Zumindest was die Papierform angeht, hat sich der Kinostar-Filmverleih mit der Schweizer Dokumentation „Zum Abschied Mozart“ einen potentiellen Publikumshit eingekauft, vereint der Film von Regisseur Christian Labhart doch zwei derzeit extrem angesagte Genres in sich. Zum einen den Erziehungsfilm, dessen Aufstieg durch die beachtlichen Erfolge der charmanten französischen Schuldokumentation „Sein und haben“ und des Kino-Tanzprojekts „Rhythm Is It!“ angeschoben wurde. Und zum anderen den Chorfilm, der mit dem oscarnominierten „Die Kinder des Monsieur Mathieu“ und dem schwedischen Sleeper-Hit Wie im Himmel in den letzten Jahren eine wahre Blütezeit erlebte. Dass es bei „Zum Abschied Mozart“ aber voraussichtlich auch bei diesem Papiererfolg bleibt, hängt in erster Linie damit zusammen, dass seine beiden Themen Schüler und Chor auch nur auf dem Papier so richtig zusammenkommen. Labharts Experiment ist nämlich trotz gelungener Ansätze zumindest in soweit gescheitert, als dass sich die erhoffte Parallelität von Chorproben und dem Zusteuern auf den Schulabschluss nicht so recht einstellen will.
Für die Schüler der Abschlussklasse der Rudolf Steiner Schule Zürcher Oberland beginnt jeder Tag ihrer letzten sechs Wochen mit einer zweistündigen Chorprobe, endet doch jedes Schuljahr traditionell mit einer Aufführung von Mozarts Requiem. Die Proben verlaufen dabei keinesfalls reibungslos, Leiter Thomas Gmelin muss seinen Schülern nicht nur Text und Intonation beibringen, sondern sie auch jedes Mal aufs Neue motivieren und ihren Blick wieder auf das gemeinsame Ziel richten. Neben den Proben selbst beschäftigt sich „Zum Abschied Mozart“ aber auch mit den Gefühlen, Ängsten und Hoffnungen der Jugendlichen, die schon bald aus ihrer gewohnten Umgebung gerissen werden, um auf ein Gymnasium zu wechseln oder direkt eine Ausbildung zu beginnen. Zwischen dem Werkeln am Requiem und der Präsentation der Abschlussarbeiten erzählen sie in persönlichen Interviews von ihren ganz individuellen Vorstellungen und Wünschen…
Mit der Auswahl von zwei der drei Schüler, auf die der Film sich vornehmlich konzentriert, hat Regisseur Labhart voll ins Schwarze getroffen. Rebecca Schmidili hat sich noch nicht wirklich gefunden. Sie will vielleicht Lehrerin werden, zwischen den Zeilen kann man aber lesen, dass sie eigentlich eine überraschende Änderung in ihrem Leben wünscht. Sie leidet ein wenig unter ihrem Streber-Image, das sie sich augrund ihres Geigenspiels eingefangen hat, dabei geht sie doch genauso gerne wie die anderen Mädchen auf Partys – Rauchen und Trinken inklusive. Stefan Geissmann ist als Skater und Snowboarder einer der beliebtesten Schüler der Oberstufe. Er hatte schon einige Freundinnen gehabt, sich dabei aber noch nie wirklich verliebt. Als Abschlussarbeit hat er seine eigene Capy-Kollektion entworfen und eine passende Vermarktungsstrategie entwickelt. Zwei ganz eigene Typen, die die Probleme und Hoffnungen von Jugendlichen aber perfekt repräsentieren. Spannend, aussagekräftig und sehr persönlich - so sollte ein gelungenes Schülerporträt aussehen.
Bei der Wahl der dritten Protagonistin konnte Labhart dem puren Effekt hingegen nicht widerstehen. Wanja Gehr stammt ursprünglich aus Sri Lanka und hat sich in der reichen Schweiz zu einer linken Rebellin entwickelt. Sie liest das Kommunistische Manifest, lässt keine Demo aus, verlangt von allem und jedem konsequent politisches und ökologisches Verhalten und hat für ihre Abschlussarbeit eine Brieffreundschaft mit einem Todeskandidaten aufgenommen. Dennoch schafft es der Film nicht, diesem extrem ambivalenten Charakter auf die Spur zu kommen. Punkte wie mangelnde Kritikfähigkeit oder extreme Eifersucht werden augelassen, finden lediglich im Presseheft Erwähnung. In der Doku selbst wird sich nur auf die „lustigen“ Forderungen nach einer blutigen Revolution konzentriert, welche für sich allein ein komplett schiefes Bild ergeben. So ist die politische engagierte Wanja mit ihren extremen Ansichten zwar die unterhaltsamste Schülerin des Films, aber weil man zugleich das Gefühl hat, dass selbst Labhart seine Protagonistin nicht 100prozentig ernst nimmt, ist dieser Teil der Dokumentation insgesamt dennoch misslungen.
Hinzu kommt, dass die Chorszenen, die zu viel Platz einnehmen, um als bloßes Beiwerk durchzugehen, und zu rar gesät sind, um eine eigene Dramaturgie zu entwickeln, kaum persönliche Einblicke in das Schülerleben gewähren. Lediglich wenn die versammelte weibliche Schülerschaft den Unterricht zugunsten eines gemütlichen Frühstücks schwänzt, um so gegen die sexistischen Aussagen ihres Chorleiters zu demonstrieren, wird dem Zuschauer eine ebenso amüsante wie sympathische Anekdote geboten. Ansonsten muss man sich hier schlicht damit begnügen, dass die Spannung allein darin liegt, dass die Schüler einen Tag mal eher besser und einen anderen mal eher schwächer singen. Eine wirklich auf den Auftritt hin zielgerichtete Dramaturgie lässt sich ebenso wenig wie ein Wechselspiel von Gesangproben und Klassenzusammenhalt ausmachen, so dass die einzelnen Chorszenen schließlich doch recht beliebig und unzusammenhängend aneinandergereiht sind.