Was wäre The Dark Knight ohne Heath Ledger als Joker, was Taxi Driver ohne Robert De Niro als Travis Bickle, und was Titanic ohne das Traumpaar Leonardo Di Caprio und Kate Winslet? Man mag es kaum aussprechen, aber aller Wahrscheinlichkeit nach wären diese Filme auch ohne ihre Stars verdammt gut. Auf Joel Hopkins Romantik-Drama „Liebe auf den zweiten Blick“ trifft das hingegen ganz sicher nicht zu. Ohne seine Aushängeschilder Dustin Hoffman und Emma Thompson wäre der Film voll und ganz bedeutungslos. Ein Reißbrett-Plot voller Reißbrett-Figuren und Reißbrett-Wendungen – und mittendrin stehen Hoffman und Thompson, die mit kleinen Gesten eine mitreißende Liebesgeschichte voller Wahrheit und Schönheit transportieren. Am Ende kann dem für diese Rollen Golden-Globe-nominierten Paar nicht einmal der Dauerbeschuss mit Klischees etwas anhaben, wobei der Film ohne das 08/15-Drumherum aber sicherlich noch eine ganze Ecke besser ausgefallen wäre.
Dem New Yorker Harvey Shine (Dustin Hoffman) passt die Hochzeit seiner Tochter Susan (Liane Balaban, Vielleicht, vielleicht auch nicht) im Moment gar nicht in den Kram. Immerhin ist der Werbe-Jingle-Komponist gerade dabei, seine Karriere an die Wand zu fahren. Aber alles Zetern hilft nichts, Harvey steigt in den Flieger nach London. Doch auch in der englischen Hauptstadt läuft es für ihn alles andere als rund. Während Susan mit ihrem Zukünftigen Scott (Daniel Lapaine), ihrer Mutter Jean (Kathy Baker, Gottes Werk und Teufels Beitrag) und ihrem megaerfolgreichen Stiefvater Brian (James Brolin, Unternehmen Capricorn) rumhängt, wird Harvey allein in ein Hotel abgeschoben. Beim Empfang am Abend eröffnet Susan ihrem Vater zudem, dass nicht er, sondern Brian sie zum Altar führen wird. Für Harvey bricht eine Welt zusammen, nach der Trauung will er nur noch zurück nach New York. Doch er verpasst seine Maschine. Im Flughafenrestaurant trifft er auf die Passagieraushorcherin Kate (Emma Thompson). Nach anfänglichen Kommunikationsproblemen streift das ungleiche Paar den restlichen Tag gemeinsam durch die Themse-Metropole…
Die erste Hälfte des Films geht nur dafür drauf, zu zeigen, wie schlecht es Harvey und Kate geht. Dabei macht Joel Hopkins („Jump Tomorrow“) keine Gefangenen und lässt jede denkbare Katastrophe – und sei sie auch noch so klischeehaft – auf seine Protagonisten niederprasseln. Harvey wird nicht nur zu Gunsten eines hipperen Jungkomponisten aus seinem Job gekickt, er entfremdet sich nicht nur von seiner Familie, er tritt auch komödientypisch in jedes Fettnäpfchen und verpasst seinen Flug. Spätestens nach fünf Minuten hat der Zuschauer verstanden, dass es diesem Typen verdammt dreckig geht, der Rest ist überflüssig und irgendwann auch langweilig. Vollkommen übers Ziel hinaus schießt Hopkins dann, als Susan Harvey ihre Entscheidung bezüglich des Altarschreitens mitteilt. Diese Szene wiegt emotional für eine so leichte Romanze wie „Liebe auf den zweiten Blick“ nicht nur viel zu schwer, sie passt auch nicht zum Rest des Films, in dem Susan stets als liebenswürdiges, sensibles Mädchen gezeichnet wird.
Um zu zeigen, wie wenig Glück Kate mit Männern hat, wurde auf das - in romantischen Komödien gerne verwendete - missglückte Blind Date zurückgegriffen: Ihre um einige Jahre jüngere Bekanntschaft trifft auf ein paar alte Freunde, weshalb Kate plötzlich an einem Tisch voller Jungspunde sitzt und einer Konversation lauscht, bei der sie vollkommen außen vorbleibt. Eigentlich ist das eine klassische Fremdschäm-Szene, doch Emma Thompson federt diesen unangenehmen Effekt mit ihrer Klasse weitgehend ab. Wirklich nervig ist hingegen Kates Mutter Maggie (Eileen Atkins, Spuren eines Lebens, Gosford Park), die ihre Tochter 100 Mal am Tag auf dem Handy anruft. Momentan hat Maggie Probleme mit ihrem polnischen Nachbarn, den sie in Das Fenster zum Hof-Manier eines Mordes verdächtigt. Schließlich stellt sich die vermeintliche Leiche als Räucherschinken heraus. Eine noch plattere Pro-Toleranz-Metapher ist wohl nur schwer vorstellbar.
Doch genug gemeckert. Irgendwann treffen die Schauspieltitanen Dustin Hoffman (Oscars für „Kramer gegen Kramer“ und Rain Man, nominiert für Die Reifeprüfung, Asphalt-Cowboy, Lenny, „Tootsie“ und Wag The Dog) und Emma Thompson (Oscar für „Wiedersehen in Howards End“, nominiert für Im Namen des Vaters, Was vom Tage übrig blieb und Sinn und Sinnlichkeit) ja dann doch endlich aufeinander. Allein der erste längere, im Flughafenrestaurant verortete Dialog zwischen Harvey und Kate, in dem die beiden wunderbar umeinander kreisen, entschädigt für das Sitzfleisch, das man zuvor beweisen musste.
Dann geht es raus in die Stadt, zur Paddington Station und schließlich immer entlang der Themse. Hopkins fängt hierbei einige schöne Ecken Londons ein, hält sich aber ansonsten angenehm zurück und lässt seine Hauptdarsteller machen. Sie wissen diesen Freiraum auch durchaus zu nutzen: Sicherlich geht die Romanze ihren gewohnten Gang, aber mit ihrem feinen Spiel lassen Hoffman und Thompson die Holzschnittartigkeit des Drehbuchs immer wieder vergessen und wecken stattdessen Erinnerungen an Richard Linklaters Paris-Klassiker Before Sunrise und Before Sunset. Sollten Ethan Hawke als Jesse und Julie Delpy als Celine in 25 Jahren gemeinsam in London landen, werden sie wohl ganz ähnliche wie Harvey und Kate die Themse entlangschlendern.
Fazit: Der großartige Dustin Hoffman und die noch großartigere Emma Thompson begeistern in einer So-la-la-Story. Dank der sympathischen Stars ist „Liebe auf den zweiten Blick“ so zumindest für Nachmittagsvorstellungen und Sonntagsmatineen bestens geeignet.