Es liegt wohl in der Natur des Kinos und des Geschichtenerzählens, dass die Darstellung des Familienlebens in Filmen meist auf ein Extrem hinausläuft. Es kann bitter enden wie in Das Fest, zynisch wie in American Beauty und gerne auch mal humoristisch wie in Meine Braut, ihr Vater und ich. Während in Mainstream-Produktionen trotz widrigster Umstände in der Regel die Harmonie wiederhergestellt wird, findet sich das Thema Familie im amerikanischen Independent-Kino in aller Vielfalt aufgefächert – es ist geradezu zum archetypischen Topos des unabhängigen Films aus den USA geworden. Regisseur und Autor Vince Di Meglio macht da keine Ausnahme und erzählt in seiner gediegenen Indie-Komödie „Das Muttersöhnchen“ von den Problemen eines jungen Mannes Anfang Dreißig, der sich gezwungen sieht, die Jugend hinter sich zu lassen und eine Familie zu gründen. Der Protagonist erscheint dabei als ein typischer junger Mann der Gegenwart; als jemand, der seine neue Rolle im Geschlechterkampf noch nicht gefunden hat. Di Meglio kann diesem Phänomen zwar keine neuen Aspekte abgewinnen, auf eine recht unaufgeregte Art und Weise ist sein Film aber dennoch unterhaltsam, charmant und bisweilen lustig.
Im Zentrum von „Das Muttersöhnchen“ stehen Noah (Dax Shepard, „Idiocracy“), der pünktlich zum Filmbeginn den Job verliert, seine Frau Clare (Liv Tyler, Armageddon, The Strangers), die endlich ein Kind will und gerade ihre fruchtbaren Tage hat und seine Mutter Marilyn (Diane Keaton, Der Stadtneurotiker, Von Frau zu Frau), die ihren Gatten der Untreue verdächtigt und kurzerhand bei Noah und Clare einzieht. Dass chaotische Verwirrungen bei dieser explosiven Mischung nicht lange auf sich warten lassen, ist kaum verwunderlich.
Vince Di Meglio inszeniert seine gelegentlich auch mal tragische Komödie in ganz gewöhnlicher Independent-Manier unaufgeregt und ohne Effekthascherei. Der eher unterschwellige Musikeinsatz und der weitgehende Verzicht auf große Gesten sowie die sparsame Erzählökonomie fügen sich perfekt in diesen zurückhaltenden Stil ein. Aufgrund der zurückgenommenen Inszenierung steht das Darsteller-Ensemble umso stärker im Blickpunkt, und es enttäuscht nicht: Die gestandenen Stars Diane Keaton und Liv Tyler können ebenso für sich einnehmen wie der ehemalige TV-Darsteller Dax Shepard. Sie alle tragen weder in den komischen bis skurrilen, noch in den tragischen Momenten zu dick auf und geben ihren Figuren ein eigenständiges Profil. Zugute kommen ihnen dabei gelungene, wenn auch teilweise allzu geschwätzige Dialoge.
Abseits der Handlungsebene sticht am ehesten das selbstreferentielle Geplänkel hervor: Es wird über Filme gesprochen, sie werden zitiert und im Fernsehen geschaut. Bill Cosby findet ebenso Erwähnung wie das C-Klasse-Movie „Mansquito“, der nerdige Drehbuchautor-Cousin Myron (Mike White, School Of Rock) – ansonsten eine unterentwickelte Nebenfigur – gibt zudem eine vielversprechende, archaische Filmidee zum Besten: Lt. Don Dawson (Wesley Snipes, New Jack City, Blade) infiziert sich im Dschungel Vietnams durch Agent Orange mit einem gefährlichen Virus und mutiert zu einer missverstandenen, aber grausamen Kreatur. Es entspinnt sich ein Horror-Science-Fiction-Thriller vor der Kulisse des Entlaubungskrieges – Platoon trifft Die Fliege. Die Selbstbezüglichkeit ist nicht nur Spielerei, sondern fast ein Strukturmerkmal von „Das Muttersöhnchen“, eine inhaltliche Anbindung dieser Ebene bleibt jedoch weitgehend aus.
Hauptdarsteller Dax Shepard erinnert in seiner Rolle nicht nur physiognomisch stark an „Scrubs“-Star Zach Braff (Garden State), sein ganzes Auftreten kennzeichnet ihn als prototypischen Gegenwarts-Mann in der Krise: Er ist kein Jugendlicher mehr, aber auch noch nicht so richtig erwachsen. Während Clare ihn mit ihrem dringenden Kinderwunsch zunehmend unter Druck setzt und ihn damit vollends in die Erwachsenenwelt (und die damit verbundene Verantwortung) drängen will, repräsentiert die Mutter die andere Seite des Spektrums: die Kindheit oder Jugendzeit. Noah steht also zwischen zwei Lebensphasen – für die eine fühlt er sich noch nicht bereit, der anderen will er entwachsen. Insgesamt ist zu konstatieren, dass eine tiefergehende Auseinandersetzung mit den angeschnittenen Themen kaum stattfindet; dass die Analyse kaum über die Qualität psychologischer Beiträge in diversen Mädchen-Zeitschriften hinauskommt, ist aber angesichts des gewählten Genres durchaus verzeihlich.
Dass „Das Muttersöhnchen“ weder in den USA noch hierzulande einen Kinostart bekommen hat, ist nachvollziehbar, aber dennoch bedauerlich. Denn inmitten der Hatz nach „Innovation“ und Sensation ist so ein kleiner, netter Film ohne übertriebene Ambitionen wie „Das Muttersöhnchen“ eine angenehme Ausnahmeerscheinung.