Jede Stimme zählt. Eine Phrase, die immer weniger Menschen hinter dem Ofen hervorlockt. Während die Politikverdrossenheit ständig zunimmt, sinkt die Wahlbeteiligung in den westlichen Demokratien konstant. Da bedarf es schon einer Sympathie-Ikone wie Barack Obama, um zumindest ein politisches Strohfeuer zu entfachen. Doch was würde es eigentlich bedeuten, wenn wirklich jede einzelne Stimme zählt? Dieser spannenden Frage geht Regisseur Joshua Michael Stern in seiner Polit-Komödie „Swing Vote“ nach. Das Ergebnis ist erschreckend und amüsant zugleich. Die mächtigsten Männer dieser Erde buckeln vor einem apathischen White-Trash-Loser aus einer Wohnwagensiedlung in Texiko, New Mexiko, dem die Weltpolitik ganz gewaltig am Arsch vorbeigeht. Natürlich ist die Vorstellung zunächst verlockend, dass ein Präsident einem gemeinen Bürger die Füße küsst. Doch birgt sie auch verheerende Risiken, die Stern in einer Weise aufzeigt, die niemandem weh tut und gerade deshalb überzeugt.
Bud Johnson (Kevin Costner) ist der geborene Loser. Er haust in einem Trailerpark, verbringt den Tag am liebsten besoffen im Bett und hat zu allem Überfluss auch noch seinen Job in einer Eierfabrik verloren. Das einzig Gute, das Bud in seinem Leben zustande gebracht hat, ist seine smarte Tochter Molly (Madeline Carroll). Die will ihren alleinerziehenden Vater mit aller Macht aus seiner Lethargie reißen. Ihr erster Schritt ist, Bud zum Wählen zu zwingen. Doch ihr Vater enttäuscht sie erneut. Statt wie verabredet vor dem Wahllokal zu erscheinen, besäuft er sich lieber in einer Bar. Kurzerhand beschließt Molly deshalb, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Sie schleicht sich in eine der elektronischen Wahlkabinen und stimmt für ihren Vater ab. Doch weil eine unachtsame Putzkraft im falschen Moment über den Stecker stolpert, wird die Stimme nicht richtig registriert. Einige Stunden später steht fest, dass derjenige Kandidat Präsident wird, der New Mexiko für sich entscheidet. Dummerweise haben sowohl der Demokrat Donald Greenleaf (Dennis Hopper) als auch der amtierende republikanische Präsident Andrew Boone (Kelsey „Frasier“ Grammer) genau gleich viele Wähler von sich überzeugen können. Deshalb hängt nun alles von Bud Johnson ab, der seine nicht gezählte Stimme innerhalb von zehn Tagen erneut abgeben darf...
Obwohl die Story darauf hindeutet, ist „Swing Vote“ keine Satire. Zwar gibt es hier und da das eine oder andere satirische Element, doch insgesamt liegt Regisseur Stern, dessen starbesetzte Shakespeare-Adaption King Lear mit Anthony Hopkins und Keira Knightley bereits in den Startlöchern steckt, nicht allzu viel daran, die dunklen Seiten der Politik vorzuführen. Als die Kandidaten erfahren, wessen Stimme über Sieg oder Niederlage entscheidet, schneiden sie ihre Kampagnen voll und ganz auf Bud Johnson zu. Weil Bud gerne angelt, schreiben sich die Republikaner plötzlich den Naturschutz ganz weit oben auf ihre Fahnen, obwohl sie damit ihren vorherigen Unternehmer-freundlichen Wahlkampf komplett unterlaufen. Auf die Frage, ob er Pro-Life wäre, antwortet Bud, der nicht den geringsten Schimmer hat, was der Ausdruck eigentlich bedeutet, mit „Ja, natürlich“. Daraufhin tritt Demokrat Greenleaf gegen jede Überzeugung in einem Anti-Abtreibungs-Werbespot auf, in dem Kinder, die hinter ihm auf einem Spielplatz tollen, wie Seifenblasen zerplatzen. In diesen Momenten bringt es „Swing Vote“ auf den Punkt: Es geht schon lange nicht mehr um Inhalte, sondern nur noch ums Gewinnen. Dafür stehen auch die schleimenden Wahlkampfmanager Art Crumb (Nathan Lane) und Martin Fox (Stanley Tucci).
Doch Stern belässt es nicht bei dieser Anklage. Er ignoriert den pessimistischen Zeitgeist und versucht sich an einem optimistischen Blick in die Zukunft. Irgendwann wird es den Kandidaten einfach zu bunt. Greenleaf bekommt von seiner idealistischen Ehefrau (Nana Visitor) gehörig den Kopf gewaschen und Boone verzichtet darauf, Bud mit einem lukrativen Jobangebot als Lobbyist zu bestechen. Auch Bud selbst macht eine positive Entwicklung durch. Kümmert ihn zu Beginn nur sein plötzlicher medialer Ruhm, begreift er dank dem Einwirken seiner Tochter zunehmend auch die ungeheure Verantwortung, die er für die Zukunft einer ganzen Nation trägt. In Zeiten, in denen von links (Michael Moore) bis rechts (Fox News) jeder nur noch auf den anderen einprügelt, ist das eine erfrischende Aussage. Politische TV-Runden verursachen mittlerweile nur noch Kopfschmerzen, weil die Gäste lediglich darauf bedacht sind, den anderen nieder zu machen, anstatt nachvollziehbar zu diskutieren. Stern steigt in dieses Polit-Massaker, bei dem es am Schluss nur Verlierer geben wird, nicht ein. Sein Credo lautet: Geht wählen und engagiert euch, egal für wen oder was.
Sicherlich wird diese offen moralische Note einige vor den Kopf stoßen. Doch der bisweilen erhobene Zeigefinger wird durch den sympathischen Cast größtenteils abgefedert. Kevin Costner (Mr. Brooks, Jede Sekunde zählt, Open Range) zieht diesmal gegen jede Gewohnheit nicht alle Sympathien auf sich. Als faulenzender Egoist wandelt er sicher auf einem schmalen Grat: Als Zuschauer ist man mit seinem Tun zwar alles andere als einverstanden, dennoch identifiziert man sich mit ihm. Die Rolle des Sympathieträgers fällt so Costners Filmtochter zu. Madeline Carroll (Resident Evil: Extinction, Unbekannter Anrufer), die von ihrer Art her ein wenig an Abigail Breslins Oscar-nominierten Auftritt in Little Miss Sunshine erinnert, spielt zwar eine strebsame Weltverbesserin. Doch sie tut dies mit soviel Charme, dass man sie trotz besserwisserischen Tendenzen einfach in sein Herz schließen muss. Dennis Hopper (Elegy oder die Kunst zu lieben, Palermo Shooting, Land Of The Dead) und Kelsey Grammer (X-Men: Der letzte Widerstand, 15 Minuten Ruhm) bleiben als Präsidentschaftskandidaten leider hinter ihren Möglichkeiten. Dafür trumpfen Nathan Lane (The Producers, Nicholas Nickleby) und Stanley Tucci (Der Teufel trägt Prada, Terminal) umso stärker auf. Als politische Berater agieren sie wunderbar schmierig.
Fazit: „Swing Vote“ ist eine Pro-Politik-Komödie, die zwar die Abgründe nicht ausspart, aber dennoch hoffnungsvoll in die Zukunft blickt. Man könnte fast glauben, dass Regisseur Joshua Michael Stern das Auftauchen einer Lichtgestalt wie Barack Obama vorausgesehen hat. Dafür, dass die knapp zwei Stunden Laufzeit auch ohne den üblichen Polit-Zynismus nicht langweilig werden, sorgt die namhafte, durchweg gut aufgelegte Besetzung.