„Alice in den Städten“, „Im Lauf der Zeit“, Der amerikanische Freund, Paris, Texas, Bis ans Ende der Welt – Meilensteine der deutschen Filmgeschichte, die allesamt auf das Konto eines Mannes gehen: Wim Wenders. Es gehört schon eine Menge Mut dazu, wenn ein bisher unbekannter Filmstudent aus Baden-Württemberg auf solch einen Regie-Titanen zugeht und ihn fragt, ob er den einen Film über ihn machen dürfe. Marcel Wehn hat diesen Mumm aufgebracht. Und nicht nur das, auch das Ergebnis kann sich mehr als sehen lassen. „Von einem der auszog“ ist eine ebenso intime wie erhellende Dokumentation über die frühen Jahre eines der größten deutschen Regisseure überhaupt.
Am 14. August 1945 geboren, wuchs Wim Wenders in einer stark väterlich geprägten Familie in Düsseldorf auf. Nach dem Abitur tat er es seinem Vater gleich und studierte vier Semester Medizin, bevor er das Studium hinschmiss, um sich in Frankreich als Maler zu versuchen. Insgesamt ein Jahr blieb Wenders in Paris, wo er das Programm der Cinemathek rauf und runter guckte. Zufällig entdeckte er in einer Zeitung einen Artikel über die Hochschule für Film und Fernsehen in München, der ersten dieser Art in Deutschland. Während etwa Rainer Werner Fassbinder abgeschmettert wurde, wurde Wenders Teil des ersten Jahrgangs der neugegründeten Fakultät. Im Nachhinein bezeichnet er dieses Studium zwar als viel zu theoretisch angelegt, aber zumindest konnte Wenders hier einige Kurzfilme sowie als Abschlussarbeit sein erstes abendfüllendes Projekt „Summer In The City“ (1971) verwirklichen. Auch noch '71 folgte dann „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“ nach einer literarischen Vorlage von Wenders‘ gutem Freund Peter Handke. In den kommenden acht Jahren machte Wenders in Deutschland eine ganze Reihe von herausragenden Filmen, bevor er dem Ruf von Francis Ford Coppola in die USA folgte, um hier für den Der Pate-Regisseur das Mystery-Drama „Hammett“ zu inszenieren…
Die Dokumentarfilmer haben extra für ihren Film in der Berliner C/O-Gallerie Fotos von Menschen und Orten arrangiert, die mit Wenders‘ Leben und Schaffen in Zusammenhang stehen. Wenders selbst wandelt durch diese Ausstellung und erzählt anhang der Aufnahmen seine Geschichte. Neben dieser intimen Tour durch die eigene Vergangenheit, die als roter Faden durch den Film führt, gibt es auch noch Ausschnitte aus Wenders‘ frühen Werken und Interviews mit Wegbegleitern wie dem Schauspieler Rüdiger Vogler, der ersten großen Liebe Ulrike Sachweh oder dem Schnittmeister Peter Przygodda zu sehen. „Von einem der auszog“ ist Marcel Wehns Abschlussfilm an der Filmakademie Baden-Württemberg – zum Zeitpunkt der Dreharbeiten im Jahre 2005 war er noch nicht einmal 30 Jahre alt. Hier und da merkt man dem jungen Filmemacher den Respekt an, den er seinem Protagonisten, immerhin einer seit Dekaden etablierten Regie-Legende, entgegenbringt – etwa, wenn er dem Auseinandergehen von Wenders und dessen langjährigem Kameramann Robby Müller nicht näher auf den Grund geht. Doch dieser Mangel an „investigativen“ Qualitäten wirkt sich im Endeffekt positiv aus, denn ohne jeglichen äußeren Druck öffnet sich Wenders von selbst so stark, erlaubt so tiefe persönliche Einblicke, wie man es im Vorhinein auf keinen Fall erwarten durfte.
Wenders berichtet ganz offen von der unfreiwilligen Haschkeks-Überdosis, die ihm der spätere Gründer der Hofer Filmtage, Heinz Badewitz, bescherte und die ihn mit einem Herzinfarkt ins Krankenhaus brachte. In der Folge wusste Wenders mit seinem Leben nichts mehr anzufangen, der Vorfall beraubte ihn jeglicher Perspektive. Erst eine siebenjährige (!) Therapie bei einem Psychiater Freud‘scher Schule half ihm über diese Lebenskrise hinweg. Auch hier nimmt der Regisseur kein Blatt vor den Mund. Und wenn Wenders davon erzählt, wie schwer es ihm gefallen ist, seine langjährige Lebensgefährtin Lisa Kreuzer und ihren Sohn für seine Amerika-Karriere zu verlassen, ist jede angedeutete Träne in den Augenwinkeln echt. Neben den intimen Einsichten in das Persönliche leistet Wehn auch dann einen großen Dienst, wenn es darum geht, Leben und Schaffen des Porträtierten gegenüberzustellen – vor allem, wenn das weibliche Geschlecht ins Spiel kommt: An einer Stelle bringt es Wenders‘ aktuelle Ehefrau Donata auf den Punkt, wenn sie sagt, dass sie an den frühen Filmen ihres Mannes vor allem die männlichen, kumpelhaften Charaktere, die ohne große Dialoge auskommen, mag. Mit den Frauenrollen hätte sie hingegen nie etwas anfangen können. Eine These, die wohl nicht allzu weit von der Wahrheit entfernt ist. Und nach „Von einem der auszog“ hat man als Zuschauer zumindest eine Ahnung davon, warum dem so ist.
Fazit: Regisseur Marcel Wehn ist weniger ein knallharter Nachfrager als vielmehr ein feiner, zurückhaltender Beobachter. Damit bringt er ganz offensichtlich genau die richtigen Qualitäten mit, um den großen „Schweiger“ Wim Wenders zum Reden zu bringen – ein so intimes Porträt, wie es „Von einem der auszog“ geworden ist, ist ein seltenes Gut.