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    Der letzte Zug
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    Der letzte Zug
    Von Nicole Kühn

    Im Kino eine fiktive Geschichte zu erzählen und damit ein Zeitdokument abliefern zu wollen, ist ein schwieriges Unterfangen. In „Stalingrad“ hat Joseph Vilsmaier gezeigt, dass es unter die Haut gehen und Interesse wecken kann, wenn historisch verbürgte Fakten in fiktive Geschichten von Individuen gegossen und glaubwürdig erzählt werden. Auch Produzent Artur Brauner hat sich mit Aufarbeitungsfilmen der NS-Zeit wie „Hitlerjunge Salomon“ einen Namen gemacht. Durch die Idee, mit auf die Fahrt in einem Deportationszug zu gehen, gewinnt „Der letzte Zug“ der Holocaust-Thematik eine neue Perspektive ab. In seinem Bestreben, das unvorstellbare Leid emotional erfahrbar zu machen, schießt der Film jedoch über sein Ziel hinaus bzw. daran vorbei, weil er kaum Identifikationspotenzial mit den Figuren bietet.

    Berlin 1943. Aus der Hauptstadt des „Tausendjährigen Reiches“ wurden bereits 70.000 jüdische Menschen deportiert, rechtzeitig zum Geburtstag des Führers soll die Utopie eines „judenfreien“ Berlins Wirklichkeit werden. Im April werden 688 Menschen nachts aus ihren Häusern geholt, in Viehwaggons gesperrt und auf die lange Reise nach Auschwitz geschickt. Aller persönlichen Attribute beraubt, werden sie als wertlose Masse Mensch weitgehend ihrem Schicksal überlassen. Sechs qualvolle Tage dauert die Reise, die viele nicht überleben. Der Überlebenswille dieser Menschen ist jedoch trotz aller Unmenschlichkeit, die ihnen entgegenschlägt, bis zur letzten Minute nicht auszumerzen. Während ein Teil der Deportierten aufgibt oder durch Stillhalten mildernde Umstände erhofft, treiben die Eheleute Neumann (Gedeon Burkhard und Lale Yavas) gemeinsam mit dem kämpferischen Paar Ruth Zilberman (Sibel Kekilli) und Albert Rosen (Roman Roth) scheinbar aussichtslose Fluchtversuche voran.

    Regisseur Vilsmaier macht die Verwandlung von gut gekleideten Bürgern zu gedemütigten, nur noch instinkthaft agierenden Wesen durch die Konzentration auf die Vorgänge im Inneren des Zuges unmittelbar nachvollziehbar. Die anfängliche Gegenwehr fällt angesichts der konsequenten Menschenverachtung der Befehlshaber bei den meisten in sich zusammen und schlägt um in einen vorauseilenden Gehorsam. Der Zwist zwischen Anpassung und Rebellion manifestiert sich in den verschiedenen Figuren und erzeugt emotionale Spannung, die von den ersten Szenen der Diskussion über die Verteilung des lächerlich wenigen Wassers bis zum dramatischen Einfahren in Auschwitz anhält.

    Hier werden die Juden weit mehr in ihrer Eigenschaft als Menschen mit einer Persönlichkeit, mit durchaus streitbaren Charakterzügen als durch das vermeintlich große Thema des Films, der Unmenschlichkeit der Nazis, gezeigt. Während innerhalb der jüdischen Gruppe Differenzierungen zugelassen werden, die zu einer wirklichen Beschäftigung mit deren Schicksal und ihrem Verhalten dazu animieren können, bleibt die Darstellung insgesamt in einem plakativen Gut-Böse-Schema hängen. In Rückblenden wird der Kontrast zwischen dem, was Juden waren und dem, zu was sie durch die Nazis gemacht wurden, offenbar. Über dem bemühten Hinweisen darauf, dass mit den Juden Akademiker, Künstler, Sportler vernichtet wurden, kommt der „normale“ Jude als Mensch wie jeder andere zu kurz. Keiner der im Zug Eingepferchten hat offensichtlich als Frauenheld, Schlitzohr oder im jugendlichen Leichtsinn sein vorheriges Leben gelebt. Gerade die drastischen Bilder und die Überhöhung der Opfer führen nicht dazu, die Bestürzung über den großen dunkelbraunen Fleck in der deutschen Geschichte nochmals zu steigern, mögen die dargestellten Ereignisse noch so realistisch sein. Vielmehr gibt die Schwarz-Weiß-Malerei allen Anlass, die Juden ausschließlich als Opfer zu sehen, die sich in unbeugsamem Anstand mit einer hilflosen Mischung aus Aufbegehren und Bittstellerei den sadistischen Machthabern ergeben (müssen). Als Haltung kann daraus gegenüber den Juden nichts als Mitleid entstehen, während das Handeln der Täter als unerklärtes, nicht hinterfragtes schlichtweg Böses kaum einen Betrag zu der großen und auch heute noch wichtigen Frage leistet, wie es dazu kommen konnte.

    Gerade wenn sich Produzent und Regisseure wünschen, dass viele und vor allem junge Menschen diesen Film sehen, wäre es klug gewesen, den (Zeige-)Finger suchend nach Ursachen in die offenen Wunden der porträtierten Gesellschaft zu legen, statt ihn moralisch-anklagend gegen diejenigen zu erheben, die all das ohnehin nur als wiedergegebene Realität kennen. Zu was, fragt man sich, sollte dieser Film seine Zuschauer animieren, außer sich tränenreich schlecht und hilflos zu fühlen? Zu einseitig ist die Sichtweise auf das Geschehen, als dass man mit den Protagonisten mitfühlen könnte.

    Die kein Extrem und auch kaum ein Klischée auslassende Handlung wird durch die schwerwiegende Musik zusätzlich emotional aufgeladen. Selbst in den wenigen Momenten, in denen die Geschichte einen Hoffnungsschimmer zulässt oder das kämpferische Moment die Oberhand gewinnt, vergewissert der Soundtrack den Zuschauer des unheilvollen Endes dieser Zugfahrt. Akzente können in dieser Umgebung nur einige der Darsteller setzen. Sibel Kekilli gibt überraschend glaubwürdig die zarte und doch zähe Ruth Zilberman. Wie ihr gegenüber Lea Neumann als Mutter zweier Kinder zunehmend ihre vitale Ausstrahlung verliert, macht Lale Yavas überzeugend deutlich.

    Das Prädikat „besonders wertvoll“ der FSK dürfte hauptsächlich der Thematik des Films geschuldet sein, das fast schon per se beachtenswürdig erscheint. Vielleicht ehrt man damit auch die hohen Ambitionen der Filmemacher, Erschütterung hervorzurufen und übersieht dabei, dass ein solcher Film gerade in diesem vor sich her getragenen Sendungsbewusstsein zum Scheitern verurteilt ist.

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