Am 29. September 2006 feierte am Schauspielhaus in Hamburg ein nicht ganz gewöhnliches Stück Premiere: „Das Telefonbuch von Hamburg“ - die Gelben Seiten der norddeutschen Metropole als gewitzte Operninszenierung aufbereitet. Dagegen mutet das Projekt, die ersten 19 Artikel des deutschen Grundgesetzes zu verfilmen, nun doch schon fast wie das Normalste von der Welt an. Begründer und Produzent Harald Siebler hatte mit der Kurzfilmkompilation „GG 19“ dabei nicht nur das Ziel, deutschen Kinobesuchern ihre eigenen Grundrechte näher zu bringen, sondern neben dem inhaltlichen Bezug von Filmwirtschaft und Politik auch einen intensiven Austausch zwischen Nachwuchsregisseuren und -autoren mit erfahrenen Haudegen stattfinden zu lassen. Und wirklich entpuppt sich der Film als logistisches Mammutprojekt mit einem ganzen Haufen an kreativen Kräften im Hintergrund: 19 Filme, 19 Städte, 19 Regisseure und noch mehr Autoren. Ein wohl unschätzbarer Erfahrungsschatz, den der deutsche Filmnachwuchs hier sammeln konnte. Leider entpuppt sich „GG 19“ für den businessfremden Zuschauer als weitaus weniger ergiebig. Ein wirklich starker und eine Handvoll überzeugender Beiträge bei 19 Kurzfilmen sind im Endeffekt einfach zu wenig, um die trockene Juralektüre Grundgesetz zu einem unterhaltsamen Kinoerlebnis aufzupeppen.
Nach dem witzig gemeinten, aber schwach inszenierten Einstieg mit dem armen, in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland noch nie eingesetzten Art. 18 (Verwirkung), beginnt „GG 19“ dann mit einem amüsant-surrealen Trip durch die Verwaltungsinstanzen (Art. 19, Gewährleistung) zunächst noch recht viel versprechend. Doch mit „Der große Videoschwindel“ (Art. 5, Zensurverbot) geht es dann schon deutlich schwächer weiter. Die zu breit ausgewalzte, übertrieben belehrende Medienschelte raubt schnell die Lust an der Grundrechte-Schau. Auch zwischen den folgenden 16 Beiträgen findet sich nur eine echte Perle, nicht immer überzeugend inszenierte, oft zu polemische Beiträge bestimmen vielmehr den Gesamteindruck. Hundertprozentig begeistern kann nur „Fremdes Kind“ (Art. 4, Religionsfreiheit). Ein Vater hat schwer damit zu kämpfen, dass seine Teenie-Tochter sich immer mehr mit ihrem katholischen Glauben identifiziert und sich so von ihm entfremdet. Eine einfühlsame Episode, die sich keinerlei Polemik hingibt, sondern mit zwei starken Charakteren und einer sensiblen Story punktet.
Insgesamt wurden der Jury stolze 457 Drehbücher zur Begutachtung vorgelegt. Dabei begrüßte das Auswahlkomitee vor allem die außerordentliche Professionalität der Beiträge. Dafür mangelt es vielen Skripten allerdings an Kreativität. Kaum eines verzichtet auf den kurzfilmtypischen Schlussgag, häufig wird dieser letzten Wendung sogar alles andere untergeordnet. Wenn es – wie im Fall des satirischen „Der Petent“ (Art. 17, Petitionsrecht) – aufgeht, kann dieses Vorgehen durchaus amüsant enden. Wenn die Pointe aber wie etwa beim Gleichberechtigungskonstrukt „Ladies First“ gar nicht zünden will, dann besteht stets die Gefahr, dass mit einem Schlag gleich die gesamte Episode überflüssig ist. Am ungewöhnlichsten liegt der Fall bei der mediensatirischen Folteranklage „AdrenalinRush“ (Art. 1, Menschenwürde). Eigentlich total von der überraschenden Schlusspointe abhängig, verrät er diese durch vorwegnehmende Zwischenblenden schon nach wenigen Sekunden.
Es fällt schon auf, dass es mit „Nie wieder!“, einer charmanten Ode an die Demonstrationsfreiheit, nur eine einzige Grundrecht-Hymne in den Film geschafft hat. Aber der kritische Umgang, den die anderen Kurzfilme mit ihrem Sujet pflegen, indem sie auch auf die Nebenwirkungen oder geduldeten Verletzungen dieser Artikel hinweisen, ist natürlich im Ansatz auch ebenso begrüßenswert. Allerdings verfallen leider viele Beiträge dabei schnell in einen polemischen Ton, der sie als Diskussionsgrundlage unbrauchbar macht. So gibt einem „Alles wird gut“ um einen Vater, der durch eine Anzeige der neugierigen Nachbarin zu Unrecht des Missbrauchs an seiner Tochter verdächtig wird, das Ergebnis der Diskussion durch seine Eindeutigkeit zwingend vor. Hätte man hier beispielsweise parallel auch noch die Geschichte einer Nachbarin gezeigt, die in der selben Situation schweigt und so einen wirklichen Missbrauch nicht verhindert, hätte man wunderbar darüber streiten können, ob nun das Recht des Vaters oder der Schutz des Kindes im Vordergrund steht. In der jetzigen Form hingegen gibt es nichts zu diskutieren, lediglich eine Meinung zum Konsumieren. Ein Problem, das leider vielen der Beiträge anhaftet.
Fazit: „GG 19 – 19 Artikel für Deutschland“ ist ein Kinoprojekt, das aufgrund seiner speziellen Thematik wohl in erster Linie auf Schulvorstellungen schielen darf. Da das Projekt aber nicht nur mit filmischen Schwächen aufwartet, sondern auch als Denkanstoß und Diskussionsgrundlage aufgrund der Eindeutigkeit vieler Beiträge nur bedingt zu gebrauchen ist, bleibt auch eine zwingende Empfehlung an Gemeinschaftskundelehrer an dieser Stelle aus.