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    Mein Tod ist nicht dein Tod
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    Mein Tod ist nicht dein Tod
    Von Christian Schön

    Als Kind bekommt man Märchen erzählt, in denen es Geister gibt. Noch naiv, glaubt man, dass es auch in Wirklichkeit solche Wesen gibt. Je älter man wird, desto mehr wird einem bewusst, wie wenigen Auswüchsen der Phantasie man wirklich begegnen kann. Eine vollständige Befreiung von ihnen kann es aber nicht geben. Vor ihnen sicher wähnend, verbannen wir sie auf die Kinoleinwand und in Bücher. Hin und wieder benötigt man aber auch in der Realität die körperlosen Geschöpfe. Vor allem dann, wenn es gilt, etwas zu erklären, das sich unserem rationalen Verstand entzieht oder wenn es Dinge betrifft, die man ohne fremde Hilfe nicht begreifen kann. Der Tod ist einer dieser unbegreiflichen Ereignisse, zu dessen Verständnis der Glaube an Geister, die Seele oder das Jenseits helfen, damit umzugehen. In Begriffen wie diesen, und sei es auch nur im metaphorischen Sinn, ist das Leben der Geister verbürgt. In der Dokumentation „Mein Tod ist nicht dein Tod“ lebt ein solcher Geist aber im wörtlichsten Sinne weiter. Seine ursprüngliche Trägerin, die Inderin Chetna, ist bereits gestorben, doch ihr Geist treibt ruhelos sein Unwesen fort. Filmemacher Lars Barthel, zugleich der ehemalige Lebensgefährte von Chetna, will dem Spuk durch seinen Film ein Ende bereiten. Kryptisch und verschlossen präsentieren sich in „Mein Tod ist nicht dein Tod“ die verworrenen Geschehnisse um die Befreiung von Chetnas Geist.

    In den 70er Jahren gelangt Chetna aus Indien in die DDR. Ihr Vater war in Indien politisch sehr aktiv, dadurch wohlhabend, und knüpfte Kontakte ins kommunistische Ost-Deutschland. Dieser Umstand verhalf auch Chetna den Weg aus Indien in die Volksrepublik zu ebnen. Auf der Filmhochschule Babelsberg lernt die junge Chetna Lars Barthel kennen und kommt mit ihm zusammen. Sie drehen gemeinsam Filme und haben eine Tochter. Mit der Zeit fallen sie jedoch mit ihren Arbeiten dem Staatsapparat der Volksgenossen unangenehm auf. Mehr oder weniger gezwungen planen sie, trotz Chetnas Widerwillen, die DDR zu verlassen und nach Indien zu gehen. Dort wollen sie weiter Filme machen und ein neues, besseres Leben in Freiheit führen. Allerdings stirbt Chetna im Alter von gerade einmal 30 Jahren, während sie zusammen mit Lars an einem neuen Film arbeitet, einen viel zu frühen Tod. Gemäß dem in Indien gebräuchlichen Ritual wird der Leichnam Chetnas verbrannt; die Asche dem Wind überlassen. Doch Lars möchte sich eine Gedenkstätte bewahren, wie er dies von Grabmälern aus seiner Heimat kennt. Dazu bittet er die Leute, die die Verbrennung durchführen, ihm ein wenig Asche zu überlassen. Diese vergräbt er anschließend an drei verschiedenen Stellen.

    15 Jahre nachdem Lars die Asche vergraben hat, er in der Zwischenzeit schon wieder in Berlin wohnhaft geworden ist, bekommt er von Chetnas Geist den Auftrag, ihre Asche in Indien wieder auszugraben und sie dem Wind zu übergeben. Nach einer Zeit der Vorbereitung macht sich Lars auf nach Indien, um ihrem Wunsch nachzukommen. Die Kamera, Chetnas Filme und Fotos, die er von ihr während ihrer gemeinsamen Zeit gemacht hat, im Gepäck reist er nach Indien. Dort trifft er die Familie Chetnas wieder, sucht die alten Orte auf und versucht die Stellen zu finden, an denen er die Asche vergraben hat. Doch zu viel hat sich verändert. Lars kann die vergrabenen Überreste von Chetna nicht mehr ausfindig machen. Auf der Suche nach einer Lösung bemerkt Lars, dass seine verstorbene Frau nicht nur in seinen Gedanken weiter lebendig ist, sondern auch in den Bildern und ihren Filmen. Kurzer Hand entschließt er sich, ihren Geist dadurch zu befreien, indem er die Zeitdokumente dem Feuer übergibt, um so dem Wind doch noch einen Tribut zu zahlen.

    Die zwei Medien Film und Fotografie sind in der Geschichte der Kunst die zwei Jüngsten und inzwischen die am meisten verbreiteten Ausdrucksmittel. Als solche beherrschen sie unsere Kultur. Das ist insofern von Bedeutung, als dass sie dadurch die einzigen Medien sind, deren Ursprung nicht mit der Religion bzw. dem Kultus in Verbindung stehen - der Film noch mehr als die Fotografie, da Bilder im Allgemeinen durchaus kultisch gebraucht wurden. Fotografische Dokumente von Seancen und Beschwörungsritualen aus der Zeit des ausgehenden 19. Jahrhunderts zeigen noch den verbleibenden Rest der alten Tradition. Dem Film fehlt vollständig eine Einbettung in diesen Gebrauch. Dieser Umstand macht sich in „Mein Tod ist nicht dein Tod“ bemerkbar. Die Handlung, die einen religiösen Vorgang zum Inhalt hat, kann sich nicht im Medium Film allein vollziehen. Diesem fehlt dazu jede Form von Ausdrucksmöglichkeit. Deshalb werden Bilder (Fotografien) benötigt, die den umherirrenden Geist der Chetna zur Ruhe bringen müssen. Die Filmkamera kann nur dazu dienen, den Vorgang als solchen zu dokumentieren. Ähnlich wie die Eingeborenen von fremden Kontinenten zu der Zeit der Kolonialisierung befürchteten, dass ein Teil ihrer Seele von den Fotoapparaten mit eingefangen werden, beschwört Barthels Film eine Bilderwelt, die im wahrsten Sinne des Wortes, beseelt ist. Die Angst vor den Maschinen als Seelenfänger war demnach berechtigt, denn nur so kann die symbolische Handlung im Rahmen des Films funktionieren.

    Eine chronologische Erzählweise wird in „Mein Tod ist nicht dein Tod“ zugunsten einer künstlerisch anmutenden aufgegeben. So vielschichtig die verschiedenen Erzählebenen im Film zusammenmontiert wurden, so schwierig gestaltet sich der Einstieg in die Filmhandlung. Als Dokumentation im klassischen Sinne kann „Mein Tod ist nicht dein Tod“ nicht begriffen werden. Der Untertitel „ein persönlicher Film“ deutet bereits an, dass er als eine rein private Unternehmung gelten will. Als eine solche präsentiert sie sich zunächst einmal als eine verschlossene. Man merkt dem Film sehr deutlich an, dass diese Wirkung durchaus beabsichtigt ist. Fast verkrampft wird versucht, vielen Einstellungen einen poetischen Anstrich zu geben. Nur nach und nach bekommt man in spärlichen Happen genug Hinweise an die Hand, um die Geschichte einigermaßen zu rekonstruieren. Das frustriert auf Dauer schon allein deshalb, weil bei einem persönlichen Dokument, die persönlichen Beweggründe, den Film zu drehen, nicht uninteressant wären. Bevor diese Umstände aufgedeckt werden, wird viel angedeutet und viel Material gezeigt, in dem man Hinweise zu finden hofft, was hinter dem Ganzen wohl steckt. Lässt man sich ernsthaft darauf ein, kann man Assoziationen in hunderterlei Richtungen folgen, ohne auf der richtigen Spur zu sein. Sobald klar wird, dass es Lars Barthel um eine Selbsterfahrung geht, enttäuscht das fast ein wenig.

    Ohne ein klares Muster erkennen zu lassen, reihen sich Aufnahmen aus den verschiedensten Zeitperioden aneinander. Allein für Chetna lassen sich fünf Erzählschichten ausmachen. Die wichtigste ist die Geschichte ihrer Bilder. Allerdings bekommt man über diese das Bild vermittelt, das Lars sich von ihr gemacht hat. Als zweite Schicht der Vermittlung dient ihr schriftlicher Nachlass, der aus Briefen und Gedichten besteht. Letztere geben auch nur bedingt Auskunft, da sie in einem (etwas einfältigen) Impressionismus abgefasst sind. Ihre Stimme, die durch Kathrin Angerer aus dem Off erklingt, vermittelt in einer dritten Instanz, ebenso das, was ihr „Geist“ zu sagen hat. Dadurch werden auch an dieser Stelle wieder die Sicht Chetnas auf die Dinge, mit denen von Lars vermischt, der seine Gedanken in den Geist Chetnas projiziert. Formal sind also Chetnas Äußerungen von denen, die ihr zugeschrieben werden, nicht zu unterscheiden. Die Filmaufnahmen aus Chetnas Zeit in der DDR, denen oft auch eine fiktive Handlung zugrunde liegen, verschleiern viertens die gemeinsame Zeit des Paares mehr, da zu vieles unkommentiert bleibt. Die Details „Trennung von Lars“ und „Aufenthalt in der Psychiatrie“ vor Chetnas Tod stehen verloren im Raum.

    Zu guter Letzt berichtet Lars Barthel selbst retrospektiv aus der Jetztzeit von Chetna. Aus Gesprächen mit seiner jetzigen Lebenspartnerin, einem befreundeten Filmemacher, der gemeinsamen Tochter (der erstaunlich wenig Platz eingeräumt wird) und schließlich noch Chetnas Eltern gewinnt man dann doch einigermaßen einen Einblick in die Konstellation des ungewöhnlichen Paars. Nimmt man es genau, ist „Mein Tod ist nicht dein Tod“ ein Dokument der Selbstoffenbarung, das auf den Offenbarenden nicht das allerbeste Licht wirft. Chetna ist für Barthel von Anfang an ein Objekt der Begierde, das er besitzen will. Sie kommt aus Indien in die DDR und ist dort von Beginn an eine Exotin. Wie ein Fetischobjekt inszeniert sie Barthel in seinen Bildern und Filmen. Seine Besitzansprüche gingen letzten Endes dann soweit, dass er, die Trennung von ihr und später ihren Tod ein Stück weit ignorierend, in seinen Gedanken weiterhin an ihr festhielt. Der Prozess des Loslassens konnte erst ritualisiert in Form dieses Films stattfinden.

    Beschäftigt man sich mit einem beliebigen Film, ist es im Regelfall unnötig zu wissen, warum ein Regisseur sich entschlossen, hat ihn zu drehen. Aufschlussreich kann es natürlich sein, mehr über die Umstände der Entstehung zu erfahren. Für eine grundlegende Betrachtung können solche Informationen aber nicht dienen. Wird nun genau das aber zum Inhalt, ist es umso wichtiger, dass sich der Film auch unabhängig davon behaupten kann. In Lars Barthels Erstling „Mein Tod ist nicht dein Tod“ sind Ansätze von einer Selbstbehauptung nur tendenziell vorhanden.

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