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    Fremde Haut
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Fremde Haut
    Von Deike Stagge

    Asyl in einem fremden Land ist für viele Menschen die letzte Chance, ein besseres Leben zu führen oder ohne Angst vor Verfolgung noch einmal neu anzufangen. Aber was ist, wenn man seine Identität in der neuen Heimat ebenso verstecken muss und am Ende mehr aufgibt als vorher? Diesem Thema widmet sich Angelina Maccarones Drama „Fremde Haut“.

    Fariba (Jasmin Tabatabei) und Siamak (Navid Akhavan) lernen sich am Frankfurter Flughafen in der Einwanderungsbehörde kennen. Sie floh aus dem Iran, weil sie als „gefährliche Lesbe“ verfolgt wurde, er, weil er in einer illegalen Bewegung aktiv war. Beide teilen ihre Ängste, ins Heimatland abgeschoben zu werden. Als Siamak aus Angst vor Bestrafung Selbstmord begeht, nimmt Fariba seine Identität an, um bessere Chancen auf eine Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen. Tatsächlich bekommt sie diese schließlich und muss in einem Heim in Süddeutschland ein Zimmer mit dem Weißrussen Maxim (Jevgenij Sitochin) teilen. Um sich Geld für einen Pass mit ihrer wahren Identität zu beschaffen, arbeitet Fariba in einer Sauerkrautfabrik. Dort lernt sie Anne (Anneke Kim Sarnau) kennen, die sich sehr für den mysteriösen, stillen Fremden interessiert. Zwischen beiden entsteht eine Bindung, die von den Kollegen Uwe (Hinnerk Schönemann) und Andi (Jens Münchow) missbilligt wird. Trotz der Anziehung zwischen ihr und Anne kann Fariba ihre wahre Identität nicht offenbaren. Sie weiß, dass ihr beim kleinsten Fehler die Asylbehörde im Nacken sitzen kann und ihr die Abschiebung droht. Außerdem lauern Uwe und Andi nur auf eine Möglichkeit, dem verhassten Siamak übel mitzuspielen.

    Angst ist das leitende Motiv in „Fremde Haut“. Angst vor der Abschiebung, vor der Bestrafung in der Heimat, vor der Entdeckung der Tarnung, Angst vor den eigenen Gefühlen. Die Atmosphäre des Films ist bedrückend, trotzdem ist das Prinzip Hoffnung durchweg spürbar. Fariba geht nicht nur ins Exil, sie muss auch alles verstecken, was ihre Person und damit ihre Individualität ausmacht. Für jeden Schauspieler ist eine derartige Rolle eine große Herausforderung. Jasmin Tabatabei („Bandits“, „Gripsholm“) gibt Fariba/Siamak ein ausgewogenes Profil: Sie erforscht die Facetten der falschen Identität und zeigt das Hadern Faribas und ihre erzwungene Anpassung an die Situation. Durch ihr Spiel eröffnet sie dem Publikum erst die Annäherung an das Verhalten ihrer Figur, sie offenbart ungeschminkt Einsamkeit und Trauer von Fariba.

    Das Thema des Films ist komplex und vielschichtig. Fariba kämpft gegen die gnadenlosen Regeln des Asylrechts genauso wie gegen die Ausländerfeindlichkeit ihrer deutschen Kollegen und den Neid einiger anderer Heimbewohner. Diese Konfliktstruktur beinhaltet ein spannendes Potential für 97 Filmminuten. Dennoch nutzt „Fremde Haut“ diese Möglichkeiten nicht voll aus. Nach einem Drittel des Films ist das zentrale Problem für den Zuschauer vollständig ausgebreitet, die Fronten sind geklärt, die Schwierigkeiten und Motivationen jeder Figur deutlich. Doch bis kurz vor Schluss reitet das Drehbuch weiter auf den ohnehin schon klaren Verhältnissen herum. Der Konflikt entwickelt sich nicht weiter, die Handlung hängt quasi fest, ohne neue Impulse zu geben oder andere Optionen aufzuzeigen. Dieser dramaturgische Hänger nimmt dem Film einiges von seiner Intensität. Diese Schwierigkeit kann auch entstehen, wenn Drehbuch (zusammen mit Co-Autorin Judith Kaufmann) und Regie wie in diesem Fall in einer Hand liegen. Angelina Maccarone („Alles wird gut“) holt zwar hervorragende Leistung aus ihren Schauspielern heraus, kann aber das Problem der Stoffentwicklung nicht in den Griff bekommen. Außerdem treten kleine Ungereimtheiten in der Story auf, zum Beispiel die Frage, wie Fariba die Leiche Siamaks in einem Koffer aus dem bewachten Übergangsheim transportiert, während die Polizisten sie schon wegen ihrer eigenen Abschiebung suchen. Angesichts der Tragweite der Aussagekraft des zentralen Konflikts fallen diese Nebensächlichkeiten jedoch nicht weiter ins Gewicht.

    Mit „Fremde Haut“ ist Regisseurin Angelina Maccarone ein eindrucksvolles Drama um eine existentielle Frage gelungen, das vor allem in der ersten Hälfte des Films sehr einfühlsam die Ängste und Hoffnungen von Ayslbewerbern porträtiert und ohne Weichzeichner die Probleme dieses Prozesses sowie der Integrationsbemühungen anspricht. Übertriebene Anklagen benötigt das Drehbuch von „Fremde Haut“ nicht, die Figuren sprechen für sich. Der Film lädt dazu ein, anschließend die aufgeworfenen Fragen bei einer Tasse Kaffee weiter zu diskutieren.

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