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    True North
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    True North
    Von Björn Helbig

    Die Nordsee, dieses 575.000 Quadratkilometer große Randgewässer des Atlantischen Ozeans, hat schon so manche Seemannsseele verschlungen. Steve Hudson schickt in seinem intensiven Drama „True North“ die Mannschaft eines kleinen Kutters auf die See und konfrontiert sie gnadenlos mit ihren eigenen Unzulänglichkeiten.

    Um das Boot seines Vaters (Gary Lewis) aus der wirtschaftlichen Krise zu retten, entschließt sich der junge Seemann Sean (Martin Compston) zusammen mit dem Matrosen Riley (Peter Mullan), auf ein illegales Geschäft einzugehen. Doch es erweist sich als gar nicht so leicht, die Gruppe von 20 chinesischen Einwanderern unbemerkt von seinem Vater, dem Skipper, von Ostende über die Nordsee nach Schottland zu schmuggeln. Er versteckt die Chinesen im vorderen Frachtraum, ein Eimer, den Riley jede Nacht ausleert, dient ihnen als Toilette. Lediglich ein kleines Mädchen (Angel Li) hat sich davongestohlen und hält sich im Maschinenraum versteckt. Nur der Smutje (Steven Robertson) schöpft bald Verdacht, weil immer wieder Essen aus der Kombüse verschwindet. Dann trifft Sean eine folgenschwere Entscheidung: Um nicht den Verdacht des Zolls zu erregen und ohne Fang im Heimathafen einzulaufen, entschließt er sich, zunächst nicht Kurs auf Schottland zu nehmen, sondern für ein paar Tage auf hoher See die Netze auszulegen. Die Lage für die unter Deck eingepferchten Chinesen, die schutzlos Kälte, Hunger und Durst ausgeliefert sind, spitzt sich dramatisch zu...

    Der britische Regisseur und Schauspieler Steve Hudson wurde 1969 in London geboren und wuchs in England und Südamerika auf. Sein Kurzfilm „Goodbye“ gewann bei den Internationalen Filmfestspielen von Venedig 2004 den Prix UIP. „True North“ ist sein erster Langfilm. Mangelnde Erfahrung auf dem Regiestuhl oder als Drehbuchautor ist seinem rauen Nordsee-Drama allerdings an kaum einer Stelle anzumerken. Vielleicht ist die Geschichte nicht in jedem Detail und auf ganzer Linie glaubhaft, doch der Sog seines menschlichen und sozialkritischen Dramas und die Atmosphäre auf See zieht viel zu stark in den Bann, als dass man sich daran zu sehr stören könnte. Anfangs ist die Geschichte gelegentlich zum Schmunzeln, doch der Film gewinnt an Dramatik und die Katastrophe nimmt ihren Lauf. Hudson erläutert seine Motivation für den Film so: „Abgesehen davon, dass mich der Erstickungstod der Chinesen in Dover und das qualvolle Sterben der Fischindustrie in Schottland sehr nachdenklich gemacht haben, wollte ich schon immer einen Film auf einem Schiff drehen, weil es so eine fantastische Kombination ist: Unter Deck ist es komplett klaustrophobisch, und auf Deck kann man 50 Kilometer in jede Richtung schauen. […] Man ist zusammengepfercht mit anderen Menschen und gleichzeitig der Natur und ihren Elementen auf eine Weise ausgesetzt, wie wir das sonst nie erleben.“ Diese spezifische Atmosphäre einzufangen, ist dem jungen Regisseur rundum geglückt.

    Zum Gelingen des Films tragen ebenfalls die interessanten Figuren und die Riege der exzellenten Darsteller ihren Teil bei. Gary Lewis (Billy Elliot, Merry Christmas) spielt Seans Vater und den Skipper des kleinen Kutters "Providence", als wäre er tatsächlich ein alter Seemann. Wortkarg, düster steht er auf der Brücke und es scheint beinahe, als würde ihm sein Schiff, sein Sohn und die Kontrolle über die Dinge immer mehr entgleiten. Auch Martin Compston (Wild Country, Sweet Sixteen) nimmt man seine Rolle ab. Sean tut einerseits alles für seinen Vater und kämpft für den Erhalt des Schiffs, das er einmal erben soll, anderseits versucht er sich von dem alten Mann abzugrenzen und zu zeigen, dass er in der Lage ist, eigene Entscheidungen zu treffen. Der von Steven Robertson (Straightheads) gespielte Koch sorgt anfangs noch für die heiteren Momente, bevor auch er mehr und mehr in die Tragödie hineingerissen wird. Die vielleicht interessanteste Figur an Bord ist der Bootsmann Riley, der von Peter Mullan (Trainspotting, Young Adam) in seiner ganzen Komplexität mit einer solchen Hingabe gespielt wird, dass er jedoch dafür eine Auszeichnung verdient hätte. Und Preise gab es auch schon – für das ganze Werk: Z.B. beim Ourense Independent Film Festival (Bester Film, Bester Regisseur), beim Pamplona Film Festival (Bester Film) oder auch beim Cherbourg Festival of British and Irish Films (Bester Film, Bester Film der Junior Jury, Beste Schauspielerin für Angel Li) räumte „True North“ ab.

    Fazit: Aus einer spannenden Geschichte mit aktuellen und sozialkritischen Bezügen schafft Steve Hudson ein dichtes, todtrauriges Drama und hervorragendes Langfilmdebüt. Sehenswert!

    „True North“ ist ab dem 22. Mai 2008 bundesweit in folgenden Kinos zu sehen: Casino Aschaffenburg, Eiszeit und Kulturbrauerei Berlin, Kamera/Lichtwerk Bielefeld, Metropolis Bochum, Metropolis Dresden, Studio Hamburg, Schillerhof Jena, Schauburg Karlsruhe, Filmpalette Köln, Schauburg Leipzig, City Mainz, Atlantis Mannheim, Monopol München, Cinema Münster, Cinecitta Nürnberg, Thalia Potsdam, Corso Stuttgart, Cinema Wuppertal

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