Charles Darwin - das ist mehr als ein Name, mehr als ein bedeutender Wissenschaftler. Darwin, das ist die eherne Galleonsfigur liberaler Aufklärer und die teuflische Nemesis konservativer Kreationisten. Dass ein pünktlich zum großen Jubiläumsjahr 2009 (dem 200. Geburtsjahr Darwins und 150. Jahrestag des Hauptwerkes „On The Origin Of Species") fertiggestelltes Biopic über den Begründer der Evolutionstheorie Gemüter erhitzen würde, war abzusehen. Dass Jon Amiel aber erhebliche Probleme hatte, für seine Adaption des Randal-Keynes-Romans „Annie's Box" überhaupt einen US-Verleih gegen die zornige Kreationistenlobby in Stellung zu bringen, verwundert dann doch. Denn „Creation" ist vieles - ein atheistisches Manifest aber ganz sicher nicht. Im Gegenteil: statt Darwins zeitgenössische Gegner als zeternde Antagonisten aufs ideologische Schlachtfeld zu schicken, erzählt Amiel von einem Mann, den die Implikationen seiner revolutionären Theorie in eine existenzialistische Krise stürzen. Je näher Darwin der Mechanik der Evolution kommt, desto ungreifbarer werden Sinnstiftung und Trost im durch seine Arbeit sichtbar werdenden indifferenten Kreislauf von Leben und Sterben. Das ganz große Drama ist Amiel dabei nicht gelungen. Dafür ist der hier verfilmte biographische Ausschnitt dramaturgisch kaum ergiebig genug. Wohl aber ist „Creation" eine differenzierte Absage an den Kampfbegriff „Darwin" im ewigen Kulturduell um eine letztgültige Weltdeutung.
Vor fünfzehn Jahren kehrte der junge Wissenschaftler Charles Darwin (Paul Bettany, „A beautiful mind") von seiner Galapagos-Expedition zurück, das Manuskript über die dort gesammelten Erkenntnisse allerdings harrt weiterhin seiner Fertigstellung. Zu tief sitzt die Furcht vor den sozialen Auswirkungen seiner Arbeit - Auswirkungen, die in seiner zersplitternden Ehe zur puritanischen Emma (Jennifer Connelly, „Requiem for a Dream") bereits greifbar werden. Während Darwin seine jung verstorbene Lieblingstochter Annie (Martha West) herbei halluziniert und von ihr moralische Unterstützung für sein Lebenswerk einholt, fürchtet Emma um das ewige Seelenheil der Familie, sollten die gotteslästerlichen Theorien ihres Gemahls tatsächlich zum Niedergang des Glaubens führen. Doch Darwin schreibt weiter - und geht zwischen Trauma und sozialer Verantwortung zunehmend selbst zugrunde. Es kommt der Tag, da er eine beunruhigende Hypothese zum Tod Annies aufstellt - und über Veröffentlichung und Zumutbarkeit seines Buches entscheiden muss...
„Sie haben Gott getötet, Sir!", meint Wissenschaftsphilosoph Thomas Huxley (Toby Jones) - und erntet verunsichertes Schweigen. In einer einzigen Einstellung bringt Amiel das Thema seines Films auf den Punkt: Gott zu töten, das war nie Darwins Absicht. „Creation" ist die Geschichte einer Einsicht: Die Evolutionstheorie kann Paradigmen zerschmettern und Gesellschaften neu strukturieren - eine Aufschlüsselung der fürchterlichen Einsamkeit des Menschen in der Weite von Welt und All aber liegt außerhalb ihrer Reichweite. Mehr noch: Mit ihr verliert Darwin, die Ikone des neuen Glaubenssystems Wissenschaft, zunehmend jeglichen Anhaltspunkt für die Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz. Denn aus evolutionärer Perspektive sind der Verlust Annies und sein väterlicher Schmerz gleichermaßen von kosmischer Bedeutungslosigkeit und grimmiger Konsequenz: Die vetterliche Verwandtschaft zwischen ihm und seiner Gemahlin könnte evolutionär minderwertiges Erbgut hervorgebracht und den Tod Annies begünstigt haben.
Die biologische Erleuchtung ist hier gleichzeitig ein Blick in den spirituellen Abgrund. Amiels Thematisierung entfaltet sich nicht innerhalb eines soziopolitischen Antagonismus Glauben versus Wissenschaft, sondern fragt nach dem möglichen Erkenntnisradius zweier unvollständiger Systeme. Dass Annie aus dem Jenseits beim Gottesmord am Schreibtisch assistiert, ist eine hintersinnige Pointe - nur in seinen pathologischen Augenblicken findet Darwin noch Trost, während der Blick hinter die Naturkulissen einem Albtraum gleichkommt. Beim sonnigen Nachmittagspicknick verlässt Amiel seinen Protagonisten und folgt einer Ratte ins Unterholz. Im Zeitraffer fällt sie einer natürlichen Hierarchie zum Opfer, wird von kannibalischem Gewürm bevölkert und wieder verlassen - bis jede Spur des kleinen Tierkadavers aus der Welt getilgt ist. Das ist Darwins Entdeckung - eine Oper der Indifferenz und Funktionalität, von der er nicht mehr loskommt und an der er verzweifelt.
Mit der Besetzung von Paul Bettany und Jennifer Connelly als Eheleute Darwin ist Amiel ein cleverer Zug gelungen. Einerseits fordert er ein Darstellerpaar heraus, eine scheiternde Ehe abzubilden und sich damit gezwungenermaßen intensiv mit der Situation der Figuren auseinanderzusetzen. Andererseits führt Bettany hier seinen Bordarzt Maturin aus „Master and Commander" fort, der in Peter Weirs Hochseedrama bereits als Darwin-Prototyp angelegt war. Was „Creation" trotz spannender Thematik und starker Besetzung abgeht, sind dramaturgische Stringenz und eine spürbare Weiterentwicklung der Figuren. Die Krise Darwins ist so schnell etabliert, dass Amiel mit fortlaufender Spieldauer kaum neue Facetten offenbaren kann. Dem Film fehlt ein klares Ziel - dass es letztendlich zur Veröffentlichung des „On The Origin Of Species"-Werkes kommen wird, ist schließlich historischer Fakt. „Creation" ist ein scharfsinniges Mäandern, herausfordernd und phasenweise ermüdend. Amiel daraus einen Vorwurf zu machen, fällt jedoch schwer - wie auch, wenn die hypothetische Katharsis seiner Figur, die Versöhnung von Ratio und Glauben, bis heute zu den größten Fragezeichen abendländischer Kultur zählt?