Mit Filmen wie Eastwoods "Million Dollar Baby", der den Zuschauer förmlich zwingen will, in einem Heulkrampf auszubrechen, kann ich generell nicht wirklich etwas anfangen, gerade weil hier durch die teils übertriebene Darstellung der Charaktere ein eher surrealer Eindruck vermittelt wird, so als ließe sich Eastwoods Prämisse beim Drehen des Filmes in einem Satz zusammenfassen: "Achtet nicht darauf, ob das Ganze logisch ist, greift einfach zu euren Taschentüchern". Dramen stehen allgemein oft vor diesem Problem. Merkt der Zuschauer, dass bewusst versucht wird, auf die Tränendrüse zu drücken, so wirken die meist tragischen GEschichten nur halb so stark. Diesen Vorwurf muss sich leider auch "Beim Leben meiner Schwester" gefallen lassen.
Sara (Cameron Diaz) ist die liebende Mutter eines krebskranken Kindes. Mit Hilfe einer künstlich geschaffenen zweiten Tochter will sie diese zukünftig als Spenderin für ihr tiodkrankes Kind nutzen. Diese widerum will den Status eines "Ersatzteillagers" loswerden, geht zum Anwalt (Alec Baldwin) und klagt ihre Eltern auf medizinische Selbstbestimmung an.
Beim Leben meiner Schwester thematisiert den Abschiedsschmerz einer Mutter, die hinnehmen muss, dass ihr Kind sterben wird. Die Thematik ist gewiss gelungen in Szene gesetzt. Gerade die Momente, in denen nicht geredet wird, sind sehr intensiv und bewegend. Wenn nur die Gestik und Mimik den Eindruck über die Gefühlswelt der gut in Szene gesetzten Charaktere vermittelt, kann das auf den Zuschauer durchaus beklemmend wirken. Sehr erfreulich - und für ein Drama auch evident - ist die Tatsache, dass sich hier sehr viel Zeit für die Charaktere genommen wird. Am Anfang des Filmes führt jeder Charakter, der im Film eine größere Rolle spielt, einen Monolog, in dem man etwas über die Gefühlswelt der jeweiligen Protagonisten erfährt. Alleine die Tatsache, dass jeder anders mit dem familiären Schicksal umgeht, gibt das Gefühl, sehr unterschiedliche und reele Personen vor sich zu haben.
Regisseur Nick Cassavettes gelingt es ohne Ausnahme Emotionen auf die Leinwand zu bannen. Da beobachtet man minutenlang das Spielen der Kinder am Strand mit gefühlsbetonter musischer Untermalung im Hintergrund, ohne das nur auch ein Wort gesprochen wird und man beobachtet ansich, wie man förmlich in die Gefühlswelt der Familie eintaucht und Teil der GEschichte wird. Solch einen Gefühlssog lösen nur die wenigsten Filme aus.
Beim Leben meiner Schwester hätte durchaus das Zeug zum Hit gehabt, versagt jedoch an manchen Stellen kläglich. Auf der einen Seite stehen teils unlogisch wirkende Szenen oder dämliche Dialoge, wobei dies zwar eher selten vorkommt, den Zuschauer aber immerwieder aus der Gefühlswelt entlässt. Da wäre zum Beispiel eine Szene zu nennen, in der die krebskranke Tochter mit ihrem ebenfalls krebskranken Freund im Bett liegt und über das Leben nachdenkt. Da fallen folgende Worte: "Wenn ich nicht krank wäre, hätte ich Dich nie kennengelernt". "Ich bin froh, dass ich krank bin". "Ja, ich auch". Derartige Übertreibungen rauben dem Film kurzzeitig den Realismus und lassen ihn in einem äußerst naiven Licht erscheinen. Sicherlich hat sich die Hauptfigur mit ihrem Schicksal abgefunden. Dass sie jedoch froh ist, diesem Schicksal zu erliegen, entbehrt jeglicher Logik. Leider sind solche Übertreibungen auch im Charakterdesign der Figuren zu sehen. Das krebskranke Mädchen wirkt derart souverän, dass es man es mit einem erwachsenen Menschen vergleichen könnte. Etwas paradox wirkt auch die Tatsache, dass die Spendertochter vollkommen selbstbewusst zum Anwalt geht und ihre Eltern verklagt. Welches ca. zehnjährige Kind wäre dazu in der Lage? In der Tat tut dieser Sachverhalt manchen Filmen keinen Abbruch. Hier jedoch - wo auf eine authentische Darstellung Wert gelegt werden muss, zerstören derartige Schnitzer doch stellenweise den Film.
Obwohl die Szenen wirklich emotional geladen sind, geht dem Film in der Mitte einmal kurz die Luft aus: Der Film erzählt in Rückblenden vom Leben der Krebskranken. Dies gefällt anfangs auch, jedoch werden manche Erlebnisse, die überhaupt nichts mit ihrem Schicksal zu tun haben, zu ausführlich rezipiert. Hier macht sich dann auch mal kurzzeitig Langweile breit.
Schauspielerisch wird - abgesehen von den inhaltlichen Unregelmäßigkeiten der Charaktere - eine gute Leistung geboten. Cameron Diaz spielt ihre Rolle erstaunlich souverän, wobei manch einer wohl Schwierigkeiten damit haben wird, der Schauspielerin ihre Rolle abzukaufen, weil sie sonst eher mit Komödien wie "3 Engel für Charlie" und "Verrückt nach Mary" zu sehen war. Betrachtet man ihre Leistung im Detail, so gibt es doch kleinere Dinge zu bekritteln: In manchen Szenen wirkt es so, als würde sie die Textpassagen aus dem Drehbuch einfach nur abarbeiten, statt sie mit Emotionen zu füllen. Schauspielerisch bewegt sich alles auf relativ hohem Niveau, wobei es den Schauspielern nicht immer gelingt, die Charaktere mit vollkommener Authentizität zu füllen.
Nick Cassavettes hat auf jeden Fall eines erreicht. Er hat ein Drama gedreht, dass den Zuschauer rücksichtslos in seinen Bann zieht und in hinsichtlich seiner Emotionen vollkommen vereinnahmt. Überwiegend kommt er auch ohne übertriebene Dramatik aus und ist sichtlich bemüht, das Schicksal der Familie möglichst realitätsgtreu abzubilden, wobei ihm dies nicht immer gelingt. Wären keine Schwächen im Charakterdesign und im allgemeinen Handlungsverlauf, so könnte man durchaus von einem starken Film reden, aufgrund dieser Teils doch sehr schwer ins gewicht fallenden Mängel reicht es noch für einen "guten" Film, den sich Dramafans auf keinen Fall entgehen lassen sollten.