Berti: „Wie gehn ma voar?”
Brenner: „Voargehn is scho folsch!”
Wenn einer seine Ruhe haben will, kann er’s trotzdem faustdick hinter den Ohren haben. Wenn einer die Ruhe in Person zu sein scheint und wenig redet – was heißt das schon. Der Brenner Simon (Josef Hader) hat’s faustdick hinter den Ohren. Der Ex-Bulle wurde aus dem Polizeidienst unehrenhaft entlassen, weil er die Frau seines Vorgesetzten... Nun ja. Der wirkliche Grund für das Quittieren des Polizeidienstes lag sowieso, höchstwahrscheinlich, vermutlich und so weiter, woanders: Der Brenner hatte keine Lust mehr, im Dreck zu wühlen. Die Polizeiarbeit ging ihm auf die Nerven. Nun ist er Rettungssanitäter bei einem der in Wien konkurrierenden Rettungsdienste – ein Kreuzretter (wie der Verein heißt), ein Samariter, ein Lebenshelfer, ein Gutmensch. Aber bei den Kreuzrettern und den anderen geht es anders zu – immer irgendwie abseits von dem, was die Aufgabe der Rettungsdienste zu sein scheint.
Schein eben.
Wie Wolfgang Murnberger den Roman von Wolf Haas (zweiter Teil: Silentium), der auch am Drehbuch mitschrieb, in der Krimi-Groteske „Komm, süßer Tod“ in Bilder umsetzte, könnte man unter dem Label „Ungewöhnliches” oder „Absurdes” einordnen. Aber da ist doch mehr. Der schwarze Humor, der Sarkasmus und das Satirische stoßen immer wieder hart an die Realität des eigentlichen Plots. Und umgekehrt stößt die Wirklichkeit immer wieder an den Rand der Satire und des schwarzen Humors und des Sarkasmus. Eigentlich, aber nur eigentlich, weiß man nie, wo man sich befindet: im halbdokumentarischen Bericht über die (erschreckende) Realität des Rettungsdienstwesens, in dem auch Kriminalität ihren Platz hat, oder in der filmischen Überzeichnung einer Branche, bei der dem Regisseur die Phantasie des öfteren durchzugehen scheint wie der Gaul dem unerfahrenen Reiter. Der Schein trügt. Beides – Fiktion und Realität, Sarkasmus und Semi-Dokumentarisches – liegen so nahe beieinander, das es nur höllischen Spaß macht, den Akteuren zu folgen – wenn man dem Österreichischen einigermaßen folgen kann.
Der Ex-Bulle jedenfalls macht seinen Job – und mehr will er gar nicht – und seine Ruhe haben. Die hat er allerdings schon deshalb nicht, weil die Konkurrenz immer wieder versucht, den Kreuzrettern die Unfallopfer vom Ort des Geschehens weg zu schnappen. Schlimmer noch: Der Berti (Simon Schwarz) fährt nicht nur schnell und geschickt, wie es sich für einen Rettungsfahrer gehört. Er fährt gar nicht geschickt, sondern wie eine gesenkte Sau – immer nahe am Unfall vorbei oder in Vollbremsung vor über die Straße laufenden Schulkindern.
Schon hier deutet sich die Dichotomie des Erzählten an: die, die retten sollen, gefährden Leben. Die Konkurrenz vom Rettungsbund lässt die Autos hochbocken und den Motor laufen – schließlich gibt’s von der Stadt Wien für jeden gefahrenen Kilometer Geld. Aber nicht nur die Konkurrenzfahrer werden uns eher als knallharte Schlägertypen präsentiert, die sich quasi als Kleinmafiosi den Job nur zur Tarnung zugelegt haben, um illegale Geschäfte zu tätigen. Die Kreuzretter selbst scheinen nicht besser. Nun ja, ein Mord der besonderen Art macht den Ex-Bullen richtig spitz: ein Doppelmord im Krankenhaus – die Kugel wandert fein säuberlich durch zwei, die gerade kopulieren wollten. Und der Täter wird uns direkt am Tatort präsentiert: Ein Sanitäter, der der Frau noch schnell den endgültigen Garaus macht. Ein dritter Mord an einem Kreuzretter-Kollegen lässt Brenner keine Ruhe mehr. Die Neugier des Ex-Bullen kommt massiv zum Vorschein – und los geht’s mit den Ermittlungen. Die Polizei ist eh auf der falschen Fährte, als sie den Rettungsfahrer Lanz (Reinhard Simonischek) verhaftet, dessen Tochter Angelika (Nina Proll) zuliebe der Brenner nachzuforschen beginnt.
Worauf der Brenner dann nach und nach stößt, ähnelt eher der kriminellen Szene einer Großstadt als dem Bild der Rettungsdienstszene. Da werden Testamente gefälscht, alten, kranken Frauen beim Sterben nachgeholfen, die Stadt betrogen und gemordet. Der Brenner und der Berti machen sich auf die Spur all dessen – während ihr Chef, der Junior (Michael Schönborn) fromme Reden über die ethischen Ziele des Rettungswesens verkündet.
So ganz in den Kram passt dem Brenner dann auch nicht – oder vielleicht doch etwas –, dass plötzlich die Klara – Barbara Rudnik in all ihrer Erotik und mit Gipsbein – auftaucht, eine alte Bekannte, sprich Geliebte, die nicht abgeneigt ist, mit dem Brenner Simon mal wieder ...
Das ermittelnde Trio – Brenner, Klara und Berti – arbeitet besser, als die Polizei erlaubt – beziehungsweise ist, denn der dicke Kripo-Kommissar (Gottfried Breitfuss) und sein Schmalspur-Assistent (Georg Veitl) tappen im Dunkeln. Und den feisten Kripomann interessiert wohl auch mehr die Rache an dem Brenner, der mit seiner Frau ..., als die Aufdeckung der Morde.
Nach diesem Film will man nicht mehr gerettet werden – bloß kein Unfall mit dem Auto. Die Straße vorsichtig überqueren und die Hausarbeit lieber zwei Wochen liegen lassen, wo man doch weiß, dass die meisten Unfälle im Haushalt passieren. Einen Tag später hat man sich wieder beruhigt. So schlimm, wie in diesem Film, wird’s doch wohl nicht sein?
Murnberger und Haas – und vor allem Hader – ziehen vom Leder, was zu ziehen ist. Mit Wortwitz, kecken Sprüchen, Frechheiten (vor allem Brenners gegenüber seinem Chef, dem Junior) und einem gut portionierten Sarkasmus, der oft nahe an einen wohltuenden Zynismus grenzt, offenbaren sich menschliche Schwächen, Eitelkeiten, Egoismus und vor allem eine kriminelle Energie, die einem manchmal die Sprache verschlägt. Die äußere Form der Kriminalgeschichte – Haas’ Roman wurde schon ausgezeichnet – kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier sozusagen den gängigen und eingefahrenen „Tatort” & Co. erzählerisch, visuell und darstellerisch ein bisschen der Garaus gemacht wird. Man nimmt den üblichen Serienkrimi dermaßen über die Maßen ernst, dass die Ernsthaftigkeit in Satire und oft Persiflage umschlägt.
Der Hader ist in diesem Spiel – wie man so schön zu sagen pflegt – die hundertprozentig richtige Besetzung. Der stille, aber über alle Maßen handlungsaktive Ex-Bulle, der zum Privatermittler wird, ist undurchschaubar wie eine schwarze Wand. Kaum zu ermitteln, was in ihm vorgeht. Und doch durchzieht gerade diese Figur des Films eine weiß Gott nicht ironisch gemeinte Ernsthaftigkeit und Humanität, die ihn von fast allen anderen Akteuren unterscheidet. Der Individualist Hader-Brenner, der kauzige Kerl, ist einem sympathisch – da kannst du machen, was du willst. Der Antiheld-Held Brenner ist eines dieser wenigen Gegenstücke zu den sattsam bekannten Detektiven und Kommissaren des (oft) abgelutschten Serienkrimis aus hiesigen Gefilden. Und selbst der sich vornehm und edel gebende, nichtsdestotrotz größte Gauner des Films – der Junior eben – ist weiß Gott keiner dieser Fernsehserien-Täter, wie wir ihn kennen.
Indem Murnberger und Haas, und eben vor allem auch Hader, permanent die Grenze zwischen Fiktion und Realität verschwimmen lassen, mal hier anstoßen, um dort wieder zu landen, bleibt die Geschichte „für sich” Phantasie, in ihrer erzählerischen Grundkonstellation aber so glaubhaft, dass man sich derartige Verbrechen im Milieu durchaus vorstellen kann.
Ein amüsantes, rasantes und lebhaftes Spielchen, was Murnberger, Haas und Hader uns da servieren – und dazu singt der Hader (natürlich auch noch falsch) aus der Matthäus-Passion „Komm, süßer Tod”. Pfui Deibel!