Einleitung:
Einen Film über Trauer aufgrund des Verlustes von Familienmitgliedern der Kernfamilie zu machen ist sicherlich nie leicht. Diese Thematik ist aktuell, gegenwartsbezogen und durchaus für ein gutes Drama prädestiniert. Und die Frage, wie man als gestandener Vater seinen Kindern in den USA den Tod ihrer Mutter als Soldatin im fernen Irakkrieg beibringen kann, versucht uns „Grace is Gone“ zu zeigen.
Inhaltsangabe:
Der Ex-Soldat und Durchschnittsmensch Stanley (John Cusack) ist Verkäufer, verheiratet mit einer Frau, die als Soldatin im Irakkrieg dient, und Vater von zwei Töchtern, der zwölfjährigen Heidi (Shélan O‘Keefe) und der achtjährigen Dawn (Gracie Bednarczyk). Neben seiner Arbeit kümmert er sich um die Kinder und geht zur „Selbsthilfegruppe für Soldatenfrauen“. Denn seine Frau dient als Sergeant im Irakkrieg und tut dort nach Stanleys Meinung ihre Pflicht, anstatt zu Hause bei ihren zwei Töchtern zu sein. Als eines Morgens zwei Männer von der US–Army (Doug Dearth und Doug James) vor der Tür stehen und Stanley die Nachricht von Grace Tod überbringen, weiß der strenge Vater nicht, wie er diese Hiobsbotschaft seinen beiden Kindern vermitteln soll und fragt sie statt dessen, wohin sie gerne einmal fahren möchten. Als die kleine Dawn freudig vorschlägt doch in den Freizeitpark „Enchanted Gardens“ nach Florida zu fahren geht Stanley prompt darauf ein …
Kritik
Das Trauerdrama von Regisseur und Drehbuchautor James C. Strouse, der vorher noch nie großartig in Erscheinung getreten war, heimste beim „Sundance Independent Film Festival“ 2007 in Utah den Publikumspreis in der Kategorie Drama ein und konnte sich mit zwei Golden Globe Nominierungen auf dem Filmplakat schmücken. Der geneigte Kinogänger wird also hohe Erwartungen an „Grace is Gone“ haben und bei einem Musikscore von Altmeister Clint Eastwood (komponierte auch den Soundtrack zu Space Cowboys) und mit Schauspieler John Cusack (High Fidelity, Identity) in der Hauptrolle sollte doch auch eigentlich nichts schief gehen!?
Als Drehbuchautor hat sich Strouse eine ausgefallene Story ausgedacht, die eine überraschende und absurde Wirkung zeitigt: Die Fahrt und Reise mit den Kids in den Freizeitpark soll dem Vater als Vorbereitungszeit der Stunde der Wahrheit und der Familie insgesamt als kompensierende Trauerzeit dienen. Stanley macht seinen Kindern dabei etwas vor, ohne zunächst deren Misstrauen und Skepsis zu wecken. Als Stanley von dem Tod seiner Frau erfährt ist er erstmal schockiert und bringt wenig über die Lippen. Da jeder Mensch seine Eigenarten besitzt zu trauern, ist an John Cusacks starrer Miene kurz nachdem er es erfahren hat auch nicht zu rütteln. Das der erste richtige emotionale Zusammenbruch von Stan erst auf der Reise und beim Zwischenstopp bei Onkel John passiert, kann also so hingenommen werden und wirkt glaubwürdig. Auch die Eigenart von Stan, symbolisch auf den eigenen Anrufbeantworter zu sprechen, weil er dort die Stimme seiner Frau vorab hören kann und er glaubt so mit ihr kommunizieren zu können ist eine einfallsreiche Einlage. Ansonsten jedoch ist die Geschichte eher gespickt von charakterlichen Stereotypen und Küchenpsychologie, angefangen bei Stanley selbst, der ein amerikanischer Patriot und Militarist durch und durch ist (und selbst nach dem Tod seiner Frau immer noch als Kriegsbefürworter daher redet) und krampfhaft in der US-Army seinen Dienst am Vaterland ableisten wollte und am liebsten für immer in der Armee geblieben wäre. In einer Szene merkt man ihm auch an, dass er nicht gerade sehr begeistert von seinem Job als Verkäufer ist. Bald darauf stellt sich auch heraus, das Stan ein Problem der Scham damit hatte, das seine Frau Grace in den Krieg gezogen ist und nicht er an ihrer Stelle. Vor Onkel John im Gespräch gibt sich Stan als überzeugter Patriot, Kriegsgläubiger und huldigt Johns Schwester und seine Frau als Heldin, während er seiner Tochter im Auto auf der Fahrt erzählt, das Mutti doch lieber hätte zu Hause bleiben sollen.
Onkel John ist hinter Stan der zweite große Stereotyp: Ein etwas heruntergekommener, chaotischer und politisch linker Charakter, der scheinbar mit seinen 32 Lenzen immer noch gern mal einen über den Durst trinkt und lang schläft, sich überlegt ob er noch Medizin oder Jura studieren soll, sonst keinen Job hat und Pazifist ist. Ein Rebell, der zu allem seine eigene Meinung und Ansicht hat und auch den Kindern predigt, dass sie nicht alles für bare Münze nehmen sollen, was ihr Vater ihnen so auftischt, sondern eher dem Skeptizismus bezüglich aller wichtigen Fragen des Lebens den Vorrang geben sollten. Neben diesen zwei erwachsenen Charakteren tauchen im Film keine weiteren nennenswerten erwachsenen Figuren auf. Viel eher steht intensiv die familiäre Beziehung von Stanley zu seinen Kindern und umgekehrt im Mittelpunkt. Noch bevor die Kinder wissen, dass ihre Mutter im Krieg getötet wurde, sagt die kleine Dawn im Plastikhäuschen sitzend, das sie Sehnsucht und Heimweh nach ihrer Mama hat. Durch solche kleinen und rührseligen Szenchen heizt der Regisseur die Stimmung an und im Grunde genommen wartet der Zuschauer die ganze Zeit während des Filmes nur auf den einen Moment, auf den alles zugespitzt hinaus läuft: Die große Ansage und „Beichte“ von Stan an seine Kinder… Die Szene am Ende des Films kann auf die Tränendrüse drücken, sie muss es aber nicht – je nachdem, inwiefern und mit welcher Intensität man sich auf den Film einlässt. Wenn sie beim Zuschauer berührend ankommt und gelingt, so deshalb, weil der Konsument sich während der ganzen 1 ¼ Stunde vorher mit der Familie beschäftigte und genug Zeit hatte sich in die Materie hinein zu fühlen und sich mit der Schwerfälligkeit, die Stan an den Tag legt anzufreunden.
Den Part des trauernden Stan, der die Trauer und den Zustand des schockierten Depressivseins versucht vor den Kindern zu verbergen spielt Cusack solide und mit wechselnden Gesichtsausdrücken. Auch die Charakterwandlung des eigentlich rigorosen Vaters (der ein eigenes Regelwerk hat und dieses streng und patriarchalisch im Umgang mit seinen Kindern befolgt), die durch den Todesfall seiner Frau erfolgt und er nun alle seine aufgestellten Regeln (die Kinder dürfen erst ab 13 Jahren Ohrringe tragen, der Vater tut das Essen auf den Teller und geraucht wird schon mal gar nicht) gegenüber den Kindern durchbricht, verkörpert der Charakterdarsteller glaubwürdig. Auch wenn er sich bemüht zu lächeln, so scheint doch die Bedrücktheit und die Belastung, die auf seinen Schultern lastet in jeder Einstellung präsent und spürbar.
Während die ältere und intelligente Heidi irgendwann beginnt den Braten zu riechen, mimt Gracie Bednarczyk ihren Part der Dawn als naives Kind ebenfalls sehr solide. Dabei ist der gesamte Film von der visuellen Bildqualität her in blasse Farbtöne gehüllt und wirkt so nicht unbedingt sehr modern, sondern eher etwas altbackener, aber passend zum Thema.
Die dramatische Klavier- und Streichmusik, die manchmal mit noch dramatischerem weiblichem Gesang unterstützt wird, erzielt ebenso ihre Wirkung und erzeugt des Öfteren die nötige Drama- und Traueratmosphäre. Dabei haben es die Filmemacher geschafft, dass der Film nicht zu überdramatisch und überladen emotional daher kommt, sondern dass man eine gute und maßvolle Portion an Dramaturgie verpasst bekommt. Allerdings ist die Story mit dem Hintergrund des Irakkriegs und die Kompensationsstrategie des in-den-Freizeitpark-Fahrens schon etwas gewöhnungsbedürftig und nicht jedermanns Sache. Es sind hier die kleinen Szenen im Umgang mit den Töchtern, die punkten sollen: z.B. eben jene Szenen, in denen der eigentlich stinknormale Stanley seine Schranken durchbricht und auf einfach von der Straße ab auf ein Feld fährt, um dort mit dem Auto Kreise zu ziehen, mit der 12 jährigen Tochter an einer Zigarette zieht oder seinen Töchtern Ohrringe und Kleider kauft. Wenn man sich als Zuschauer auf diese Form des Dramas, in der eine Charakterwandlung aufgrund eines traumatischen Ereignisses, nämlich dem Verlust der die Familie zusammenhaltenden Mutter einlässt, dann kann einem der Film durchaus gefallen. Die Tragik und Dramatik steht hier im Vordergrund, während Ironie, Witz oder Klamauk vollkommen ins Hintertreffen rückt und absolut keine Rolle spielen. Deshalb ist der Film auch ein reines Drama, dazu konzipiert an der Rührseligkeit, Emotionalität und dem Trauerempfinden des Endverbrauchers zu rütteln und zum nachdenken darüber anzuregen. Das Problem ist nur, das der Charakter des Stanley durch seinen bleibenden Patriotismus und Militarismus viel kaputt macht von dem, worum es eigentlich im Film geht. Denn selbst nach dem Tod seiner Frau scheint Stanley nicht von seiner positiven Meinung über den Irakkrieg abzurücken, was in mehreren Szenen deutlich wird. Das dürfte bei einigen Zuschauern auf Unbehagen und Antipathie stoßen und dieses Faktum, das Stanley seine Einstellungen selbst nach dem Verlust dieses so wichtigen Familienmitgliedes durch den Krieg nicht ändert, zerstört viel von dem Potenzial, den der Film gehabt hätte. Allerdings wird so auch vermieden, den moralischen, pädagogischen oder ethischen Zeigefinger zu schwingen. Ob einem das gefällt oder nicht bleibt letztendlich Geschmackssache.
Fazit:
„Grace is Gone“ ist kein dramatisches Meisterwerk mit einer politischen Botschaft (wenn diese vorhanden sein sollte, dann ist sie eher fragwürdig), aber durchaus ein abendfüllendes und streckenweise anspruchsvolles Drama, das sich mit einer unkonventionellen Story und einem gut aufgelegten John Cusack (besonders eingefleischte Cusack-Fans werden garantiert auf ihre Kosten kommen) einer schwierigen Thematik nähert und seine kleinen, aber rar gesäten Höhepunkte hat.
6/10 Punkten