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    Schwarze Schafe
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Schwarze Schafe
    Von Martin Thoma

    Speziell im Süden der Republik, sagen wir der Einfachheit halber in Bayern, hat man bekanntlich immer noch ein sehr idealisiertes Bild von der deutschen Hauptstadt Berlin. Die Stadt sei ruhig, freundlich, sauber und werde bewohnt von wohlhabenden friedliebenden Menschen, die fleißig ihr Tagwerk verrichten - so lauten die gängigsten Vorurteile. Mit der knallharten Realität hat das wenig zu tun. Das wahre Ausmaß äußerer und innerer Verwahrlosung weiter Teile der Bevölkerung Berlins legen Oliver Rihs (Regie und Buch) und Oliver Kolb (Kamera und Buch) in ihrer selbstproduzierten anarchistisch schwarzen Episoden-Komödie „Schwarze Schafe“ gnadenlos offen. Da Rihs Schweizer ist, kann man seine filmische Darstellung getrost als neutral bezeichnen. Zwei Berlinbesucher aus München bringen die Zustände auf den Punkt:

    - „Das Wasser stinkt wahnsinnig.“

    - „Das ist ja auch Berlin.“

    So sieht es nämlich aus, beziehungsweise riecht es (im Film glücklicherweise nur sehr indirekt darstellbar).

    Im Ernst: Die internationale Presse beim Edinburgher Filmfestival war beinahe begeistert. Die Berliner Szene fand man zutreffend porträtiert und ein George Williamson schrieb für die EyeforFilm/Movies: „...Sometimes all you need are great characters, good jokes, and a plenty of bodily fluids.“ Das stimmt wahrscheinlich. Ehrlicherweise muss man dazusagen, dass „Schwarze Schafe“ auch ganz gut ohne die beiden erstgenannten Ingredienzien auskommt. Der Film erzählt verschiedene kleine Geschichten. Zusammengehalten werden sie durch das Vorkommen der genannten „bodily fluids“. Im Einzelnen aufzuführen sind: Blut, Erbrochenes, Kot, Speichel und Sperma. Auf sonstige kohärenzstiftende inhaltliche Elemente wurde weitestgehend verzichtet. Irgendwie geht es halt immer um Liebe, Sex und Freundschaften unter Verlierertypen – ganz gewöhnliche Themen, an die Schmerzgrenze des Grotesken getrieben. Anfangs ist das satirisch, bald nur noch trashig und zum Schluss – und mehr oder weniger unterschwellig auch mittendrin – punkig romantisch. Vor allen Dingen: Es funktioniert. Die Hauptfiguren sind zwar sicher keine differenziert entworfenen Charaktere, aber dafür alle auf ihre Art ziemlich sympathisch gezeichnet. Außerdem für eine Low-Budget-Produktion wie diese prominent besetzt.

    Tom Schilling (Crazy, Agnes und seine Brüder) und Robert Stadlober (Sonnenallee, Crazy) spielen mit als Julian und Breslin und haben einige solide bekiffte Auftritte. Die beiden wollen „einen Freiraum schaffen“, wo über den „amerikanischen Imperialismus und so“ diskutiert werden kann. Außerdem haben sie die Nullökonomie für sich entdeckt. Schließlich widerfährt ihnen das fast schlimmste, was einem Nullökonom passieren kann: Sie lassen sich zu freiwilligen Umzugshelfern breitschlagen. Es kommt dann aber sogar noch viel schlimmer.

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    Jule Böwe und der wieder mal herausragend psychotische Milan Peschel („Netto“, Lenz) spielen als durchgeknalltes Pärchen in der sicherlich schönsten Episode des Films alle anderen an die Wand. Ihn, freischaffender Künstler mit schwerem Alkoholproblem, „ham se schon wieder fristlos entlassen“. Und zwar im Ökoladen, ein Schicksal, was ja nun wirklich nur die hoffnungslosesten Verlierer ereilt. Sie wird dank seiner tätigen Mithilfe ihren Job als Touristenführerin auf einem Ausflugsschiff ebenfalls verlieren. Was soll’s? In der stinkenden Spree so richtig baden gehen, ist immer noch besser als nach München ziehen und ein Arschloch heiraten.

    Eine weitere Geschichte führt in bewegenden Bildern vor Augen, wie verdammt hart es ist, jeden Morgen mit einem Ständer aufzuwachen. Oktay Özdemir (Knallhart), Eralp Uzun und Richard Hanschmann spielen drei junge Türken auf der gefahrvollen Suche nach „emanzipierten“ beziehungsweise willigen Frauen. Die Episode läuft nach dem ein wenig vorhersehbaren Schema „Spruch reißen – auf die Fresse kriegen“ ab, liefert dem Film aber eine sehr nette Schlussszene. Den furiosen Anfang macht der Handlungsstrang um den Hochstapler Boris (Marc Hosemann), der sich unter lebensgefährlicher Vorspiegelung falscher Tatsachen Sex mit einer Vogue-Redakteurin in einem Luxushotelzimmer erschwindelt und sich so heftig in sie verliebt, dass er aus ihrem Gerede einen tiefen Charakter herausgehört haben will. „Wohl eher flach wie ne Fotzenpfütze“ vermutet sein (im Normalfall) pazifistischer Freund Roger (Bruno Cathomas), kann ihn aber nicht von unüberlegten Handlungen abbringen, im Gegenteil. Was folgt, ist so idiotisch, dass man immer noch denkt, die Figuren müssen es sich im letzten Moment doch anders überlegen, obwohl man schon weiß: nicht in diesem Film. Genau das macht nämlich den Reiz aus.

    Noch dümmer handeln höchstens die Satanisten Fred (Kirk Kirchberger) und Arnold (Daniel Zillmann). Für ein Ritual benötigen sie eine Frau, die sich anal penetrieren lässt. Die Großmutter des einen liegt übrigens im Koma. Wie das zusammenpasst und wann die Großmutter aus dem Koma erwacht, kann sich jeder selbst ausrechnen. Die komplette Sinnlosigkeit ihres Versuches, so böse wie möglich zu sein, und die ungeheure Anstrengung, die sie das kostet, ist so unglaublich, dass es fast schon wieder wahr wirkt.

    Das filmische Spiel mit den bösen, bösen Tabubrüchen sieht dagegen völlig unangestrengt aus, und deshalb macht es auch Spaß, sich „Schwarze Schafe“ anzusehen. Die Haltung stimmt, das heißt: die Sympathie für die Figuren und der Spaß am Blödsinn machen. Und der Groove stimmt, das heißt: die filmische Qualität. Das Tempo reißt mit. Verschiedene Szenen aus einzelnen Episoden wechseln sich sehr ökonomisch ab. Die dreckige Schwarz-Weiß-Ästhetik sieht bewusst billig aus, ist aber voll kinotauglich. Die Kamera wackelt nur da, wo es sein soll und zum Rhythmus des Filmes passt. Auch schnelle Schnitte und digitale Effekte sind Stilmittel, die sehr pointiert eingesetzt und zum Glück nicht überstrapaziert werden. Die Drehorte drängen sich nicht groß in den Vordergrund, ergeben aber in der Summe am Ende eine grobe doch recht vielschichtige und treffende Berlinskizze. Der hauptsächlich von King Khan beigesteuerte Soundtrack rockt. Die Dialoge sind vergleichsweise häufig treffsicher. Nicht immer, doch wenn sie es immer wären, wäre es auch nur halb so charmant.

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