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    The Broken
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    The Broken
    Von Jan Hamm

    Es heißt, „Herr, hilf meiner armen Seele“ seien seine letzten Worte gewesen. Kaum jemand betrauerte den verarmten und schwerkranken Mann, der im Herbst des Jahres 1849 seinen finalen Atemzug tat. Heute gilt Edgar Allan Poe als Großmeister der modernen Schauererzählung. Literaturwissenschaft und Psychoanalyse gleichermaßen feiern ihn als Genie. Im Kino aber blieb Poe die verdiente Anerkennung bislang verwehrt. Verfilmt wurde er sehr wohl, am hohen Geist der Vorlage sind etwa Roger Corman („House Of Usher“, „The Raven“) oder das unterirdische Lex-Barker-Machwerk „Die Schlangengrube und das Pendel“ allerdings katastrophal gescheitert. Mit „The Broken“ setzt Sean Ellis dem unwürdigen Treiben ein so überraschendes wie lange überfälliges Ende und zeigt, dass Poe in bewegten Bildern eben doch funktionieren kann. Als Basis diente die Kurzgeschichte „William Wilson“, die hier allerdings nicht adaptiert, sondern sehr frei interpretiert wird. Die paar banalen Schockmomente im letzten Akt beiseite genommen, überzeugt „The Broken“ weit abseits trendiger Asia-Horror- oder Torture-Porn-Nummern mit subtilem Horror und der für Poe so charakteristischen Bebilderung des Unbewussten.

    London bei Nacht und Nebel: Die verbliebenen Mitglieder der McVey-Familie feiern den Geburtstag des Vaters (Richard Jenkins, The Visitor, Burn After Reading). Dann zerbricht der große Spiegel hinter der Speisetafel. Am Tag darauf erkennt Gina McVey (Lena Headey, 300) sich selber am Steuer eines passierenden Wagens. Verstört folgt die junge Ärztin der mysteriösen Gestalt, bis zur Konfrontation in einem fremden Appartement. An mehr kann sie sich nicht erinnern, als sie wenig später im Krankenhaus erwacht. Einen Autounfall hätte sie gehabt, die Erinnerungen kämen schrittweise zurück. Das behauptet zumindest Dr. Robert Zachman (Ulrich Thomsen, Das Fest, The International). Das Gefühl einer aus den Fugen geratenen Welt aber wird sie nicht los. Erst recht nicht, als auch ihr Freund Stefan (Melvil Poupaud, Speed Racer) und der Rest der nächtlichen Partygesellschaft wie ausgetauscht wirken...

    „You have conquered, and I yield. Yet, henceforward art thou also dead - dead to the World, to Heaven, and to Hope! In me didst thou exist - and, in my death, see by this image, which is thine own, how utterly thou hast murdered thyself.“ - Edgar Allan Poe

    Es sind die letzten Zeilen aus „William Wilson“, die Ellis gleich an den Anfang stellt. Aufmerksamen Zuschauern wird der Schlusstwist damit zwar geschenkt, noch bevor das erste bewegte Bild über den Schirm flimmert, an Intensität verliert „The Broken“ dadurch aber keineswegs. Denn fortan ist nicht mehr von Interesse, was geschehen wird – sondern wie und warum. Bereits hier wird ersichtlich, wie präzise Ellis Poe interpretiert hat, sind dessen Kurzgeschichten doch in der Regel Fallstudien über pathologische Figuren, deren Ausgang naturgemäß bekannt ist. Die Poe’sche Technik des Schreckens basiert nicht auf der bedrohlichen Inszenierung von Monstern, Mördern oder Gore-Effekten, sondern auf etwas viel Basalerem: Dem Eindringen des ultimativ Fremden ins Vertraute. Der Moment des Horrors speist sich nicht aus der physischen Bedrohung des Körpers, sondern der nahezu mythischen Übermacht des Unbewussten.

    Gekonnt spielt Ellis mit dieser Prämisse, indem er „The Broken“ über weite Strecken mit den Mitteln eines David Lynch inszeniert. Kleine Zeichen werden bedeutungsschwanger aufgeladen, wenn Gina in die Badewanne steigt, ihre Augen schließt und im Augenblick der Entspannung plötzlich von einzelnen Wassertropfen aus einem Leck in der Raumdecke penetriert wird. Lange, ausgeblichene Bildeinstellungen und ein unterschwelliges Sounddesign schaffen eine Atmosphäre der Bedrohung, die sich aus dem Bruch des Gewohnten bezieht. Anders als in Alexandre Ajas Mirrors kommen hier keine Dämonen durch zerberstende Spiegel. Es ist die Beziehung zwischen Mensch und Spiegelbild, zwischen Signifikant und Signifikat, die hier den Film über zahlreiche Male zerbricht und Doppelgänger als Bild fragmentierter Ich-Ordnung gebiert.

    Im letzten Akt gibt es dann leider billige Genre-Zugeständnisse, sobald die Doppelgänger der anderen Betroffenen zur Jagd auf ihre „echten“ Alter Egos blasen und diese überraschend blutrünstig aus dem Weg räumen. Das will kaum in die vorsichtig etablierte Geisteratmosphäre des restlichen Films passen. Wer sich bis hier gelangweilt hat, wird durch diese Schockmomente kaum mehr aus seinem Schlummer geweckt werden. Wer „The Broken“ zuvor hingegen für seinen subtilen Spannungsaufbau geschätzt hat, wird bei diesen Ausrutschern lediglich die Stirn runzeln. Derartige Effekthascherei hätte es unter Poes Federführung nicht gegeben. Abgesehen davon aber fängt „The Broken“ dessen Spirit mit Würde ein – eine echte Premiere. Ellis ist ein somnambulanter Abstieg ins Fremdartige gelungen, der einem geduldigen Publikum, vor allem aber Fans des Meisters, vorbehaltslos zu empfehlen ist.

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