„Race is not an issue“, behaupteten Barack Obama und John McCain zu Beginn des US-Wahlkampfes standhaft – um später einzusehen, dass die Rassenfrage in den USA auch Jahrzehnte nach der offiziellen Abschaffung der Rassentrennung in den Sechzigerjahren sehr wohl noch schmerzlich aktuell ist. Hollywood hat sich im Mainstream-Sektor bisher erfolgreich um dieses unangenehme Thema gedrückt. Der Indie-Filmer Neil LaBute nimmt sich dem Problem in seinem mutigen Thriller-Drama „Lakeview Terrace“ nun auf provokative Art an.
Es sollte ein neuer Anfang in einer neuen Stadt und einer neuen Umgebung werden. Doch willkommen sind der weiße Yuppie Chris Mattson (Patrick Wilson) und seine schwarze Frau Lisa (Kerry Washington) im schönen Lakeview Terrace im San Fernando Valley von Los Angeles nicht. Ihr Nachbarn Abel Turner (Samuel L. Jackson) macht keinen Hehl daraus, dass er wenig für gemischtrassige Ehen übrig hat. Der schwarze L.A.P.D.-Officer, der seine Frau bei einem Autounfall verlor, zieht seine beiden Kinder Celia (Regine Nehy) und Marcus (Jaishon Fisher) allein mit strenger Hand groß. Seine Höflichkeitsfloskeln legt Abel schnell ab und macht Chris klar, dass in seinem gesitteten Bezirk Ordnung herrscht. Mit kleinen Nadelstichen provoziert der Cop seinen neuen Nachbarn, bis der die Nase voll hat und auf gute Beziehungen keinen Wert mehr legt. Doch Abel ist ein harter Bursche, der Mittel und Wege findet, den Mattsons das Leben zur urbanen Hölle zu machen…
Regisseur Neil LaBute („In The Company Of Men“, „Das Maß der Dinge”, Besessen, The Wicker Man) lotet in seinem filmischen Schaffen mit Vorliebe die Abgründe der menschlichen Seele aus. Bei „Lakeview Terrace“ ist er also in seinem Element. Mit einem genialen Schachzug vermeidet der US-Amerikaner, in Schwarz/Weiß-Klischees abzudriften. LaBute vertauscht schlichtweg die Perspektiven des Rassismus. In seinem Film ist der schwarze Cop der Rassist. Abel Turner macht seinem weißen Nachbarn Chris das Leben schwer, weil er dessen Ehe mit der Schwarzen Lisa missbilligt. Jeder soll auf seiner Seite bleiben, ist Abels Devise – dann kommen auch alle gut miteinander aus. Eines Abends sitzt Chris rauchend in seinem Auto und hört laut Hip-Hop-Musik. „You can listen to that noise all night, but when you wake up in the morning, you’ll still be white“, erklärt ihm Abel, der an die Fensterscheibe klopft. Und damit sind wir schon bei LaButes Analyse des heutigen Amerikas, wo die Rassenfrage offiziell keine mehr ist, aber in den Köpfen vieler weiterhin Barrieren vorhanden sind. Immer noch bringt es ein Teil der US-Bürger nicht übers Herz, einem Schwarzen Barack Obama ihre Stimme für die Wahl zum Präsidenten zu geben. Zehn Prozent der Amerikaner gaben die Hautfarbe aus maßgebliches Kriterium an.
Die Ansiedlung der Geschichte im Distrikt Lakeview Terrace hat LaBute bewusst gewählt. Hier prügelten 1991 weiße Polizeibeamte an einer Tankstelle auf den Schwarzen Rodney King ein. Das Video ging um die Welt und löste tagelange, schwere Rassenunruhen in den Straßen von Los Angeles aus. Es geht LaBute nicht um schwarzen oder weißen Rassismus, sondern um Diskriminierung im Allgemeinen. Besonders glänzen kann „Lakeview Terrace“ mit seiner ausgefeilten Charakterzeichnung, die er seinen drei Hauptfiguren Abel, Chris und Lisa angedeiht. Etwa eine Stunde lang entwirft LaBute in gemächlichem Tempo ein scharf gezeichnetes Charakterporträt, aus dem ein dichtes Spannungsfeld entwächst. „Lakeview Terrace“ gefällt als Film der kleinen Gesten, die allesamt wichtig sind. Erst im dritten Akt gibt LaBute seine Zurückhaltung und Subtilität unnötig auf und steuert sein Charakterdrama vor dem Hintergrund von Wildfeuern in Los Angeles nun auf die konventionelle Thriller-Schiene. Das raubt dem Film, der nebenbei auch durch eine elegante Optik und einen stimmungsvollen Score besticht, einen Teil seiner Kraft, ruiniert ihn aber nicht. Ärgerlicher ist da schon eine späte Szene, in der dem Publikum Abels Motive auf dem Silbertablett serviert werden. Das ist kein Wink mit dem Zaunpfahl mehr, sondern gleich mit dem ganzen Gartenzaun.
Aber gegen diese Mängel im Schlussteil spielen Urgestein Samuel L. Jackson (Pulp Fiction, Unbreakable, Jackie Brown), Patrick Wilson (Little Children, Hard Candy) und Kerry Washington (Der letzte König von Schottland, Ray) mit Bravour an. Jacksons Charisma ist kaum zu bändigen. Trotz der Übersteigerung seines Charakters ist es Jacksons Verdienst, dass er glaubhaft bleibt. Wilson ist als Berkeley-Absolvent nur ein Spielball des hartgesottenen Kontrollfreaks Abel. Er kann sich nicht durchsetzen und gerät in seiner Rolle als Ehemann immer mehr unter Druck, weil er nicht als Schlappschwanz gelten will. Auf den Punkt gebracht wird dieses Szenario durch Abels Weigerung, seine Nachtscheinwerfer, die direkt in das Schlafzimmer der Mattsons scheinen, abzuschalten. Geschickt lässt LaBute seine Charaktere sich an dieser Nebensächlichkeit abarbeiten, um so ein universelles Problem vorzustellen. Washington vervollständigt das starke Hauptdarstellertrio mit einer feinen Leistung. Aus ihrer privilegierten Sicht des schwarzen Mädchens mit Geld ist die Rassenfrage kein Thema – und dennoch muss auch sie sich ihr stellen.
Fazit: „Lakeview Terrace“ ist ein provokantes Thriller-Drama, das sich mehr traut als etwa der Oscar-preisgekrönte L.A. Crash, aber durch einen arg konventionellen Abschluss der Geschichte Potenzial verschenkt. Das mindert zwar den Gesamteindruck, verhindert aber nur, dass der Film in meisterhafte Dimensionen vorstößt. Denn trotz der Schwächen im Finale bleibt „Lakeview Terrace“ ein hochinteressantes, atmosphärisches Werk.