Menge markiger Oneliner in den Mund. Und obwohl der ein oder andere Spruch etwas zu berechnend gesetzt ist, gibt es immer wieder Anlass für Szenenapplaus, wobei ausgerechnet der so wortkarge Hulk bei seinen Konfrontationen mit den Göttern Loki und Thor den Vogel abschießt.
Jener Hulk war lange Zeit das Problemkind von Marvel. Hieß es ursprünglich noch, dass Ang Lees sträflich unterschätzte Comic-Adaption „Hulk" mit Eric Bana („München") von 2003 als Grundlage für „The Avengers" dienen solle, schuf man 2008 mit „Der unglaubliche Hulk" doch eine neue Version – nun mit Edward Norton in der Heldenrolle. Der „Fight Club"-Star wiederum wurde nun durch Mark Ruffalo („Zodiac") ersetzt und der brilliert nicht nur als getriebener Wissenschaftler, sondern auch als zorniger Hulk, was unter anderem darauf zurückzuführen ist, dass das grüne Wutmonster hier anders als bei den Vorgängern tatsächlich die Gesichtszüge des Darstellers trägt und Ruffalos Mienenspiel so zur Geltung kommen kann. Der Hulk hinterlässt damit den stärksten Eindruck aus einem insgesamt starken Heldenquartett mit Iron Man, Thor und Captain America, aber Whedon konzentriert sich keineswegs ausschließlich auf die „Big Four".
Die Helden der zweiten Reihe wie Spionin Black Widow, Bogenscharfschütze Hawkeye oder Direktor Nick Fury bekommen annähernd die gleiche Aufmerksamkeit wie ihre prominenteren Kollegen. Den besten Eindruck hinterlässt dabei Agent Phil Coulson (Clark Gregg), der bisher eher als unscheinbares Bindeglied zwischen den einzelnen Filmen diente. In „The Avengers" wird Coulson nun gewissermaßen zum Leinwand-Alter Ego für die Fanboys. Der idealistische Agent entpuppt sich als hemmungsloser Nerd, der Captain-America-Sammelkarten im Spind hat und auf ein Autogramm seines Idols hofft. Dazu bekommt er gleich eine ganze Reihe komischer Momente spendiert: Er hat nicht nur die coolste Konfrontation mit Loki, dem jeder Held einmal im Tête-à-Tête gegenübertritt, sondern ihm gehört auch die emotionalste Szene des Films. Agent Coulson ist so nicht nur ein wichtiger Motor für die Fortentwicklung der Story, sondern der heimliche Star der „Avengers".
Marvels bisher einzigartige Strategie, mit einer Reihe von eigenständigen und unterschiedlichen Einzelfilmen einen Ensemblefilm vorzubereiten, wirft für diesen eine ganz entscheidende Frage auf: Kann man „Marvel's The Avengers" genießen, ohne die vorhergehenden fünf Filme mit Iron Man und Co. gesehen zu haben? Die Antwort lautet: ja, aber... Joss Whedon reißt die Hintergrundgeschichten der einzelnen Figuren zwar kurz an, aber wer die Vorgänger nicht kennt, findet die meisten Sprüche nur halb so lustig. Und wer „Captain America" nicht gesehen hat, wird angesichts des „Tesseracts" erst einmal nur Bahnhof verstehen. Zudem ist Loki ohne die Vorkenntnisse aus „Thor" ein ziemlich eindimensionaler Bösewicht. Und auch die Hardcore-Fans müssen kleine Abstriche machen, denn obwohl „The Avengers" der bislang längste Marvel-Film ist, bleibt nicht Zeit, auf alles einzugehen. Dass Thor wieder auf die Erde reisen kann, was nach der Zerstörung der Bifröst-Brücke eigentlich unmöglich sein sollte, wird mit einem unbefriedigenden Halbsatz abgetan genauso wie die Abwesenheit seiner großen Liebe Jane Foster (Natalie Portman).
Fazit: Das wagemutige Konzept von Marvel ist aufgegangen. Die Zusammenkunft der Superhelden in „The Avengers" überzeugt mit coolen Sprüchen und reichlich Bombast-Action. Für Comic-Fans ist der Film ein Muss und wer sich nach diesem Feuerwerk mehr Superhelden-Power wünscht, dem erfüllt Marvel diesen Wunsch. Neue Einzelfilme wie „Iron Man 3", „Thor 2" und „Captain America 2" sollen schließlich in einer erneuten Vereinigung in „The Avengers 2" gipfeln – und vielleicht ist dann ja auch der „Ant-Man" dabei.