Auch ziemlich genau neunzig Jahre nach seinem Tod ranken sich viele Legenden um den berühmten Jagdflieger Manfred Freiherr von Richthofen. Seine achtzig verbürgten Abschüsse in den Luftkämpfen des Ersten Weltkriegs wurden von niemandem übertroffen und lieferten der deutschen Heeresleitung willkommenes Propagandamaterial. Von Richthofen genoss aber auch bei seinen Gegnern zum Teil großen Respekt, besonders im englischsprachigen Ausland ist er bis heute immens berühmt. Mit griffigen Titeln wie „diable rouge“ oder eben „Roter Baron“ versehen, die er seinen auffällig rot lackierten Flugzeugen zu verdanken hatte, eignete sich der preußische Adlige nach dem Krieg vor allem durch die ihm zugeschriebene Fliegerehre zur Heldenfigur. Die Mythologisierung von Richthofens stützt sich auf diese Idee von Ritterlichkeit, der die historische Faktenlage teilweise erheblich widerspricht. Für einen Filmemacher, der sich heute dieser schillernden und ambivalenten Figur annimmt, gibt es zwischen überhöhendem Heldenepos und entlarvender Dekonstruktion ein breites Spektrum an Erzähloptionen. Autor und Regisseur Nikolai Müllerschön, der insgesamt sechs Jahre an dem Stoff gearbeitet hat, versieht Richthofen in seinem Abenteuer-Drama „Der rote Baron“ mit einigen sehr heutigen Ein- und Ansichten und versucht so, das Heldenbild zu aktualisieren. Ein in jeder Hinsicht unausgegorenes Unterfangen, denn dramaturgisch bewegt sich die deutsche Großproduktion, die technisch durchaus hohen Maßstäben genügt, auf unterstem Niveau. Die Zielsetzung der Filmemacher, die in englischer Sprache drehten und mit Joseph Fiennes und Lena Headey international bekannte Stars engagierten, um ein weltweites Publikum zu erreichen, dürfte angesichts einer Handlung voller historischer und logistischer Ungereimtheiten, unklarer Motivationen und unbeholfener Sprunghaftigkeit kaum zu verwirklichen sein.
Erster Weltkrieg: In einem riskanten Manöver überfliegen Manfred von Richthofen (Matthias Schweighöfer) und zwei seiner Kameraden Feindesland, um einen gefallenen Gegner zu ehren. Beim Rückflug kommt es zu einem Gefecht, bei dem von Richthofen eine kanadische Maschine abschießt. Als der junge Adlige das abgestürzte Wrack aufsucht, um sich eine Trophäe zu sichern, rettet er den schwerverletzten Piloten, Captain Roy Brown (Joseph Fiennes), aus den Trümmern. Die resolute Krankenschwester Käte (Lena Headey) pflegt den Verwundeten gesund und von Richthofen ist ganz hingerissen von ihr. Sie weist ihn aber zunächst ab. Während der Freiherr belobigt und befördert wird, ein Buch schreibt und eine Kopfverletzung erleidet, entwickelt sich allmählich dann doch eine Romanze zwischen dem Offizier und der Pflegerin. Käte möchte, dass Manfred keine Einsätze mehr fliegt und schließt sich damit den Wünschen des Kaisers an, der sich den Verlust eines Helden in schwieriger Kriegslage nicht leisten kann. Richthofen, der nun den Befehl über seine alten Mitstreiter führt, zu denen inzwischen auch sein heißsporniger jüngerer Bruder Lothar (Volker Bruch) gehört, steht vor einer wichtigen Entscheidung und einer weiteren schicksalhaften Begegnung mit Captain Brown.
Nikolai Müllerschön hat sich für seine erste große Kinoproduktion sehr viel vorgenommen. Der gebürtige Stuttgarter, der an einigen Fällen der Krimireihe „Die Verbrechen des Professor Capellari“ als Autor oder als Regisseur beteiligt war und dessen Filmographie daneben auch „Schulmädchen '84“ aufweist, lebt zwar in Kalifornien vor den Toren Hollywoods, wollte aber möglichst die Kontrolle über das Projekt behalten und suchte sich daher deutsche Produktionspartner. Das Ergebnis ist paradox: Auf der einen Seite ist „Der rote Baron“ thematisch geradezu überfrachtet, da Müllerschön sich bemüht, möglichst viele Aspekte der komplexen Geschichte in seinem Film unterzubringen. Zum anderen führt diese Tendenz zu losen Enden, vieles wird schlaglichtartig beleuchtet, aber kaum etwas nachvollziehbar entwickelt. Wo Substanz angestrebt wurde, bleibt nur Oberflächlichkeit, etwa wenn Müllerschön dem „Flying Circus“, wie von Richthofens Truppe auch genannt wurde, den jüdischen Piloten Sternberg (Maxim Mehmet, NVA, Fleisch ist mein Gemüse) hinzudichtet. Auch die zentrale Liebesgeschichte des Films ist erfunden, mit der Krankenschwester Käte, die sich ohne Probleme zwischen den Fronten zu bewegen scheint, führt Müllerschön geradezu gewaltsam pazifistische Gedanken in seinen Film ein. Käte appelliert an Richthofens Gewissen, einmal schleppt sie ihn in ein Lazarett und konfrontiert ihn (und damit auch uns) mit dem Leid, den Verstümmelungen und Verbrennungen des Krieges, die im Widerspruch zu seiner abgehobenen Wahrnehmung stehen. Lena Headey (Brothers Grimm, 300, The Cave) gibt sich vergeblich Mühe, dieser seltsam künstlich wirkenden Figur mehr als eine funktionale Dimension abzugewinnen.
Der Eindruck des rein Behaupteten und Unverbindlichen lässt sich bei allen persönlichen Beziehungen von Richthofens in Müllerschöns Darstellung ausmachen, emotionale Tiefe oder charakterliche Komplexität sind entsprechend kaum vorzufinden. Die Wandlung des Bruders bleibt genauso im Ungefähren wie die Rolle des besten Freundes und des respektierten Gegners. Til Schweiger (Der bewegte Mann, Barfuß, Keinohrhasen) als Voss wirkt lust- und leblos, während Joseph Fiennes (Shakespeare In Love, Luther, Goodbye Bafana) seine Kurzauftritte rein routiniert hinunterspult. Auch Matthias Schweighöfer (Soloalbum, Kammerflimmern, Keinohrhasen) in der Hauptrolle hat angesichts des schwachen Drehbuchs, dessen Dialoge zumindest in der deutschen Fassung zuweilen fast Nonsens-Qualitäten erreichen, keine Gelegenheit, ein ausgefeiltes Porträt zu zeichnen. Sein Richthofen wirkt immerhin äußerlich glaubwürdig und in seiner Darstellung schwingt in Momenten eine weitaus genauere soziale und historische Grundierung mit, als sie der Film als Ganzes besitzt.
Während „Der rote Baron“ erzählerisch kaum etwas zu bieten hat, kann der Liebhaber alter Flugzeuge akribisch nachgebaute Modelle der historischen Doppel- und Dreidecker bewundern. Die erstaunlich spärlichen Kampfsequenzen sind mithilfe der größten Greenscreen Europas technisch gut gelungen und bieten eindrucksvolle Totalen, aber auch nur mäßige Spannung, denn ihr dramatischer Gehalt bleibt in der Inszenierung oft unterbelichtet. Die Großaufnahmen der Schauspieler in ihren Cockpits sind nicht immer glücklich mit den Einstellungen verbunden, die den räumlichen Überblick geben sollen, so dass die Orientierung schwerfällt. Bei aller technischen Perfektionierung fehlt so die Dynamik, die fast achtzig Jahre alte Filme wie „Wings“ oder „Hell's Angels“ mit ihren „echten“ Flugaufnahmen heute noch vermitteln können. Alles in allem scheitert Nikolai Müllerschöns Versuch einer anspruchsvollen deutschen Großproduktion internationalen Zuschnitts auf nahezu jeder Ebene. Gelungene Effekte und akkurate Ausstattung allein sind überall auf der Welt zu wenig.