Es gab wohl selten einen Filmverleih mit einem passenderen Namen. Der 2007 von den Kinobegeisterten Christos Acrivulis und Andreas Severin gegründete Verleih „missingFILMs" hat sich auf die Fahnen geschrieben, unabhängige, aber im allgemeinen Marketingtrubel der Hollywood-Blockbuster und Festival-Abräumer übersehene Filmperlen doch noch auf die große Leinwand zu bringen. Ihr neuester Fund ist das bereits 2007 entstandene existenzielle Drama „Wild" des damals 39-jährigen Regisseurs Christian Monnier, der sein Debüt ohne finanzielle Unterstützung von Fernsehsendern oder Förderungsanstalten mit einem Budget von weniger als 20.000 Euro realisierte. In seiner französischen Heimat musste der Filmemacher zwei Jahre für einen Kinostart kämpfen und in Deutschland wäre der 80-Minüter ohne das Eingreifen von missingFILMs wohl gar nicht in die Lichtspielhäuser gekommen. Ein unterstützenswertes Vorhaben, keine Frage. Leider krankt der Film aber an etlichen Schwächen, an denen so viele Debütfilme von Independent-Regisseuren zuvor auch schon gescheitert sind.
Kevin (Florian Frin) ist ein junger Mann und nicht ganz richtig im Kopf, weshalb er von allen im Dorf auch nur „Le Chien" (Der Hund) genannt wird. Der junge Mann verbuddelt persönliche Dinge im Garten und macht im nahegelegenen Wald mit dem Schrotgewehr Jagd auf harmlose Radtouristen. Auf dem Bauernhof lebt er zusammen mit seinem älteren Bruder Jean-Claude (Jean-Marc Le Bars). Als dieser von einem Discobesuch Michèle (Marie Le Cam) mit nach Hause bringt, kommt es am folgenden Morgen zu einer merkwürdigen Begegnung zwischen ihr und Kevin. Doch die Altenpflegerin lässt sich von dem Zwischenfall nicht ins Bockshorn jagen, ganz im Gegenteil: Sie will dem verstörten Jungen helfen. Doch je mehr sie in der Vergangenheit der Brüder herumstochert, desto stärker gerät sie in eine ungeahnte Gefahr...
Wie er im Vorwort zum Presseheft festhält, hat Regisseur und Autor Christian Monnier seinen Film instinktiv geschrieben und umgesetzt. Davon zeugt auch gleich die erste Szene, in der Kevin mit einem Schäferhund um die Wette kläfft. Ein Moment voll roher Gewalt, der nichts Spielerisches mehr an sich hat. Später folgen noch viele solche Ausbrüche, sowohl von Kevin als auch von Jean-Claude, in dem noch viel mehr Wut und Verzweiflung zu schlummern scheinen, auch wenn er nach außen eine heile Fassade aufrecht erhält. Leider reichen diese späteren Eruptionen nie wieder an die Intensität der Eingangsszene heran, weil ihnen die nötige Natürlichkeit fehlt. Man wird einfach das Gefühl nicht los, dass die Schauspieler den Film zunehmend an sich reißen und sich gegenseitig mit großen Gesten duellieren, ohne dabei ihren Figuren treuzubleiben. Das mag für einen Kurzfilm funktionieren, als der „Wild" zu Beginn des Projekts auch gedacht war, aber in einem Spielfilm hätte es auch Momente der Einkehr bedurft, um die Charaktere dem Publikum näherzubringen. Nun sind alle ruhigeren, von Merkwürdigkeiten befreiten Szenen allein dazu da, die Auflösung des Plots voranzutreiben. Und gerade in Anbetracht des absurden Treibens zuvor erscheint diese schlussendlich auch noch reichlich banal.
Fazit: Wer sich als Regisseur darauf einlässt, einen Stoff beim Drehen gemeinsam mit seinen Schauspielern weiterzuentwickeln, braucht eine starke Persönlichkeit. „Wild" mutet hingegen an, als hätten die Darsteller irgendwann komplett das Ruder übernommen. Anders ist es kaum zu erklären, warum dem Film irgendwann jegliche Subtilität abgeht und er sich nur noch in großen (und oftmals aufgesetzten) Gesten verliert.