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    Black Swan
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Black Swan
    Von Björn Becher

    Während der Pressekonferenz zu „Black Swan", dem Eröffnungsfilm der 67. Filmfestspiele von Venedig, wurde Regisseur Darren Aronofsky nicht müde zu betonen, dass sein neuer Film der Kompagnon seines Venedig-Erfolgs „The Wrestler" sei. Was sich auf den ersten Blick verrückt anhört, handelt der eine doch von brutalem Wrestling und der andere von filigranem Ballett, macht bei genauem Hinsehen durchaus Sinn. Wie der Showsport Wrestling in „The Wrestler" endgültig entmystifiziert wurde, werden nun in „Black Swan" die Schattenseiten des Balletts ausgeleuchtet. Hinzu kommt hier noch ein Psycho-Mystery-Thriller, der sich unerwartet gut in die Gesamthandlung einfügt, auch wenn Aronofsky dem Zuschauer schon sehr früh offenbart, wohin der Hase läuft.

    Das New Yorker Ballett zählt zu den besten der Welt. Doch ein Umbruch steht an. Der Ausnahmeregisseur Thomas Leroy (Vincent Cassel) hat seinen einstigen Superstar Beth (Winona Ryder) zum Ende der Spielzeit abgesägt. Zur neuen Saison, die mit einer Aufführung von „Schwanensee" eröffnet werden soll, muss eine andere Primaballerina gefunden werden. Berechtigte Hoffnungen auf den Job macht sich Nina (Natalie Portman), die ihr ganzes Leben dem Ballett unterordnet, jede Minute trainiert, jede Sekunde ihre Schritte durchspielt. Angetrieben von ihrer Mutter Erica (Barbara Hershey), der selbst aufgrund ihrer Schwangerschaft die große Karriere verwehrt blieb, ist Nina besessen davon, absolut perfekt zu sein. Doch in Thomas‘ Augen ist Nina zwar die ideale Besetzung für den weißen Schwan, aber zu leidenschaftslos, zu frigide und zu wenig verführerisch für den Part des schwarzen Schwans. Und der Regisseur plant beide Rollen mit einer Tänzerin zu besetzen. Als Nina bereits völlig zerstört ist, kündigt Thomas sie überraschend doch als neuen Star an. Doch in der Folgezeit stürzen Thomas‘ Bemerkungen über ihre Asexualtität, seine ständige Kritik an ihrer Performance, das Unbehagen über das neue Ensemblemitglied Lily (Mila Kunis) und merkwürdige Kratzspuren an ihrem Rücken Nina immer weiter in tiefen Selbstzweifel...

    Die Melodie von „Schwanensee" und der Inhalt des Stückes mit all seinen differierenden Enden sind weltbekannt. Um aber wirklich jeden Zuschauer mit ins Boot zu nehmen, lässt Aronofsky gleich zu Beginn Thomas Leroy den Stoff noch einmal verknappt referieren: Eine Prinzessin wird in einen weißen Schwan verwandelt, nur die Liebe eines Prinzen kann sie retten und ihr ihre Freiheit zurückgeben. Doch das düstere Ebenbild der Prinzessin, der schwarze Schwan, verführt den Prinzen. Am Ende stirbt in den meisten Versionen die Prinzessin den Freitod. Es ist von Beginn an offensichtlich, dass „Black Swan" eine doppelbödige Version des Tschaikowskis-Stückes ist und daraus macht Aronofsky auch nie ein Geheimnis. Nina ist der weiße Schwan und lebt noch in ihrem Kinderzimmer, das - in Pink gehalten und vollgestopft mit niedlichen Stofftieren - wahrscheinlich auch schon an ihrem zwölften Geburtstag so ausgesehen hat. Männerbekanntschaften scheint es nicht zu geben und ihr Weg führt vom Ballett-Training direkt in Mamas Schoß. Ihre neue Konkurrentin Lily ist das genaue Gegenteil, was schon das düstere Tattoo quer über ihre gesamte Rückpartie deutlich macht. Sie trägt nur schwarz, raucht in den Trainingsräumen und zieht des Nächtens Drogen konsumierend und Männer aufreißend durch die Clubs. Schwarz und Weiß als Entsprechungen von Böse und Gut sind hier ganz klar verteilt.

    Subtilität ist Aronofsky fremd. Er trägt dick auf, was gerade einem Psycho-Thriller mit Mystery-Komponente ein wenig die Spannung raubt. Wohin die Geschichte von Nina, die erkennen muss, dass sie ihren Traumpart nur bekommt, wenn sie zu einem schwarzen Schwan wird, steuert, ist immer klar. Trotzdem gelingt Aronofsky ein hochemotionales Finale. Die Suche nach der eigenen und das Spiel mit verschiedenen Identitäten ist ein im Genre des Psycho-Thrillers gern gewähltes Sujet und man muss man gar nicht auf Alfred Hitchcock zurückgehen, um Regisseure zu finden, denen vergleichbare Suspense-Momente wie jener, in dem der Heldin auf dem nächtlichen Weg zur U-Bahn von ihrer Rivalin aufgelauert wird, besser gelungen sind. Da Aronofsky aber visuell ein Ausnahmekönner ist und die Mystery-Elemente eh nur dazu dienen, den Drama-Part anzureichern, machen sich die Thriller-Schwächen gar nicht so nachdrücklich bemerkbar.

    Inszenatorisch mischt Aronofsky den dokumentarisch anmutenden Handkamera-Stil von „The Wrestler" mit visuell beeindruckendem Horrorkino, bei dem er auch auf Spezialeffekte zurückgreift. Dazu kommen virtuose Ballett-Tanzszenen, die mit einer sich ständig in Bewegung befindender Kamera und der von Score-Komponist Clint Mansell („Requiem for a Dream") aufgegriffenen Original-„Schwanensee"-Musik den Zuschauer mitreißen. Hier zelebriert Aronofsky die Schönheit des Balletts, die er gleichzeitig zerstört. Parallelen zu der mittlerweile berühmt-berüchtigten Szene in der Umkleidekabine aus „The Wrestler", in denen die Sportler ihre geschundenen Körper bewundern und sich mit Rasiermessern auf blutige Wunden im späteren Kampf vorbereiten, finden sich einige. Immer wieder werden die geschundenen Füße Portmans ins Bild gerückt, die Knocken knacken in den Zehen, auch Blut fließt mehrfach. Das Ballett ist nur für den Zuschauer schön, wie auch das Bild der von Winona Ryder in ganz wenigen Szenen verkörperten Altballerina zeigt, die wie ein räudiger Hund abgeschobenen wird.

    Bereits 2002 hat Aronofsky Natalie Portman die Rolle angetragen, und der Star aus so unterschiedlichen Filmen wie „Léon - Der Profi" oder „Garden State" war von ihr angetan. Die Schauspielerin hatte also genug Zeit, sich auf die Rolle vorzubereiten. Und diese hat sie ohne Frage auch genutzt. So griff sie ein Jahr vor den Dreharbeiten ihr bereits in der Jugend begonnenes Ballett-Training wieder auf. Und sechs Monate später stieg sie in ein den Profis nachempfundenes, täglich mehrstündiges Training ein. Dieser Einsatz zeigt sich auch auf der Leinwand. Hier wurde nicht nur die Schauspielerin, sondern auch die Athletin Natalie Portman gefordert. Wie schon Mickey Rourke in „The Wrestler" geht sie an ihrer körperlichen Grenzen, was Aronofsky schonungslos aufzeigt. Portman steht im Mittelpunkt des Films und trägt den Thriller sogar in jenen Momenten, in denen Aronofsky der Spannungsaufbau nicht so recht gelingen will. Nicht nur, weil längst bekannt ist, dass die Academy Leistungen schätzt, bei denen Schauspieler an ihre körperlichen Grenzen (und darüber hinaus) gehen, ist Portman deshalb schon jetzt sehr weit oben auf der Oscar-Favoritenliste zu platzieren.

    Der restliche Cast ordnet sich ihr brav unter und spielt ihr zu. Vincent Cassel, der wie Portman bereits in der Jugend eigene Ballett-Erfahrungen gesammelt hat, gibt eine Mischung aus Chauvi und künstlerischem Exzentriker, der seinem Star auch mal die Hausaufgabe aufgibt, sich selbst zu befriedigen. Mila Kunis hat als die dunkle Rivalin nicht viel zu tun, wechselt aber mühelos zwischen offen-diabolisch und verschlagen-freundlich. Altstar Barbara Hershey muss ein wenig darunter leiden, dass ihr Aronofsky neben der übermotivierten Mutter noch eine zweite Ebene anvertraut, die sie als mysteriöse Bedrohung ihrer Tochter erscheinen lässt. Winona Ryder hat zwar kaum Leinwandzeit, ist aber in ihren drei entscheidenden Szenen so grandios wie zu jenen Zeiten, in denen sie zwei Mal für den Oscar nominiert wurde.

    Fazit: „Black Swan" ist ein würdiger Eröffnungsfilm der 67. Filmfestspiele von Venedig. Nachdem Darren Aronofsky 2006 mit „The Fountain" gnadenlos ausgebuht wurde und ihm zwei Jahre später mit „The Wrestler" eine triumphale Rückkehr gelang, sorgt er dieses Mal selbst für die Entscheidung, welches Geräusch zu Beginn des Abspanns zu hören ist, wenn die Tonspur den verdienten tosenden Applaus gleich mitliefert. Das wäre allerdings gar nicht nötig gewesen, denn der Jubel wäre ihm auch so sicher gewesen. Trotzdem ging der Pegel noch einmal deutlich nach oben, als der Name von Natalie Portman auf der Leinwand auftauchte. Darren Aronofskys Film ist sehr gut, Natalie Portman hingegen absolut grandios.

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