Braucht die Welt eine weitere, überraschungsfreie Haunted-House-Variation? Grundsätzlich: ganz sicher nicht. Als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Filmschaffende außerhalb der Hollywood’schen A-Liga ist Jordan Bakers „The Marsh“ in heutigen Zeiten wenigstens eine diskutierbare Angelegenheit. Der atmosphärisch ansprechende Grusel-Thriller tut niemandem weh, ist qualitativ nicht zu übel, aber Argumente für eine Existenzberechtigung im Kino bietet der Film nicht. Eine altbekannte Story wird in solidem Rahmen einfach das x-te Mal erzählt. Warum? Schwer zu sagen. Warum nicht, wird sich vielleicht Regisseur Baker gesagt haben.
Kinderbuchautorin Claire Holloway (Gabrielle Anwar) will sich in der tiefen Provinz auf dem Land vom stressigen Stadtleben erholen und sich in einem alten Anwesen um ihr neues Werk kümmern. Schnell knüpft sie Kontakt zu den Einheimischen. Der Herausgeber der lokalen Zeitung, Noah Pitney (Justin Louis), ist ganz angetan von seiner Berufskollegin. Doch bald fährt Claire ein gehöriger Schreck in die Glieder. Sie sieht in ihrem Haus Geister Verstorbener, die ihr fürchterliche Angst einjagen. Sie will mehr über diese Personen herausfinden und engagiert Geoffrey Hunt (Forest Whitaker), einen Fachmann für paranormale Phänomene. Erste Versuche, die Plagegeister dingfest zu machen, scheitern, aber Claire kommt dem Hintergrund der Geschichte langsam näher...
Anfang der 90er Jahre stand eine junge, süße Britin namens Gabrielle Anwar (*1970) kurz vor dem Durchbruch, in Hollywood eine vielversprechende Karriere zu machen. Den Älteren ist ihr betörender Tanz mit dem oscarprämierten Al Pacino in „Der Duft der Frauen“ (1992) vielleicht noch in Erinnerung - oder ihr schnuckeliger Auftritt als Michael J. Foxs Love Interest in der Durchschnittsromanze „Ein Concierge zum Verlieben“ (1993). Obwohl das Horror-Remake Body Snatchers (1993) an der Kinokasse scheiterte, betrat Anwar 1995 noch einmal eine größere (Kino)Bühne, die ihr in Gary Fleders „Das Leben nach dem Tod in Denver“ gewährt wurde. Warum sie fortan in den gefährlichen Untiefen des B-Movie-Sektors abtauchte und sich nicht mehr aus der unerbittlich stampfenden Maschinerie befreien könnte, ist nicht abschließend zu klären. Sie hätte das Zeug zum romantischen Star gehabt. Über eine Dekade später hängt Anwar (immer noch bildhübsch wie einst, nur sichtbar reifer) im Paralleluniversum des Direct-To-DVD-Marktes fest. Der Sprung ins Kino wird „The Marsh“ mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit verwehrt bleiben. Warum etwas neu erfinden, wenn ich die gleiche alte Geschichte noch mal erzählen kann, möchte man bei Regisseur Jordan Bakers („My Brother´s Keeper“) Zweitling schlussfolgern.
Doch das ist bereits die größte Schwäche von „The Marsh“. Losgelöst von der wenig originellen Ausgangsidee weist der Gruselfilm grundsolide Werte auf. Die Schauspielleistungen sind durchweg erträglich, natürlich ist der großartige Forest Whitaker (The Crying Game, Panic Room, „Smoke“) hoffnungslos unterfordert, aber selbst im Schongang verleiht er dem Film durch seine Präsenz zusätzliche Qualität. Gabrielle Anwar und Justin Louis (Dawn Of The Dead) sind passabel besetzt. Dazu fährt „The Marsh“ einige nette Haunted-House-Horroreffekte auf, die hier und da für ein angenehmes Gruseln sorgen können, aber vor allem im Mittelteil leidet der Film an akuter Überraschungsarmut, die sich mit gepflegten Anflügen von Langeweile paart. Die Geschichte, der Hauptfigur Claire nach und nach folgt, birgt lediglich sattsam Bekanntes. Regisseur Baker und Autor Michael Stokes („Der stählerne Adler IV“) wildern bei der Wahl ihres verfluchten Mädchens auf dem Terrain des klassischen Japan-Horrors. Doch das Duo wagt eine Variation: Die Göre ist diesmal blond und nicht dunkelhaarig.
Gen Ende, wenn sich der titelgebende Sumpf als Spielort in den Vordergrund drängt, zieht „The Marsh“ noch geringfügig an und verstärkt den Gruselfaktor. Die Protagonisten müssen beim finalen Totentanz Farbe bekennen. Welche dies jeweils ist, wird Genrekundigen jedoch schon früh bewusst sein. Sei’s drum. Der Weg in den Videomarkt sollte „The Marsh“, der 2006 beim Fantasy Filmfest im Bereich „Official Selection“ lief, gegönnt sein. Die zentrale Logikfrage ist auch schnell geklärt. Warum um Himmels Willen flieht Schriftstellerin Claire nicht einfach, als sie durch den Spuk in Lebensgefahr gerät? Mit der irrationalen Entscheidung zu bleiben, hat sie Dutzenden von Menschen Arbeit beschafft – schließlich hätte es bei stringent logischer Herangehensweise gar keinen Film gegeben.