Jirí Menzel gehört zu den bedeutendsten tschechischen Regisseuren, die mit ihren Filmen auch international erfolgreich waren. Der Werdegang des 1938 geborenen Pragers in der Filmbranche mutet fast klassisch an: Als er nach dem Abitur durch die Aufnahmeprüfung für ein Studium der Theaterwissenschaften fiel, arbeitete er zunächst beim Fernsehen als Kabelträger, bis er es irgendwann doch auf die Prager Filmakademie schaffte. Nach der Produktion einiger Wochenschauen und einem Beitrag für einen Episodenfilm schaffte er 1966 den Durchbruch mit seinem ersten Spielfilm „Liebe nach Fahrplan“, der ihm prompt den Oscar in der Kategorie des besten ausländischen Films einbrachte. Grundlage für den Film stellte ein Roman des 1997 verstorbenen Schriftstellers Bohumil Hrabals dar, mit dem er bis dato sechs Mal kooperierte. Auch wenn der Autor das jüngste Ergebnis nicht mehr erleben kann, schloss Menzel souverän an seine Erfolge im heiteren Fach aus früherer Zeit an und eroberte mit seinem „Ich habe den englischen König bedient“ die Herzen jubelnder Berlinalezuschauer im diesjährigen, 57. Wettbewerb.
Im Mittelpunkt der schelmischen, in Rückblenden erzählten Tragikomödie, die vor allem heiter und nur ein bisschen tragisch ist, steht das Leben des kleinwüchsigen Pragers Jan Díte und sein Aufstieg und Niedergang in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts (Ivan Barney
als junger, und Oldrich Kaiser als alter Jan). Mit Geschick und Vorwitzigkeit arbeitet sich der charismatische Blondschopf in den 30er Jahren vom Aushilfskellner in einer Kleinstadt bis zum nobelsten Hotel in ganz Prag hoch. Er träumt den großen Traum von Dasein als Millionär und Hotelbesitzer und kommt ihm Stück für Stück immer näher. Seine Beziehung zu der Sudetendeutschen Lisa (Julia Jentsch, Sophie Scholl - Die letzten Tage, Die fetten Jahre sind vorbei) bedeutet jedoch den Zusammenbruch seiner Karriereleiter, als die Nationalsozialisten im Deutschen Reich an die Macht kommen und er seine Liebe zur ihr verteidigt. Es gelingt ihm jedoch, seine arische Herkunft nachzuweisen und nach der Heirat mit Lisa seinen alten Job als Hotelier wiederzuerlangen – in einem Haus, das inzwischen in eine Zuchtstation für die Herrenrasse umfunktioniert worden ist. Seine Frau, die sich regimentstreu für den Einsatz an der Front gemeldet hat, bringt eines Tages in Form von Briefmarken, die deportierten Juden gehörten, unverhofft der erhofften Reichtum nach Hause. Nach Ende des Krieges sieht es tatsächlich so aus, als ob Dítes Traum vom Luxushotel in Erfüllung gehen soll...
„Ich habe den englischen König bedient“ ist das Paradebeispiel für Filmkunst, bei der eine rein inhaltliche Beschreibung grundsätzlich zu kurz greift oder, mehr noch, ein vielmehr irreführendes Bild erzeugen kann. Spätestens mit dem Beginn der Nazizeit im Film mögen bei dem einen oder anderen Assoziationen hervorgerufen werden, die die Richtung „schwere Kost“ einschlagen. Menzel aber ist es in brillanter Manier gelungen, die zwei (bzw. drei) völlig entgegengesetzten Abschnitte in Dítes Leben, mit ihren ebenso verschiedenen moralischen Implikationen, so zu inszenieren und zu koppeln, dass daraus ein absolut schlüssiges Werk entstanden ist. Die heikle Thematik in der zweiten Hälfte wird dabei immer exakt so behandelt, dass die Verbrechen unter Hitler zwar nicht mit künstlicher moralischer Schwere belegt, aber auch niemals in ihrer Inhumanität unterbewertet, verharmlost oder gar außen vor gelassen werden. An diesem diffizilen Balanceakt, der vor allem für die deutsche Regie ein Feld heißer Kohlen darstellt, ist erst kürzlich wieder Dani Levy in seinem verkorkst politisch korrekten Mein Führer mit Pauken und Trompeten gescheitert. Ein Vergleich zu „Das Leben ist schön“ mag sich hier noch am ehesten anbieten. Allerdings mit dem Unterschied, dass Menzel einen faszinierenden und leuchtenden Bilderreigen erzeugt hat, der das Schöne am Leben in einer ungeahnten Leichtigkeit zelebriert und dabei ohne einen nervtötend hibbeligen Roberto Benigni auskommt.
So wird einem beim Anblick des Aufstiegs von Díte in die luftig-dekadenten Höhen der tschechischen Oberschicht, die sich selbst und das gute, nein, das beste Leben in den teuren Hotels feiert, beinahe schwindelig. Auf Stakkato-Klängen in Dur tanzt die Kamera um dicke Männer in Anzügen und Uniform, die Champagner in Kristallgläsern, exotische Früchte und duftende Braten von edlem Porzellan in zahllosen Mengen verspeisen. Mit ihnen speisen in teuerste Stoffe gehüllte Frauen, eine hübscher als die andere, und nach dem Essen... geht’s aufs Zimmer. Und dieser Schmaus für die Sinne schert sich einfach nicht um Moral und Sexismus, sondern lässt das Schöne schön sein, ohne dabei einen augenzwinkernden Verweis auf die Macht bezaubernder Frauen zu vergessen. Dass es Menzel später gelingt, den so einmal erzeugten Rhythmus des Films zu halten, liegt vor allem in der Art und Weise, mit der die Nazis und ihre Taten dargestellt werden. Da wird absurd überzeichnet, zum Beispiel im Moment der Zeugung eines Kindes zwischen Díte und Lisa, als sich Letztere nur für das Bild des Führers an der Wand während des Beischlafs interessiert. Oder es wird mit einer einzigen, fast unscheinbaren tragisch-komischen Geste die Vernichtung unwerten Lebens kommentiert, als beim Ausräumen des Hotels durch Wehrmachtsoldaten der behinderte Ex-Besitzer kurzerhand mitsamt seinem prunkvollen Sessel auf den Pritschen-LKW verladen wird.
Hinzu kommt, dass die Epochen des Landes vor und während der Nazizeit mit einigen kleinen, parallel aufgezogenen Sequenzen geschickt verknüpft werden, womit sie sich auch gegenseitig ironisch oder nachdenklich kommentieren. Manchmal zeigen sie minimiert den doch entscheidenden Unterscheid. Manchmal scheinen sie, einer Reklame für pfefferminzcremehaltige Schokolade gleich, zu sagen: „... and some things never change“.
Díte lernen wir zuerst als alten Mann kennen, als er nach 20 Jahren gerechter Strafe aus dem Gefängnis entlassen wird. Auch die Rückblenden, in denen er über die Ereignisse von früher berichtet, sind kunstvoll mit dem Geschehen der Gegenwart verbunden worden. Letztere steht in ihren erdigen Farbtönen und der verlassenen Schenke, die zum Wohnort des ehemaligen Sträflings wird, der prunkvollen Vergangenheit entgegen. Hier reflektiert er nicht ohne Melancholie über sein vergangenes Leben, über verflogene Unbeschwertheit, aber auch, indirekt, über die Gerechtigkeit seiner Bestrafung, der er sich quasi selbst gestellt hat.
Die menschliche Gier nach Wohlstand zieht sich wie ein roter Faden durch Dítes Leben, direkt und indirekt. „Ich habe den englischen König bedient“ feiert diese Tatsache, ohne sie zu schwergewichtig zu bewerten, aber auch ohne dabei ihre Kehrseite gänzlich auszusparen. Zwar gilt in der Tat: „Money can lay the world at your feet!“ Der junge Kellner aber ist niemals wirklich Teil dieses Wohlstands, sondern nur sein naiver Nutznießer (Díte bedeutet im Tschechischen auch „Kind“). Und der bekommt, als es endlich soweit zu sein scheint, letztlich auch die Quittung für sein unreflektiertes Verhalten. Aber auch in seiner ärmlichen Existenz der Gegenwart bleiben ihm ein Funken Märchenhaftigkeit und Romantik erhalten. „Es kommt darauf an, was du daraus machst“, scheint einem Jirí Menzel immer wieder zuzuflüstern. Genau wie die beiden fantastischen Hauptdarsteller, Oldrich Kaiser als alter, und Ivan Barney als quicklebendiger junger Díte, hat er in jedem Fall etwas daraus gemacht: Sein Film ist ein Gedicht.