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    Vitus
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Vitus
    Von Christoph Petersen

    In regelmäßigen Abständen kommt ein – bevorzugt aus Europa stammendes – Feel-Good-Movie für den gehobenen, aber nicht unbedingt Filmkunst liebenden Geschmack in die deutschen Kinos, das dann Dank gut funktionierender Mundpropaganda die Art-House-Säle für Monate – in Ausnahmefällen sogar Jahre – blockiert. Zuletzt war das ans Herz gehende schwedische Dirigentendrama Wie im Himmel ein solch erfolgreicher Longrunner, der erst nach monatelanger Laufzeit die eine Million Zuschauergrenze durchbrochen hat – und auch Die fabelhafte Welt der Amelie und „Brot und Tulpen“ müsste man in diese Kategorie einordnen. Mit Fredi M. Murers Wunderkind-Märchen „Vitus“ kommt einer der aussichtsreichen Kandidaten für diese Position in diesem Jahr aus der Schweiz. Mit einer gelungenen Mischung aus feinem Humor, viel Gefühl, virtuoser Klaviermusik und unheimlich viel Charme hat er die perfekten Voraussetzungen, um das Publikum abseits der Multiplexe zu begeistern. Und in seinem Heimatland hat „Vitus“ mit starken 180.000 Besuchern auch schon mal einen kleinen Sensationserfolg vorgelegt.

    Der 6-jährige Vitus (Fabrizio Borsani) ist ein Wunderkind, wie es im Buche steht: Schon im Kindergarten wird der Brockhaus auswendig gelernt und die Partygäste der Eltern werden mit Bach und Mozart begeistert. Doch die außergewöhnlichen Fähigkeiten bringen auch einen unmenschlichen Druck mit sich, der schwer auf der jungen Seele lastet. Spätestens, als die Mutter (Julika Jenkins) ihren Job für die Karriere ihres Sohnes aufgibt, scheint es für Vitus endgültig keinen Ausweg aus seiner Genialität mehr zu geben, behandelt ihn doch nur noch sein Großvater (Bruno Ganz) wie einen ganz normalen Jungen. Da verwundert es kaum, dass Vitus (nun gespielt von Teo Gheorghiu) als 12-Jähriger die Chance nutzt, sich nach einem Sturz auf den Kopf als nicht mehr hochbegabter Normalo auszugeben. Und während seine Eltern um die verlorene Zukunft ihres Sohnes und damit um ihre eigenen Träume trauern, baut sich Vitus mit dem Geld seines Großvaters und einigen Insiderinformationen seines Vaters im Geheimen ein kleines florierendes Finanzimperium auf…

    Lehrer: „Dein arrogantes Gehabe geht mir so langsam aber sicher auf den Geist."

    Vitus: „Wenn ich Ihnen auf den Geist gehe, dann sind wir in diesem Klassenzimmer ja immerhin schon zwei, die über einen solchen verfügen."

    Zumindest in der ersten Stunde, deren Schwerpunkt noch eindeutig auf den ernsthaften Drama-Elementen der Geschichte liegt, geht Murer erfreulicherweise nicht immer den einfachsten Weg. Auch wenn Vitus natürlich von seiner Umgebung immer in eine besondere Stellung hineingedrängt wird, wird er nicht nur als hilfloses Opfer präsentiert, sondern darf sich auch mal als arroganter Arsch hervortun. Natürlich werden diese Ausrutscher dramaturgisch sofort wieder repariert, natürlich bleibt Vitus der absolute Sympathieträger und Publikumliebling, aber immerhin fließt der eine oder andere kritischere Ton nebenbei mit ein. In der zweiten Hälfte sucht man solche Töne dann aber endgültig vergeblich, denn nachdem sich Vitus dazu entschieden hat, normal zu tun, wandelt sich der Film von einem Drama in ein Feel-Good-Märchen. Wirklich übel nehmen kann man ihm dies aber kaum, hat das neue Genre doch schon nach wenigen Szenen mit seiner im Wechsel gefühlvollen und lustigen Art voll überzeugt.

    Das Zugpferd innerhalb des durchweg überzeugenden Cast ist sicherlich Ifflandringträger (für den besten lebenden deutschsprachigen Theaterschauspieler) Bruno Ganz (Der Untergang, Luther, Der amerikanische Freund). Nachdem er zuletzt schon in Der Manchurian Kandidat einen Erfinder verkörpert hat, füllt er nun auch in „Vitus“ die Rolle des urigen Tüftlers mit nahezu ungehörigem Charme aus. Dennoch schaffen es vor allem die beiden Jungschauspieler, sich mit ihren beeindruckenden Leistungen in das Gedächtnis des Publikums einzubrennen. Fabrizio Borsani gelingt es, obwohl er während der Dreharbeiten noch den Kindergarten besuchte, scheinbar spielend, genau die richtige Mischung aus muckscher Widerspenstigkeit und kindlicher Gewitztheit zu treffen, die dem Lausebengel den Weg ins Herz jedes Zuschauers öffnen sollte.

    Bei der Besetzung des 12-jährigen Vitus stand Murer vor einer schwierigen Entscheidung – ein echtes Wunderkind, das auch die Klavierszenen ohne Double übersteht, oder einen „normalen“ Schauspieler? Letztendlich fiel die Entscheidung auf Teo Gheorghiu, der in London eine Schule für musikalisch Hochbegabte besucht und nebenbei trotz kanadischem Pass und rumänisch-stämmigen Eltern auch perfekt Schweizerdeutsch beherrscht, da er in der Schweiz geboren und aufgewachsen ist. Und wie sich im Verlauf des Films schnell rausstellt, ist es um seine schauspielerische Begabung nicht merklich schlechter als um seine musikalische bestellt, punktet er zwar hauptsächlich mit seinem kecken Charme, kann aber auch - wenn angebracht - die leiseren Töne zielsicher treffen. Das von ihm gegebene Konzert am Ende des Films ist übrigens echt – und da einige europäische Co-Finanziers abgesprungen waren, wurden die 40.000 Eintrittsgeld auch dringend zum Stopfen einiger Budgetlöcher benötigt.

    Was die Inszenierung angeht, macht Murer glücklicherweise nie den Fehler, seinen Film in überlebensgroßen Kitsch abgleiten zu lassen, sondern hält im Gegenteil seinen angenehm nüchternen Stil konsequent durch. So kann man auch die Märchenelemente der zweiten Hälfte viel besser für sich akzeptieren, weil sie durch die zurückhaltende Erzählweise trotzdem auf eine merkwürdige Art glaubhaft erscheinen. „Vitus“ ist ein unterhaltsam erzähltes Feel-Good-Märchen, das zwar mit einem unerwarteten Genrewechsel und auch eine Viertelstunde zu lang daherkommt, aber diese kleinen Schwächen mit einem überragenden Cast und zahlreichen wunderbar funktionierenden Wohlfühlmomenten mehr als ausgleichen kann. Noch ein kleiner Tipp zum Schluss: Auch wenn die meisten Darsteller für die Synchronisation der hochdeutschen Version zur Verfügung standen, sollte man es sich wenn möglich doch auf keinen Fall entgehen lassen, sich den Film in der originalen Schweizerdeutsch-Fassung mit deutschen Untertiteln anzusehen, die der SchwarzWeiss-Filmverleih zumindest in den größeren Städten auch in die Kinos bringen wird.

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